© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/13 / 25. Oktober 2013

Aus der Diplomatenpost
Hintergründe über das Zimmermann-Telegramm von 1916
Helmut Roewer

Das Zimmermann-Telegramm löste den Kriegseintritt der USA in den Ersten Weltkrieg aus, so ist allgemein zu lesen. Es blieb US-Präsident Woodrow Wilson gar nichts anderes übrig, als die größenwahnsinnig einscheinende preußische Militärclique in die Schranken zu weisen, die sich anschickte, den südlichen Nachbarn, die Republik Mexiko, in einen Angriffskrieg gegen die USA zu verstricken.

So ist es in Varianten immer wieder erzählt worden, doch von den Fakten, auf die sich diese Erzählung stützt, stimmt so gut wie nichts. Das Buch des Chefhistorikers Thomas Boghardt vom U.S. Army Center of Military History in Washington behandelt nun genau dieses Thema, und es ist sein Verdienst, in einem glänzend geschriebenen Auftaktkapitel eine Geschichte der Geschichte des Zimmermann-Telegramms verfaßt zu haben. Es ist die Geschichte eines schrillen Auftakts, als die namhaften politischen Kräfte der USA, die seit spätestens 1915 für selbstverständlich erachteten, gegen Deutschland in den Krieg einzugreifen, nach einem Kriegsgrund suchten. In einer grandiosen Propagandaschlacht wurde die US-Bevölkerung eingestimmt, das Telegramm war dann nur ein willkommener Impuls.

In den 1920er Jahren wurden die Kriegstrompeten leiser. Kritik machte sich breit, von einer verantwortungslos handelnden Führung in einen sinnlosen europäischen Krieg hineingehetzt worden zu sein. Mit seltener Nüchternheit wurden Kriegsparteien und Kriegsursachen einer rückschauenden Kritik unterzogen. Das änderte sich erst in den 1930er Jahren wieder, als die german menace, die deutsche Bedrohung, zu neuen Ehren kam.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die amerikanische Betrachtung der Geschichte auch in Westdeutschland zunehmend durchgesetzt. In dieser wurde, im Anschluß an durchaus angreifbare Schilderungen der Journalistin Barbara Tuchman, gern formuliert, daß es eine fortlaufende Linie der deutschen Gewaltherrschaft und des weltumspannenden Größenwahns gab, die nur durch zweimaliges amerikanisches Eingreifen bezwungen werden konnte. Nach Ende des Kalten Krieges sind solche Auffassungen in den USA jedoch deutlich ins Schwimmen geraten. Boghardts Arbeit ist das Teilstück einer sich verändernden Sicht.

Diese Sichtveränderung beginnt mit einem deutlichen Blick auf den Gegenstand selbst. Das Zimmermann-Telegramm war nicht eine ruchlose Aufforderung, Mexiko in einen Krieg gegen die USA zu treiben, sondern die Weisung des deutschen Staatssekretärs des Auswärtigen (heute: Außenminister) an die Botschaft in Mexico City, im Falle einer Kriegserklärung der USA gegen Deutschland bei der mexikanischen Regierung zu sondieren, ob die Möglichkeit für ein Kriegsbündnis bestünde. Das ist etwas anderes, als was sonst erzählt wird. Ungeachtet dessen daß die Andeutung unbestritten eine diplomatische Ungeschicklichkeit war, man könne sich mit der Rückeroberung der US-Bundesstaaten einverstanden erklären, die den Mexikanern 1846/48 abgenommen worden waren. Diese Andeutung eines Verlustes von New Mexiko, Arizona und Texas ist danach in den USA für eine kampagnenhafte Aufwallung propagandistisch zugespitzt worden.

Boghardt schildert anhand der Akten des AA die Entstehung des Telegramms, den Weg, den es nahm und die Entzifferung durch die Alliierten. Er schildert, wie der britische Marine-Nachrichtendienst den Inhalt des Telegramms schon kannte, bevor es noch in Mexiko angelangt war, und wie sich der Leiter dieses Nachrichtendienstes, Reginald Hall, verhielt, um die Existenz dieses Telegramms zunächst vor seiner Regierung und vor allem auch vor den Amerikanern geheim zu halten.

Hall hatte nämlich ein Problem. Die Reichsregierung hatte das chiffrierte Telegramm in der US-Botschaft in Berlin abgegeben, um es von dort nach Washington kabeln zu lassen, wo es in der deutschen Botschaft entschlüsselt, umchiffriert und auf dem Post-Kabelweg nach Mexiko gelangen sollte. Das mitgelesene Kabeltelegramm stammte also aus dem diplomatischen US-Meldeverkehr, und Hall hätte sich wohl eher die Zunge abgebissen, als einräumen zu müssen, daß er die amerikanische Diplomatenpost zensurierte.

Hall war auf der anderen Seite ein fanatischer Befürworter, die USA mit allen sich bietenden Mitteln in den Krieg hineinzuziehen. Deswegen mußte eine komplizierte Operation arrangiert werden: Das Telegramm aus dem Kabelverkehr zwischen Washington und Mexiko mußte aus dem Wust der einschlägigen Telegramme gefischt werden, um den Amerikanern sodann ein glaubwürdiges Entzifferungsergebnis präsentieren zu können, das mit dem wahren Sachverhalt nichts zu tun hatte. So geschah es.

Das Buch bietet einen interessanten Einblick in die Diplomatie- und Geheimdienstgeschichte des Ersten Weltkriegs. Boghardt nimmt Distanz zu den Geschichten der vermeintlich friedfertigen USA, sondern schildert, wie die sogenannten Interventionisten Amerika ganz bewußt in den Krieg führten. Nur in einer Kleinigkeit ist Boghardt zu widersprechen. Der Außenstaatssekretär Arthur Zimmermann „wählte“ nicht die konsularische Laufbahn, als er in das AA eintrat. Es blieb ihm nur diese Möglichkeit, denn die prestigeträchtige diplomatische Laufbahn stand ihm nicht offen. In diese wurde nur aufgenommen, wer neben allen anderen Voraussetzungen ein so großes und nachzuweisendes Einkommen aus eigenem Vermögen besaß, daß er Deutschland im Ausland standesgemäß repräsentieren konnte. Auch das war ein merkwürdiges Stück Preußen, eine Hinterlassenschaft des ersten Reichskanzlers Otto von Bismarck. Alles in allem ein kluges, ein lesenswertes Buch.

Thomas Boghardt: The Zimmermann Telegram: Intelligence, Diplomacy, and America‘s Entry into World War. Naval Institute Press, Annapolis 2013, gebunden, 309 Seiten, 27,20 Euro

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