© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/13 / 01. November 2013

Papiergeldmonopol und Währungskrise
Die Staatsschulden streichen
Thorsten Polleit

Staatsschulden sind eine schwere, nicht selten sogar eine katastrophale Hypothek für jedes Gemeinwesen. Sie werden von Regierung zu Regierung, von Wählergeneration zu Wählergeneration aufgetürmt. Die Regierenden sichern ihre Wiederwahl, indem sie das kreditfinanzierte Füllhorn über ihren Wählern ausschütten. Die Regierten lassen sich das nur zu gern gefallen, weil sie hoffen, daß nicht sie, sondern andere, künftige Steuerzahler für die Folgen ihrer Schuldenwirtschaft aufkommen müssen. Und solange sich das Verschuldungskarussell munter und problemlos dreht, werden die, die gerade regieren und regiert werden, bereit sein, artig die Zinsen auf die Altschulden, die nicht sie, sondern ihre Vorgänger aufgetürmt haben, zu entrichten. Denn indem sie für die Altschulden einstehen, kommen auch sie weiter in den Genuß kreditfinanzierter Staatsausgaben.

Mit anderen Worten: Staatsverschuldung ist ein hochprofessionelles „Ponzi-Schema“, aufgebaut auf dem staatlichen Papiergeldmonopol. Dabei wird fortwährend neues Geld per Bankkredit in Umlauf gebracht, Geld, das nicht durch echte Ersparnis gedeckt ist. Durch das Ausweiten der Bankkredite wird der Marktzins künstlich abgesenkt. Die Folgen sind Spekulationswellen, Kapitalfehllenkungen und künstliche Aufschwünge („Booms“), auf die Abschwünge („Busts“) folgen, Geldentwertung und vor allem auch eine immer weiter anwachsende Verschuldung, gerade und vor allem von Staaten und Geschäftsbanken.

Eine Geldpolitik, die mit Zinssenkungen und Kreditausweitungen auf diese Krisensymptome reagiert, verhindert ökonomisch notwendige Bereinigungen. Genauer: Sie verschleppt nicht nur die Gesundung, sondern sie sorgt auch für immer größere Fehlentwicklungen, indem immer mehr knappe Ressourcen in Produktionswege gelenkt werden, die sich nicht rechnen. Solange eine Volkswirtschaft Geld verwendet, das durch Kreditvergabe „aus dem Nichts“ geschaffen wird, ist sie im unheilvollen „Boom-and-Bust“-Zyklus gefangen. Und je länger der künstliche Aufschwung in Gang gehalten wird, desto schwerer wird letztlich die Bereinigungskrise ausfallen.

Daß nach dem Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise Investoren noch bereit sind, fällig werdende Staats- und Bankkredite zu erneuern, ist nicht etwa Zeichen einer Besserung. Der Grund ist vielmehr, daß die Zentralbanken drastisch in das Marktgeschehen eingreifen beziehungsweise es aushebeln. Hätten diese die Zinsen nicht stark abgesenkt und die Basisgeldmengen nicht ausgeweitet, wäre die Zahlungsunfähigkeit von Staaten und Banken längst da. So aber werden die Sorgen der Investoren vor Kreditausfällen eingedämmt, und ihre Bereitschaft, weiter in Staats- und Bankschuldverschreibungen zu investieren, bleibt gewahrt.

Investoren haben erkannt, daß die Zentralbanken ein „Sicherheitsnetz“ gespannt haben. Sie gehen wieder Risiken ein, die sie ohne die Zentralbankversicherung nicht eingehen würden. Sie investieren rücksichtslos – und säen die Saat für die nächste Wirtschaftskrise. Vor allem aber steigt wegen der künstlich reduzierten Zinsen der Anreiz zum weiteren Verschulden; die Verschuldungslast in vielen Ländern wächst weiter an.

Um die realen Schuldenlasten zu vermindern, haben sich die Zentralbanken bereits darangemacht, die Marktzinsen so weit zu drücken, daß sie nach Abzug der Inflation negativ sind. Damit soll eine gestreckte schleichende Entwertung des Geldes zum Schuldenabbau auf den Weg gebracht werden: Sparer werden enteignet zugunsten der Kreditnehmer.

Die staatlichen Eingriffe in die Zinsbildung und die schleichende Inflationierung werden immer umfangreichere Interventionen der Regierung zur Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft erforderlich machen. Andernfalls heben die Kräfte des freien Marktes das Schuldsystem aus den Angeln. Und so wird die Marktwirtschaft durch immer mehr Auflagen, Regularien und Ge- und Verbote untergepflügt, ein sozialistisch-kollektivistisches Gemeinwesen entsteht. Mit anderen Worten: Das staatliche Schuldgeldregime lenkt das Gemeinwesen in die Unfreiheit.

Die Steuerbürger sind weder willens noch in der Lage, den gigantischen Staatsschuldenberg, der über Generationen hinweg von wechselnden Regierungen aufgetürmt wurde, abzutragen. Was ist also von dem Vorschlag zu halten, die Staatsschulden ganz oder teilweise zu streichen? Ethische Argumente sprechen dafür. Schließlich setzt der Halter von Staatsanleihen darauf, daß der Staat durch die Erhebung von Steuern unschuldigen Dritten die fälligen Zinszahlungen erfolgreich abpressen wird. Bei einem Schuldenerlaß wird diesem geradezu faustischen Pakt ein Ende gesetzt. Ein Schuldenerlaß befreit die Steuerzahler vom Joch, für Schulden aufkommen zu müssen, die sie sich nicht selbst, sondern die andere ihnen aufgebürdet haben.

