© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Sehnsucht nach einer heilen Welt
Seltsame These: Eine Ausstellung im Militärhistorischen Museum in Dresden wirft der Romantik vor, Urheber von „Nationalismus und Völkerhaß" zu sein
Paul Leonhard

Blutige Romantik – 200 Jahre Befreiungskriege gegen Napoleon“ ist eine Sonderausstellung überschrieben, die gleich zu Beginn mit einer – um das mindeste zu sagen – höchst seltsamen These aufwartet: Die deutsche Romantik „gebar Nationalismus und Völkerhaß“. So steht es auf einer Tafel im Foyer des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden. Poeten wie Theodor Körner hätten „die romantische Idylle im Blut der erschlagenen Gegnerschaft“ ertränkt.

Gleichzeitig wird dem Besucher nahegelegt, alles in Zweifel zu ziehen, was er bisher über die Befreiungskriege gegen Napoleon gehört und gelesen hat: „Bewegten die Reden Fichtes, die Gedichte Eichendorffs und die Bilder Schinkels oder Friedrichs ihre Zeitgenossen so sehr, daß ‘Alle, Alle kamen’, als der König von Preußen im März 1813 sein Volk zu den Waffen rief?“ Bereits im Faltblatt zur Schau steht die zweifelhafte Antwort: „Von einer seit 1813 oft beschworenen deutschen Erhebung gegen Napoleon konnte allerdings keine Rede sein. Getragen von Protagonisten der deutschen Romantik wurde diese Legende jedoch zu einem Leitmotiv der Wahrnehmung der Befreiungskriege.“

Die Ausstellung selbst kommt vergleichsweise gediegen, informativ und ohne Platitüden daher. Aus der Fülle des zur Verfügung stehenden Materials wurden sorgfältig etwas mehr als 500 Exponate ausgewählt. Dem Besucher bleibt es überlassen, wie detailliert er sich informieren will. In den mit Eichenlaub geschmückten Vitrinen sind Uniformen, Helme, Fahnen, Pistolen und andere Ausrüstungsgegenstände, Zeichnungen, Urkunden, Porträts sowie Medaillen und andere Erinnerungsstücke zu sehen. In einer tanzen schier frei in der Luft schwebend Säbel. Den Verlauf der Schlachten können Interessierte an Medienstationen verfolgen. Gleich zu Beginn, noch im Vorraum, ist auf einer Wand großformatig Theodor Körners aus dem Jahr 1810 stammendes Gedicht „Die Eichen“ zu lesen. In der letzten Strophe heißt es: „Ach, wie hilft’s, daß ich den Schmerz erneue?/ Sind doch alle diesem Schmerz vertraut!/ Deutsches Volk, du herrlichstes von allen,/ Deine Eichen stehn, du bist gefallen.“ Dem gegenübergestellt ist eine umfangreiche Sammlung von Napoleon-Nippes zu sehen, die der Kammerherr Werner von Heynitz auf Weicha (1866–1926) zusammengetragen hat: Büsten, Briefbeschwerer, Pfeifenköpfe sogar eine Büchse Napoleon-Heringe.

An der Frage, ob man Napoleon verehren oder verdammen soll, scheiden sich bis heute die Geister. Auch für die als Reaktion auf die vernunftgerichtete Philosophie der Aufklärung entstandene Romantik war er sowohl Held als auch Antiheld. Die Französische Revolution mit ihren liberalen und demokratischen Ideen und die folgende Unterjochung Europas durch Napoleon weckten die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach einem harmonischen Ganzen.

Mit dem Zusammenbruch Preußens und der Zerschlagung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation habe die Romantik alles „Welsche“ abgelehnt und ihre Sinnbilder aus der deutschen Geschichte und Kultur gewählt, heißt es im Ausstellungstext: deutsche Eichen, altdeutsche Tracht, ein deutscher Wald, der die kecken Eroberer verschlingen sollte.

