© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Beträchtlicher Schaden
NSA-Affäre: Politik und Medien reagieren kopflos auf die Enthüllung, daß ein Telefon der Bundeskanzlerin ausgespäht wurde
Paul Rosen

Beim politischen Handeln ist nur eine Frage interessant: Wem nutzt das Ganze? Die Abhöraktionen der amerikanischen Geheimdienste, die jetzt von der Bundesregierung eingeräumt und sogar von Kanzlerin Angela Merkel persönlich zugegeben wurden („das geht gar nicht“), hätten ebensogut wegdementiert werden können. In der Welt der Schlapphüte liegen Dichtung und Wahrheit eng beieinander, oft ist es nur eine Frage des Blickwinkels, um etwas als falsch oder richtig zu bezeichnen. Aber das politische Berlin hyperventiliert, weil Geheimdienste etwas tun, was sie immer getan haben: lauschen, mitschneiden, beobachten. Nachrichtendienste haben schöne Frauen entsandt, um Politiker umgarnen zu lassen, und gutaussehende junge Männer gehören auch zur Grundausstattung jedes erfolgreich wirkenden Geheimdienstes.

Die deutsche Presse erregte sich ebenso wie die Politik. „Obama wollte alles über Merkel wissen“, titelte die Bild am Sonntag, und die Süddeutsche Zeitung fühlte sich schon an den Fall Günter Guillaume erinnert, den DDR-Spion, der 1974 den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) zu Fall brachte. Deutsche Politiker heizten die Stimmung weiter an: Amerikas Präsident Barack Obama „kann nicht so weitermachen“, empörte sich der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder. Grüne und Linke verlangten die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Das hat es noch nie gegeben: Der Bundestag hat in der neuen Legislaturperiode gerade eine Sitzung hinter sich gebracht, und eine neue Regierung ist noch gar nicht gebildet, da wird es schon einen Untersuchungsausschußgeben. Union und SPD beeilten sich mit der Versicherung an die kleinen Oppositionsfraktionen, ihnen die Einsetzung eines solchen Gremiums nicht zu verwehren, obwohl sie nicht genug eigene Stimmen zur Durchsetzung eines solchen Antrages haben. Selbst eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages, in der sich die vier Fraktionen über die Vereinigten Staaten und ihren mit dem Friedensnobelpreis dekorierten Präsidenten empören dürfen, ist mittlerweile für den 18. November anberaumt worden.

Parallel zu den ganzen Debatten über die Spionage der Amerikaner, bei denen das offensichtliche Totalversagen der deutschen Abwehr völlig ausgeklammert wird, laufen in Berlin wichtige Verhandlungen: nämlich die zur Regierungsbildung zwischen Union und SPD. Diese Gespräche finden nur noch reduzierte Aufmerksamkeit. An dem Tag, als ein völlig überdrehter Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung Asyl für den ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden in Deutschland als Mittel „zur Wiederherstellung der gröblichst verletzten deutschen Souveränität“ empfahl, verhandelten die beiden angehenden Regierungspartner Union und SPD in aller Ruhe über die europäische Bankenunion, die Aufgabe des Ziels der Schuldenreduzierung und die Einführung neuer Belastungen der Bürger, etwa durch die Finanztransaktionssteuer. Darüber wurden die Bürger kaum noch informiert. Allerdings dürfte die Rechnung für die Rettung von Europas Banken im nächsten oder übernächsten Jahr die Steuererhöhungen der großen Koalition von 2005, die die Mehrwertsteuer um drei Punkte heraufsetzte, bei weitem übertreffen.

Der innenpolitische Schaden durch die Abhöraffäre, die längst unter der Bezeichnung „Handygate“ die Runde macht, aber besser „Obamagate“ heißen sollte, ist allerdings beträchtlich. Deutsche Politiker scheinen es mit der Wahrheit nicht genau genommen beziehungsweise vorläufigen amerikanischen Angaben, bei denen es sich eher um Ausflüchte gehandelt haben könnte, leichtfertig geglaubt zu haben. Merkel selbst überraschte mit der Aussage, sie erwarte, daß Washington Fragen beantworte, die die Bundesregierung vor Monaten gestellt habe. Vor genau zwei Monaten zeigte sich die Bundesregierung aber sicher, ausführlich informiert worden zu sein und alle Antworten auf ihre Fragen erhalten zu haben.

In einer Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion erklärte sie, es lägen „keine Anhaltspunkte dafür vor, daß eine flächendeckende Überwachung deutscher oder europäischer Bürger durch die USA erfolgt“. Auch lägen ihr „keine Erkenntnisse zu angeblichen Ausspähungsversuchen US-amerikanischer Dienste gegen deutsche beziehungsweise EU-Institutionen oder diplomatische Vertretungen vor“.

Schon am 12. August hatte Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) erklärt: „Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung ist nach Angaben der NSA, des britischen Dienstes und unserer Nachrichtendienste vom Tisch. Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung.“

Es scheint diese millionenfache Grundrechtsverletzung doch zu geben – bis hinauf zur Kanzlerin. Damit muß die Regierung mit dem Vorwurf leben, beim Auftrag, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, versagt zu haben.

Foto: Amerikanische Botschaft, Reichstagskuppel: Noch vor der Regierungsbildung kommt der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen

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