Mit dem Streichen von Staatsschulden würden die Ansprüche von Banken und Versicherungen, soweit sie in Staatsanleihen investiert haben, herabgesetzt oder in Eigenkapitalanteile umgewan-delt („Debt-for-Equity-Swap“). Das wiederum würde letztlich natürlich auch die Halter von Ansprüchen gegenüber Staaten und Banken treffen, sprich die Sparer. Das Streichen der Staatsschulden wäre absehbar mit erheblichen Turbulenzen auf den Finanzmärkten und wohl auch mit einer schweren Rezession verbunden. Die Marktzinsen würden stark steigen, nicht nur für Staatsanleihen, sondern auch für Unternehmens- und Verbraucherkredite. Investitionen und Arbeitsplätze, die durch die staatliche Schuldenpolitik befördert wurden, gingen verloren. Der Schlag, der mit der Streichung der Staatsschulden für Wirtschaft und Gesellschaft verbunden wäre, könnte wohl weitreichender nicht sein. Für viele, die von der Großartigkeit und Unverzichtbarkeit des Staates und seines Papiergeldes für das Gemeinwesen überzeugt sind, gäbe es einen vermutlich traumatischen Schock.

Das erklärt auch, warum Regierende und Regierte alles daransetzen, den staatlichen Kredit und alles, was an ihm hängt, so gut und so lange es eben geht, zu wahren und dem Errei-chen dieses Ziels alles unterzuordnen, einschließlich Recht und Freiheit. Das treibt im Euro-Raum bereits besondere Blüten: Nicht mit Vernunft und Sorgfalt, sondern aus schierer Furcht vor Zahlungsausfällen von Staaten und Banken setzt sich die Europäische Zentralbank (EZB) über das Recht hinweg, werden Rettungsschirme und Bankenunion auf den Weg gebracht, wird eine Haftungsunion durch die Hintertür geschaffen, soll das Föderale in das Zentralistische überführt werden, soll zwangszusammenwachsen, was nicht zusammenwachsen kann und will.

Doch all diese Maßnahmen werden keine Lösung des Kernproblems bringen, zumal die Schulden noch weiter ansteigen werden. Nach Jahrzehnten eines mit Papiergeld genährten Schuldenwahns wäre es naiv, auf eine schmerzfreie Lösung der aufgelaufenen Probleme zu hoffen. Vor allem in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Bedrängnis – Rezession und Massenarbeitslosigkeit – wird die Verlockung groß sein, im Anwerfen der Notenpresse die Politik des kleinsten Übels zu erblicken. Doch auch eine solche Inflationspolitik – die mit großen Kosten verbunden ist – wird die Volkswirtschaften letztlich nicht vor einer gefürchteten Wirtschaftskrise bewahren: Eine Inflationspolitik wird in einer Wirtschaftskrise enden.

Über das Streichen der Staatsschulden muß nicht nur nachgedacht werden; und wann immer sich eine Gelegenheit dafür bietet, sollte zur Tat geschritten werden. Selbst kleine Schuldenschnitte sind Schritte in die richtige Richtung. Allerdings wäre das allein noch nicht ausreichend, die Lage nachhaltig zu bessern. Die Herkulesaufgabe wird es vielmehr sein, zu einem ökonomisch und ethisch akzeptablen Geldwesen zu gelangen. Dazu ist es erforderlich, das staatliche Geldproduktionsmonopol zu beenden und durch eine privatisierte Geldproduktion – einen Währungswettbewerb – zu ersetzen. Für Marktakteure muß es möglich sein, „gutes Geld“ anzubieten, und Geldnachfragern muß die Möglichkeit eröffnet werden, dasjenige Geld nachfragen zu dürfen, das ihren Wünschen am besten entspricht.

Im Euro-Raum etwa hätte ein Währungswettbewerb vor allem vier Vorteile:

Erstens erhöht sich der disziplinierende Druck auf die EZB, die Kaufkraft des Euro zu wahren. Denn wenn sie weiterhin eine inflationäre Geldpolitik verfolgt, wertet der Euro für alle sichtbar gegenüber den konkurrierenden Währungen ab. Damit also der Euro marktfähig bleibt, muß die EZB zu einer besseren Politik umschwenken.

Zweitens: Der Druck auf die nationalen Regierungen steigt, ihre Staatsfinanzen zu gesunden, und die Banken werden gedrängt, ihr Geschäftsvolumen auf ein ökonomisch vernünftiges Maß zurückzustutzen. Beide können dann nämlich nicht mehr wie bisher davon ausgehen, daß die EZB ihnen zu künstlich gesenkten Zinsen unbeschränkt Geld bereitstellt – zum Schaden der Kaufkraft des Geldes.

Drittens: Ein Währungswettbewerb beendet die Privilegien, die das staatliche Geldproduktionsmonopol einigen wenigen auf Kosten vieler verschafft; er steht damit letztlich auch der wachsen-den staatlichen Aggression gegen die Freiheitsrechte des einzelnen entgegen.

Und viertens: Ein Währungswettbewerb würde die Bürger in bestmöglicher Weise vor einem Mißerfolg der Euro-Einheitswährung schützen – der mit einer Zerstörung der Kaufkraft des Euro und der in Euro denominierten Ersparnisse verbunden wäre.

 

Prof. Dr. Thorsten Polleit, Jahrgang 1967, ist Chefökonom der Degussa Goldhandel GmbH und Präsident des Ludwig von Mises Instituts Deutschland. Er lehrt als Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance & Management.

Foto: Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler (Stand 28.10.2013): Ein Schuldenerlaß befreit die Steuerzahler von dem Joch, für Schulden aufkommen zu müssen, die andere ihnen aufgebürdet haben.

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