© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Ende einer Ära
Südtirol: Jahrzehntelange Alleinherrschaft der SVP beendet / Zuwächse für Freiheitliche und Süd-Tiroler Freiheit
Reinhard Liesing

Es brach wie ein Schock über sie herein: Erstmals verfügt die seit 1948 in Südtirol bestimmende Volkspartei (SVP) im Bozner Landtag nicht mehr über die absolute Mehrheit. Hatte sie 2008 schon die Stimmenmehrheit verloren, so büßte sie in der Landtagswahl am vergangenen Sonntag auch die Mehrheit der Sitze ein.

Sie kann laut vorläufigem amtlichen Endergebnis bei 45,7 Prozent der Stimmen (ein Minus von 2,4 Prozentpunkten und einem Mandat) im neuen Landtag nur mehr 17 der 35 Sitze einnehmen.

Ihr Spitzenkandidat Arno Kompatscher, bisher Bürgermeister der Gemeinde Völs am Schlern, und als solcher in der Landespolitik ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, will zwar noch genau analysieren lassen, was für das schlechte Abschneiden verantwortlich war. Doch der 43jährige deutete an, daß dafür vor allem die Korruptionsvorfälle rund um den Landesenergieversorger SEL, die auch zu Rücktritten in der Landesregierung geführt haben, ausschlaggebend gewesen sein dürften: „Das war ein Ausdruck von Unzufriedenheit. Es hat ja strafrechtliche Verurteilungen von Mitgliedern der Landesregierung gegeben. Jetzt müssen wir das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnen.“

Während die SVP mit dem für sie schwer verdaulichen Ergebnis hadert, haben die Freiheitlichen (F), „Schwesterpartei“ der österreichischen FPÖ, Grund zum Feiern: Sie verbesserten ihr Ergebnis von vor fünf Jahren von 14,3 Prozent auf 17,9 Prozent und sind damit nun zweitstärkste Kraft im Landtag. Auch die Süd-Tiroler Freiheit (STF), die wie die Freiheitlichen eine Loslösung von Italien verlangt, aber für die Vereinigung Südtirols mit dem österreichischen Bundesland Tirol eintritt (JF 44/13), konnte ein sattes Plus von 2,3 Punkten verzeichnen.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gratulierte den Südtiroler Freiheitlichen zu dem „tollen Ergebnis“ und zeigte sich zudem über das gute Abschneiden der Süd-Tiroler Freiheit erbaut. Der ebenfalls oppositionellen Bürger-Union, die ebenfalls für die Selbständigkeit Südtirols eintritt, gelang es indes trotz Zugängen aus dem Kreis früherer F-Funktionäre sowie eines Bündnisses mit der Ladiner-Partei Ladins nicht, einen weiteren Abgeordneten ins Landesparlament zu entsenden. Sie nimmt, bei 2,1 Stimmenprozenten, weiterhin nur einen Sitz ein. Drittstärkste Kraft im Landtag ist die „interethnische“ Liste der Grünen, die mit 8,7 Prozent und drei (bisher zwei) Sitzen um 2,9 Prozentpunkte zulegte.

Unter den italienischen Parteien kam der bisherige Koalitionspartner der SVP, der linke Partito Democratico (PD), auf 6,7 Prozent (2008: sechs Prozent) der Stimmen und entsendet zwei Abgeordnete ins Landhaus. Jeweils einen Abgeordneten stellen der „Movimento 5 Stelle“ des Komikers Beppe Grillo (2,5 Prozent), die „Forza Alto Adige – Lega Nord“ mit 2,5 Prozent (plus 0,6 Punkte) sowie die weit rechts stehende Partei „Alto Adige nel Cuore“, die auf 2,1 Prozent kam. 2008 hatte die Berlusconi-Partei PdL mit 8,3 Prozent das drittstärkste Listenergebnis errungen. Fünf weiteren Parteien, darunter der kommunistische PCI sowie die Rechtsaußenpartei „Unitalia“, die zusammen auf 4,6 Stimmenprozente kamen, verfehlten jetzt den (Wieder-)Einzug in den Landtag.

Die Wahl erbrachte eine weitere Neuerung für Südtirol: Nach 24 Jahren im Amt des Landeshauptmanns kandidierte der 72 Jahre alte Alois („Luis“) Durnwalder (SVP) nicht mehr. An seine Stelle soll Arno Kompatscher treten. Durnwalder gab sich vom guten Abschneiden von F und STF überrascht: „Damit habe ich nicht gerechnet.“ Daß seine Partei die absolute Mandatsmehrheit verloren habe, sei zu respektieren: „In der heutigen Zeit ist es schwierig, absolute Mehrheiten zu halten.“ Für die SVP bedeute die Tatsache, daß man eine formelle Koalition eingehen müsse, jedoch eine „Umstellung und die Notwendigkeit, mehr Einfühlungsvermögen für den Partner zu zeigen“.

Sollte die SVP mit dem PD, mit dem sie bisher das Kabinett bildete – gemäß Autonomiestatut muß die italienische Bevölkerung in der Regierung vertreten sein – und auf Staatsebene seit den römischen Parlamentswahlen im Frühjahr bündnisvertraglich liiert ist, wieder kooperieren, verfügte man zusammen über 19 (von 35) Sitzen.

Mit den Grünen, die nur allzu gerne mitregieren würden und schon personelle Forderungen erhoben, wäre dagegen eine Koalitionsmehrheit von 20 Sitzen möglich. Dasselbe gilt für eine Verbindung SVP-STF, und 23 Sitze hätten SVP und Freiheitliche zusammen.

Doch beides ist so gut wie ausgeschlossen, denn dafür müßte die SVP einem verbindlichen Akt der Selbstbestimmung, einem Referendum über die Zukunft des Landes zustimmen. Pius Leitner, Spitzenkandidat der Freiheitlichen und eigentlicher Wahlsieger, ließ indes mit der Bemerkung aufhorchen: „Von meiner Seite ist das letzte Wort über eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen noch nicht gesprochen.“ Vor allem hoffe er, daß die SVP „nicht automatisch“ mit der PD eine Regierung bilde.

In Wien unterstrich FPÖ-Chef Strache, die SVP werde „gut daran tun, das Wahlergebnis genau zu analysieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen“. Andernfalls so Strache weiter, fahre der „Zug der Selbstbestimmung schon bei der nächsten Wahl ohne sie ab.“

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