© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Lockerungsübungen in Wiesbaden
Regierungsbildung: Auch in Hessen stehen Union und SPD trotz persönlicher Differenzen vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen
Ansgar Lange

Beim dritten Sondierungsgespräch zwischen CDU und SPD in Hessen soll in der vergangenen Woche viel gelacht worden sein. Dies ließen Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der SPD-Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel verlauten. Zumindest atmosphärisch könnte dies auf eine Anbahnung von Koalitionsgesprächen hindeuten. Sollte in Wiesbaden eine Elefantenehe zwischen den beiden „Volksparteien“ geschlossen werden, dürften allerdings die Hessen nicht mehr viel zu lachen haben. Denn eins zeigen bereits die schwarz-roten Gespräche in Berlin: Wenn sich Sozialdemokraten und Union prächtig verstehen, dann geht es den Bürgern ans Bare.

Derzeit spricht viel dafür, daß am Montag bei einem letzten Gespräch Union und Sozialdemokraten den Weg frei machen für eine Große Koalition, obwohl sich die beiden Hauptverhandlungspartner (noch) nicht besonders sympathisch sind. Doch auch hier zeigt das Beispiel Berlin, daß aus Wahlkampfgegnern ganz schnell verliebte Turteltäubchen werden können. Die Schamgrenze ist bei Politikern nicht sehr ausgeprägt. Nun ist das Klima im Wiesbadener Landtag schon immer etwas ruppiger gewesen. Doch Lockerungsübungen sind unübersehbar. Daß die beiden Parteichefs nach dem dritten Gipfel, der vornehmlich den Finanzen und dem Landeshaushalt gewidmet war, gemeinsam vor die Presse traten, zeigt, daß einige Gräben zugeschüttet und zumindest der gegenseitige Respekt gewachsen ist.

Beim vierten Sondierungsgespräch will man das Thema Schule angehen; in Hessen war dies immer ein Schlachtfeld für ideologische Scharmützel. Aber muß dies auch in Zukunft so sein? Die Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen haben ihr schulpolitisches Programm doch auch weichgespült, die Sekundarschule mit aus der Taufe gehoben und der Hauptschule ohne Emotionen adieu gesagt – und als Belohnung gab es noch nicht einmal Ministersessel, sondern nur einen „Schulfrieden“.

Die Großwetterlage im Bund sowie der Hinweis von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, die Linken in Hessen seien „Irre im politischen Sinne“ sprechen nicht für ein rot-rot-grünes Bündnis in Wiesbaden, auch wenn rund ein Drittel der hessischen SPD-Abgeordneten sich dies so wünscht. Noch hat Bouffier mehr Trümpfe und Koalitionsmöglichkeiten in der Hand als seine politischen Mitbewerber, doch spätestens nach der nächsten Bundestagswahl dürften rot-rot-grüne Bündnisse kein Tabu mehr sein, denn sonst haben die Sozialdemokraten kaum eine Chance auf die Chefsessel in Bund und Ländern.

Die inhaltlichen Knackpunkte in einem solchen Bündnis sind in Hessen vor allem die Finanzfragen und der Flughafen in Frankfurt. Die Linken wollten die Sparpolitik beenden. Der von den Grünen geforderte Stopp für den Ausbau des Flughafens dürfte der CDU-Basis nicht zu vermitteln sein. Da kann man schulpolitische Kompromisse mit der SPD vielleicht besser verkaufen. Auch das angespannte Verhältnis zwischen Bouffier und dem grünen Landesvorsitzenden Tarek Al-Wazir ist nicht dazu angetan, den Sprung über ideologische Gräben zu erleichtern. Daß sich der CDU-Frontmann und sein Widerpart von der SPD derzeit bei den Koalitionsgesprächen in der Hauptstadt gegenübersitzen, spricht ebenfalls für eine Annäherung ihrer Parteien. Auch wenn alle Seiten betonen, die übrigen Gespräche, etwa zwischen Union und Grünen, würden ernsthaft geführt.

Die Bürger müssen noch ein wenig Geduld aufbringen. Der neue Landtag kommt in Hessen erst am 18. Januar nächsten Jahres zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Sollte es bis dahin keine neue Koalition geben, dann bliebe die christlich-liberale Landesregierung geschäftsführend im Amt. Doch spätestens kurz vor Weihnachten möchte Merkel die schwarz-rote Bundesregierung als Geschenk unterm Tannenbaum im Kanzleramt liegen haben. Steht die Regierung in Berlin erst mal, dann werden sich Schwarze und Rote in Hessen nicht mehr lange zieren. Der „Volker“ und der „Thorsten“ werden sich dann vielleicht schon ganz doll mögen.

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