© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Festbankett mit Malzwasser
Auf in den hohen Norden: „Asterix bei den Pikten“ kehrt zum Stil der älteren Hefte zurück
Karlheinz Weissmann

Nun also Asterix bei den Pikten. Nach den Goten, Belgiern, Helvetern, Briten, Normannen, Ägyptern, Indianern, dauernden Begegnungen mit den Römern und gelegentlichen mit Arabern, andereren Orientalen und einigen wenigen Ostasiaten werden die Möglichkeiten knapp. Bleiben die Barbaren ganz am Rand, die Bewohner Schottlands, von den Römern, die den Süden der britischen Haupt-insel besetzt hatten, „picti“, das heißt „die Bemalten“, genannt. Bemalt, weil es zur Übung der Pikten gehörte, sich barbarischerweise und mit auffallend blauer Farbe über und über tätowieren zu lassen.

Ansonsten weiß man wenig von ihnen, und das wenige, das man weiß, kommt ziemlich vollständig im neuesten, am Donnerstag voriger Woche erschienenen 35. Band „Asterix bei den Pikten“ zum Tragen: ihr kriegerischer Charakter und die ruppigen Umgangsformen, die Primitivität der Kultur und die wunderschönen Bildsteine, die sie hinterließen, die Rauheit und Abgeschlossenheit eines Lebensraums, den nicht einmal die Römer unter Kontrolle bringen konnten.

Was der Mangel an Information für das typische Spiel mit den Klischees in Asterix-Geschichten bedeutet, sieht man daran, wie oft auf Aushilfen zurückgegriffen wird, denn wir wissen über die Pikten nicht einmal genug, um sie so „archetypisch“ (Albert Uderzo) darzustellen wie die brutalen Goten, die verschrobenen Briten, die dekadenten Ägypter, die verschlagenen Römer. Geschichte und Optik weichen deshalb regelmäßig auf Schottisches aus, obwohl als direkte Vorfahren der Schotten eher die antiken Skoten, nicht deren feindliche Nachbarn, die Pikten eben, anzusprechen sind.

Die Geschichte des neuen Asterix-Bandes ist im übrigen schnell erzählt: Der piktische Krieger Mac Aphon gerät tiefgefroren in das kleine gallische Dorf. Ursache für dieses Malheur war ein Anschlag des feindlichen Clanchefs Mac Abberh, der sich zum König der Pikten aufschwingen will, Mac Aphon gefangennehmen und ortsüblich – auf einen Baumstamm gekettet und in ein „Loch“ gestürzt – zu töten versucht hatte. Mac Aphon überlebte aber, wurde nur durch den strengen Winter ins Eis gebannt und über die Nordsee bis zu seinen „entfernten Vettern“ getrieben.

Die Tortur hat ihm die Sprache geraubt, was seinen Migrationshintergrund etwas undurchsichtig erscheinen läßt, bis der Druide Miraculix einen Zaubertrank braut, der die Sache (halbwegs) korrigiert. Gemeinsam mit Asterix und Obelix (ohne Idefix!) macht er sich auf den Heimweg, nachdem er im kleinen gallischen Dorf eine ganze Strecke gebrochener Herzen hinterlassen und eine Piktomanie ausgelöst hat. In den Norden zurückgekehrt, gelingt es ihm im Bündnis mit dem kleinen und dem pummeligen Gallier nicht nur, eine römische Invasion zu verhindern und seine verschleppte Braut zu befreien, sondern auch die Machtergreifung Mac Abberhs zu verhindern.

Die notorische Unfähigkeit des Hochlands, sich eine stabile Ordnung zu verschaffen, wird dabei ebenso hübsch in Szene gesetzt wie ein Ursprungsmythos für die Nessie-Legende, und dann lernt man noch anläßlich eines Treffens aller Pikten-Clanchefs den Begriff „Zensurbalken“ in einem völlig neuen Kontext kennen (Abbildung siehe unten). Schließlich ziehen die Helden nach bestandenem Abenteuer wieder nach Hause ins heimische Gallien, und alles endet mit dem unumgänglichen Festbankett. Wobei in diesem Fall nicht nur heimische Cervisia, sondern auch „Malzwasser“ gereicht wird, das die Helden aus dem Piktenland importiert haben.

Man sieht, auch die neuen Macher, der Autor Jean-Yves Ferri und der Zeichner Didier Conrad, folgen dem Muster, nach dem Asterix-Geschichten schon immer konzipiert wurden. Daß die Abweichungen bestenfalls marginal sind, dafür sorgt Albert Uderzo, der überlebende „Vater“ der unbeugsamen Gallier in ihrem Dorf an der Spitze der Bretagne, das allein der römischen Besetzung Widerstand leistet. Uderzo, der schon vor einigen Jahren testamentarisch verfügt hatte, daß es nach seinem Tod keine weiteren Asterix-Bände mehr geben werde, mußte auf Drängen der Tochter des 1977 verstorbenen Texters René Goscinny zustimmen, daß Ferri und Conrad neue Bände umsetzen dürfen. Er selbst will sich mit sechsundachtzig Jahren endgültig zur Ruhe setzen.

Schon früher waren Gerüchte umgelaufen, daß seine Hand ihm beim Zeichnen den Dienst versagt. Inwieweit er erreichen kann, daß seine Nachfolger sich nach seinen Wünschen richten, bleibt abzuwarten. Man weiß auch nicht, ob das wünschenswert ist, denn ohne Zweifel hat die Originalität der Geschichten, die Uderzo nach dem Tod Goscinnys allein zu verantworten hatte, deutlich nachgelassen. Die insgesamt neun Bände (seit „Der große Graben“) wiesen jedenfalls nicht mehr die Originalität und Spritzigkeit der ersten Texte auf.

Die Mehrzahl der Rezensenten von „Asterix bei den Pikten“ zeigt sich deshalb hoffnungsvoll. Es ist auch unbestreitbar, daß die Erzählung wie die Darstellung des Mikrokosmos Gallisches Dorf gelungen sind, daß die Zitate der „Klassiker“ wie die Orientierung neuer Charaktere an den bekannten Mustern der Sache so gut tun wie der altneue Wortwitz, den auch die deutsche Fassung bietet. Vor allem aber ist die Rückkehr zum Stil der älteren Hefte in Farbgebung und „Gedrungenheit“ der Figuren zu begrüßen. Man muß kein Traditionalist sein, um festzustellen, daß die ursprüngliche Fassung dem Auge angenehmer ist als die spätere.

Davon abgesehen waren die Gründe für diese Fortsetzung von Asterix selbstverständlich in erster Linie kommerzielle. Daß der neue Band mit einer Start-auflage von 1,5 Millionen Exemplaren in Deutschland und mit 2,2 Millionen Exemplaren in Frankreich auf den Markt kommt, ist jedenfalls ein starkes Indiz für das Vertrauen in die erfolgreichste Comic-Serie, auch vierundfünfzig Jahre nach ihrem ersten Erscheinen.

Asterix bei den Pikten, Band 35, Egmont Ehapa Verlag, Berlin 2013, Softcover, 48 Seiten, 6,50 Euro (gebunden: 12 Euro)

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