© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

„Im Augenblick nicht viel in Ordnung“
Deutsche Rentenversicherung: Neue Rechenprogramme bringen Behördenchaos / Versichertendaten an Tochter von US-Konzern Iron Mountain ausgelagert
Georg Thiele

Daß Behörden durch Modernisierung Geld und Personal einsparen, entlastet die Steuerzahler. Doch die Vereinheitlichung der Datenverarbeitung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund), der früheren Bundesversicherungsanstalt (BfA), scheint eher das Gegenteil zu bewirken. Das dortige Rechenprogramm „RV Global“ leistet nach Auskunft von Insidern mehr als die Programme der Regionalträger – der früheren Landesversicherungsanstalten (LVA) –, die deswegen auch keinen Arbeitsplatzabbau durchgemacht haben. Doch politische Vorgaben führten dazu, daß sich die Träger auf eine Fortentwicklung der LVA-Software „einigten“.

Die Einführung der Software „RV Dialog“ bei der DRV Bund bringt nun Probleme mit sich. Im August startete das Programm in den Bereichen, die Vorgänge von Versicherten bearbeiten, die am 31. eines Monats Geburtstag haben, im Dezernat für Rehabilitation sowie in den Auslandsdezernaten für Versicherte mit Wohnsitz oder Beitragsentrichtung in Polen, Frankreich, Spanien, Tunesien und Marokko. Die Folge war Chaos bei der IT-Sachbearbeitung in diesen Abteilungen, denn „RV Dialog“ könne weniger Daten dauerhaft speichern, klagen DRV-Mitarbeiter. Das Mißverhältnis soll 6.000 zu 2.000 betragen. Ob das Programm jemals laufe, sei zweifelhaft.

„Pessimisten gehen davon aus, daß es zu einem gänzlichen Stopp kommt und nach einer Überarbeitung der Software erst 2014 ein Reset-Versuch erfolgt“, berichtete unter der Überschrift „IT Desaster setzt Reha-Abteilung fast matt“ das Fachblatt Dienst für Gesellschaftspolitik. Derweil klagen Mitarbeiter darüber, daß sie Übergangsgelder für Reha-Maßnahmen wieder mit Taschenrechner und Stift bearbeiten. „Die Abläufe wurden mehrfach überprüft, die Migrationsprogramme ausgiebig getestet, einzelne Bausteine des RV Dialogs angepaßt“, beschwichtigte DRV-Direktor Herbert Schillinger in der Mitarbeiterzeitung.

Der für IT zuständige DRV-Abteilungsleiter Harald Joos sieht das anders: „Für unsere Kolleginnen und Kollegen, die den 31. Geburtstag bearbeiten, ist im Augenblick nicht viel in Ordnung.“ Über das Behördenchaos ließe sich vieleicht schmunzeln, drohte nun nicht auch den Versicherten selbst Ungemach. Grund sind Pläne der DRV, ihre Archive faktisch zu „privatisieren“ – oder neudeutsch ausgedrückt: Public-Private Partnership (PPP) soll nun auch bei der Gesetzlichen Rentenversicherung Verwaltungskosten „sparen“. Trotz meist schlechter Erfahrungen mit den öffentlich-privaten Partnerschaften und ungeachtet des Skandals um die Ausspähung des deutschen Datenverkehrs durch ausländische Geheimdienste (NSA, Prism & Co.) hat die DRV Bund die Auslagerung von acht Millionen Renten- und Versicherungsakten begonnen.

Sieger der PPP-Ausschreibung wurde ein Tochterunternehmen des US-Konzern Iron Mountain. Die Firma ist in 32 Ländern tätig und beschäftigt dort etwa 17.000 Mitarbeiter. Das Gebäude, in dem die Privatdaten gespeichert würden, sei „auf die speziellen Anforderungen der DRV Bund zum Beispiel an den Datenschutz zugeschnitten“, versprach die zuständige Dezernentin in einem Schreiben an ihre Mitarbeiter. Auch der betriebseigene Datenschutzbeauftragte hält die Auftragsvergabe an Iron Mountain für unproblematisch. Erfahrene DRV-Mitarbeiter sehen das „Verschwinden“ ihrer Akten in ausgelagerten Archiven jedoch mit gemischten Gefühlen. Proteste von Rentnern und Versicherten seien möglicherweise nur deswegen ausgeblieben, weil diese Praktiken des Rentenversicherungsträgers bislang unbekannt geblieben sind.

Das könnte sich bald ändern, denn die DRV Bund geht mit dem Vertragsabschluß „hausieren“. So erhielt der Rentenversicherungsträger den Innovationspreis 2013 des Bundesverbandes Public Private Partnership (BPPP). Stolz präsentierte Direktor Schillinger die Auszeichnung auf dem jüngsten Bundeskongreß des Verbandes in Berlin.

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