© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/13 / 08. November 2013

Knapp daneben
Lammerts autoritäres Politikverständnis
Karl Heinzen

Norbert Lammert, der alte und neue Bundestagspräsident, ist mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen unzufrieden. Dem ginge es nur noch um „Quote, Quote, Quote“, sein eigentlicher Auftrag, „seriös“ zu informieren, käme dabei zu kurz. Folglich stelle sich für ihn die Frage, ob Rundfunkgebühren noch zu rechtfertigen seien.

Da Lammert seine Schelte nicht in einer Talkshow, sondern auf einer exklusiven Veranstaltung vortrug, dürfte sie kaum ein Bürger wahrgenommen haben. Allerdings ist auch zu bezweifeln, daß seine Argumente eine breitere Öffentlichkeit überzeugen könnten. Der Ärger über die Rundfunkgebühren ist zwar weit verbreitet. Da sie nicht aus der Welt zu schaffen sind, möchte der Zuschauer aber wenigstens eine akzeptable Gegenleistung. Pausenlos wird er in unserer Wissensgesellschaft mit Appellen überschüttet, ja das lebenslange Lernen nicht zu vergessen. Wenigstens abends vor dem Bildschirm möchte er einmal ausspannen können und nicht noch irgendwelche Belehrungen über sich ergehen lassen.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der diesem berechtigten Bedürfnis der Gebührenzahler nach Unterhaltung ohne übertriebenen Anspruch nicht Rechnung trägt, verspielt in einer Demokratie seine Existenzberechtigung. Wenn sich Norbert Lammert die Forderung zu eigen macht, daß die Fernsehsender weniger nach dem zu fragen hätten, was die Zuschauer sehen wollen, sondern nach dem, was sie sehen sollten, offenbart er damit ein zutiefst autoritäres Politikverständnis, das ihn für sein hohes Staatsamt disqualifiziert.

In einer freien Gesellschaft ist niemand legitimiert, den Bürgern Informationen aufzudrängen und sie dafür auch noch zwangsweise zur Kasse zu bitten. Bereits die Entscheidung darüber, was als Information zu gelten hat und was nicht, ist anmaßend. Viele Menschen meinen, daß es für ihr Leben viel hilfreicher ist, die aktuelle Form von Bayern München oder die Qualität neuer „Tatort“-Produktionen am Bildschirm begutachten zu können, als irgendwelche Politikermeinungen zu weltfremden Themen kennenzulernen. Wer wollte ihnen dieses Recht absprechen?

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