© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Vom Traum zum Alptraum
Tragikomödie: Woody Allens neuer Kinofilm „Blue Jasmine" überzeugt mit einer großartig spielenden Cate Blanchett in der Hauptrolle
Wolfgang Paul

Jahr für Jahr bringt Woody Allen einen neuen Film heraus, und jedesmal wählt er einen anderen Ort für die Dreharbeiten. Nach seinen höchst amüsanten Paris- und Rom-Ausflügen in „Midnight in Paris“ und „To Rome with Love“ ist diesmal San Francisco an der Reihe. Doch die Stadt in Kalifornien dient lediglich als Kontrast zu New York. Dort nimmt „Blue Jasmine“, die Geschichte von einer in Zeiten der Finanzkrise abgestürzten High-Society- Lady, ihren Anfang.

Die Rolle der Jasmine scheint Cate Blanchett auf den Leib geschrieben. Sie spielt dieses Luxusgeschöpf mit solch einer Wucht, daß sie für diese darstellerische Glanzleistung mindestens mit einer Oscar-Nominierung belohnt werden sollte. Egal, ob sie in ihrer noblen Wohnung in Manhattan residiert, ob sie mit ihrem smarten Gatten Hal (Alec Baldwin), einem reichen Finanzjongleur, auf einer noblen Abendgesellschaft Eindruck schindet oder ob sie durch die Arbeiterviertel von San Francisco stolziert und die „einfachen Leute“ ertragen muß, immer gibt sie den vollen Einsatz.

Bei ihrer Ankunft in San Francisco hat Jasmine bereits den ersten Nervenzusammenbruch hinter sich. Ohne Unterlaß redet sie im Flugzeug und am Flughafen auf die unbekannte Sitznachbarin ein. Jasmine wirkt mit ihrem Louis-Vuitton-Gepäck wie eine Frau aus gutem Hause, aber etwas aufdringlich – und das paßt nicht so ganz zu ihrer eleganten Erscheinung.

Ehemann Hal ist mit seinen Finanzschwindeleien aufgeflogen und sitzt im Gefängnis. Das ganze Geld hat der Staat, klagt Jasmine unentwegt. Sie will zu ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins), die in San Francisco in einfachen Verhältnissen mit zwei Söhnen und einem Lebensgefährten wohnt. Ginger ist der letzte Rettungsanker, aber im Grunde unter ihrem Niveau. Gingers Freunde haben in ihren Augen keine Manieren, die beiden Neffen sind zu laut, der unattraktive Zahnarzt, bei dem sie widerwillig eine Stelle am Empfang angenommen hat, wird zudringlich und muß abgewehrt werden. Sie besucht eine Abendschule, um dem mißlichen Zustand zu entrinnen.

Hier entfalten Allen, seine Schauspieler und vor allem seine Hauptdarstellerin das komödiantische Potential der Geschichte. Es sind die Stellen, in denen Klischees mit ironischer Distanz vorgeführt werden. Amüsiert schaut man zu, wie sich die angeschlagene Jasmine durch die Unterschicht kämpft, wie sie mit Antidepressiva und Alkohol versucht, über die Runden zu kommen.

Parallel zu ihren Versuchen, in San Francisco einen Neustart hinzulegen, erzählt der Film in Rückblenden von ihrer Vergangenheit in New York. Er schildert, wie der verschlagene Hal Gingers Mann überredet hat, den unverhofften Lotteriegewinn bei ihm anzulegen (niedriges Risiko, hohe Rendite, man kennt die Sprüche), wie diese Geldanlage dann im Totalverlust endete und wie Gingers Ehe noch dazu zerbrach.

Die Rollen der beiden Schwestern sind klar umrissen: Für Ginger, schon in Kindheitstagen die Verliererin, die nicht über das Arbeitermilieu hinausgekommen ist, hat sich der amerikanische Traum nie verwirklicht. Jasmine, die mondäne Schwester auf der Sonnenseite des Lebens, hat Aufstieg und Fall erlebt. Ihr amerikanischer Traum hat sich in einen Alptraum verwandelt. Doch sie weigert sich, dies zu akzeptieren. Sie lebt in einer Phantasiewelt, gibt vor, von den Betrügereien ihres Mannes nichts gewußt zu haben, und erteilt von oben herab der Schwester Ratschläge. Ginger habe nie den richtigen Mann gefunden, auch ihr derzeitiger Partner sei ein Verlierer. Sie ist eine Wesensverwandte der Blanche DuBois aus Tennessee Williams Stück „Endstation Sehnsucht“, die Cate Blanchett auch selbst im Theater gespielt hat.

Für Jasmine naht Rettung in Gestalt des noblen Dwight (Peter Sarsgaard), dem eine Diplomatenkarriere winkt. Ihn lernt sie auf einer Party kennen. Er könnte Jasmine wieder in die Höhen der Gesellschaft führen, mit ihm könnte sie glänzen und er mit ihr. Das alte Gesellschaftsspiel könnte erneut beginnen. Angesichts solcher Verlockungen erfindet Jasmine flugs einen neuen Lebenslauf. Kann sie damit durchkommen? Kann sie wieder aufsteigen wie einst der skrupellose Chris Wilton in Allens rabenschwarzem Krimi „Match Point“?

„Blue Jasmine“ ist mit der bei Allen üblichen Swing-Musik unterlegt. „Blue Moon“ ist Jasmines Lieblingsstück, verbunden mit der Erinnerung an bessere Tage. Die unangestrengt fließende Musik steht zudem im Kontrast zu Jasmines garstiger Realität. Auch sie gehört zu den Stilmitteln, die dem Film jene unvergleichliche Woody-Allen-Stimmung verleihen.

So ist das Leben, oder so kann es zumindest sein, möchte man am Ende dieser großartigen Tragikomödie sagen. Und wie bei allen herausragenden Beispielen dieser Gattung mag man weder den erheiternden noch den erschütternden Momenten den Vorzug geben.

Foto: Leben in der High-Society: Jasmine (Cate Blanchett) und ihr Mann Hal (Alec Baldwin); rechts im Bild: ihre Schwester Ginger (Sally Hawkins) und deren Lebensgefährte, die in einfachen Verhältnissen leben

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