Ganz anders, nämlich still und melancholisch, kommt das erste Gemälde der Ausstellung daher: Georg Friedrich Kerstings „Die Kranzwinderin“ aus dem Jahr 1815. Es handelt sich um eine wandhohe Reproduktion. Auch ein anderes bekanntes Ölgemälde Kerstings – im Original 46 mal 35 Zentimeter – ist derart vergrößert: „Theodor Körner, Karl Friedrich Friesen und Heinrich Hartmann als Lützower Jäger in den Befreiungskriegen“. Der Sachse Körner hatte im Frühjahr 1813 seine Stelle als k.u.k. Hoftheaterdichter aufgegeben und sich als Freiwilliger zum Königlich Preußischen Freikorps des Majors von Lützow gemeldet.

Während sich die meisten deutschen Könige und Fürsten gerade noch rechtzeitig, die Bayern zehn Tage vor der Völkerschlacht, auf die Seite der Gegner Napoleons schlugen, konnte sich Sachsens König Friedrich August I. dazu nicht durchringen. Daran und an den Verlust von zwei Drittel des Königreiches erinnerte man sich am sächsischen Hof nur ungern. So freute man sich lieber an Gemälden, die die sächsischen Kürassiere nach der Schlacht bei Friedland zeigten. Dort hatten die Sachsen im Verband der napoleonischen Großen Armee über eine russische Armee gesiegt. Überhaupt feierten die deutschen Staaten bis 1918 die Höhepunkte ihrer eigenen Militärgeschichte, selbst wenn diese konträr zu allen deutschnationalen Ambitionen standen.

Texte an den Vitrinen erläutern, warum welcher Staat wie lange auf welcher Seite kämpfte. Durch den Wechsel der Perspektiven gewinnt der Besucher ein differenziertes Bild auf die Epoche und Deutungen der Ereignisse. Auf dem grauen Steinfußboden ist in roter Schrift alle anderthalb Meter in chronologischer Reihenfolge eine andere Schlacht benannt: von Elchingen am 14. Oktober 1805 bis zur Belagerung Straßburgs Ende Juni 1815. Wer die Zahl der bei diesen 84 Schlachten getöteten oder verwundeten Soldaten zusammenzählt kommt auf mindestens eine Million.

Etwa 4,5 Millionen Europäer leisteten zwischen 1792 und 1815 Militär- und Kriegsdienst. Die Konflikte wurden in Massenheeren ausgefochten. Offiziere wechselten einerseits wie in der Blütezeit des Söldnerwesens ihre Dienstherren, andererseits wurde die Wehrpflicht angewendet, wurde in Spanien ein Guerillakrieg geführt, bildeten sich vom Gedanken der Nation getragene Freikorps. Den deutschen Herrscherhäusern ging es dagegen keineswegs um die deutsche Einheit, sondern um ihren Platz bei einer Neuordnung Europas. Auch auf das ernüchternd ausfallende Urteil der Militärhistoriker bezüglich von Freiwilligen Jägern und Landwehr weist die Ausstellung hin. Diese seien von sehr unterschiedlicher Qualität gewesen. Die Hauptlast hätten in den Befreiungskriegen auf preußischer Seite Linientruppen getragen, die Freikorps bestenfalls als Werbeträger des Befreiungskrieges gewirkt.

Beleuchtet wird auch die Rolle der Befreiungskriege bis in die Gegenwart. Die Erinnerung an diese spiele in der Gedenkkultur und im Brauchtum in den östlichen Bundesländern eine nicht unwesentliche Rolle, heißt es. In anderen Teilen Deutschlands sei zwar die „Franzosenzeit“ in Flurnamen oder Lehnwörtern präsent, das Wissen zu deren Herkunft aber wenig verbreitet.

In einem getrennten Raum zeigt die Ausstellung unter dem Titel „Zinnfiguren bluten nicht“, wie das Thema anhand von Miniaturfiguren und Modellen verarbeitet wurde.

Die Ausstellung „Blutige Romantik – 200 Jahre Befreiungskriege gegen Napoleon“ ist bis zum 16. Februar im Militärhistorischen Museums der Bundeswehr Dresden, Olbrichtplatz 2, täglich außer mittwochs von 10 bis 18 Uhr, montags bis 21 Uhr, zu sehen. Der Eintritt kostet 5 Euro (ermäßigt 3 Euro). Telefon: 03 51 / 8 23-28 03

Der Ausstellungskatalog (Sandstein-Verlag) mit 248 Seiten und 284 meist farbigen Abbildungen kostet 19 Euro.

www.mhmbw.de

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