© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Dem Verrotten preisgegeben
Das letzte Gold verfallener Sterne: Vor hundert Jahren erschienen die Gedichte Georg Trakls
Jens Grunwald

Das barocke Salzburg, von der Abendsonne in die Farben verblühenden Flieders versenkt, eine „verstorbene Stadt“, war die Geburtsstätte des wohl letzten Dichters Österreichs, der in seiner Verletzbarkeit den Trug erkannte, der in den namenlosen Zeitläuften um ihn anhob. „Ich sehne den Tag herbei, an dem die Seele in diesem unseligen von Schwermut verpesteten Körper nicht mehr wird wohnen wollen und können, an dem sie diese Spottgestalt aus Kot und Fäulnis verlassen wird, die ein nur allzugetreues Spiegelbild eines gottlosen, verfluchten Jahrhunderts ist.“

Am 3. Februar 1887 in eine aus Böhmen und Donauschwaben stammende bürgerliche Familie geboren, wähnten Georg Trakl während seiner Schulzeit Kameraden als jemanden, der für sich lebte und nichts ernst nahm, was den anderen galt. Das Apokalyptische und die von den frühen Gedichten an beschworene Verdammnis des Geschlechts, aus dem Trakl stammte, dürfte in weiten Teilen nicht nur auf familiäre Umstände zurückzuführen sein. Vielmehr scheint den jungen Dichter der mangelnde Halt und die trügerische Identität des zeitgenössischen k. u. k. Österreich als absterbende Spätzeit stark geprägt zu haben. Der Dämonismus der Unumkehrbarkeit erhebt sich als Schatten über das Dasein des Individuums.

Erste literarische Versuche erschienen in Wiener Zeitschriften. Wenige hielten dem von Jahr zu Jahr mehr sich verdüsternden und in seiner Tätigkeit als Apotheker über den Wein hinaus Zugang zu betäubendem und euphorisierendem Rausch sich verschaffenden Trakl die Treue. Neben Freundschaften aus der Jugend ist hier besonders Ludwig von Ficker hervorzuheben, der in Innsbruck als Herausgeber des Brenner den auch vom Magier der deutschen Sprache Karl Kraus geschätzten Trakl förderte und in verschiedene Richtungen vermittelte.

Nach mehreren Ansätzen erschien der erste Band „Gedichte“ im Sommer 1913 bei Kurt Wolff in Leipzig in der Reihe „Der jüngste Tag“. Diese Sammlung hätte nach Trakl, der zu dieser Zeit beruflich bereits gescheitert war, den Titel „Dämmerung und Verfall“ tragen sollen.

Die Religiosität Georg Trakls ist die Enthebung des einzelnen in schicksalhafte Einsamkeit. Das Unaufhaltsame des Vergehens, die zwanghafte Abfolge des Bestimmten ist die brennende und zehrende Flamme, in der er grauend vergeht: Offenbarung und Untergang. Die Ängste Trakls vor dem Treibenden des Schicksals lassen ihn im Rausch und Versuchen des Vergessens den festen Pfad suchen, den er im Dunkel nur ertasten kann und in sich das Ganze erahnt, das dem Tode geweiht ist am herbstlichen Abend der Verwüstung: „Erschütternd ist der Untergang des Geschlechts.“

Dichtung war Trakl von Bewegung und Gesichten erfülltes Ringen, „um der Wahrheit zu geben, was der Wahrheit ist“. Während ihm in seinem zeitlich kurzen Schaffen die Lyrik Heimat und Zuflucht war, so letztlich nur in der Menschlichkeit, die sie widerspiegelnd formte. Das Gedicht, so schreibt er einmal, sei eine „unvollkommene Sühne“.

Die infernalische Unabdingbarkeit der Vereinzelung, die dem zwanzigsten Jahrhundert als gestaltbildend eingewoben ist, die Verdammung zur Unberührbarkeit im Zuviel der Worte, in der Geschäftigkeit, in dem Aneinandervorbeileben – die Zeitgenossenschaft einer in allen Anlagen dem Verrotten preisgegebenen Zeit läßt Trakl in Verzweiflung zurück, auch den wenigen Nebenmenschen gegenüber, denen er sich nahe fühlte durch Innigkeit und Aufnahme.

Der Schluß, den er aus allem zieht: „Man kann sich überhaupt nicht mitteilen“ ist Symptom für ein Säkulum, das von sich glaubt, in ewiger Gegenwärtigkeit sich zu erfüllen und sich Sinn zu sein. Die Qual der erlöschenden Tage, „umschmeichelt von Verfalle“, ist die Stifterin der Entseelung. Bei Ludwig Klages heißt es im „Kosmogonischen Eros“: „Der Weg zum Leben geht durch den Tod des Ichs, und so ist denn für jedes geistige Wesen das Leben nur um den Preis des Todes feil.“

Georg Trakl, der dichterisch mit Hölderlin eng verwandt ist, war womöglich ein österreichischer Norbert von Hellingrath. Wie dieser ging er im Mahlstrom des Ersten Weltkrieges unter. Nach Einsatz in einem Lazarett am galizischen Kriegsschauplatz, den Trakl in seinem letzten Gedicht „Grodek“ schildet („Alle Straßen münden in schwarze Verwesung/ Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen/ Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,/ Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter“), schließt sich ein Selbstmordversuch und Einweisung in die Psychiatrie des Krakauer Garnisonsspitals an. Er stirbt dort an einer Überdosis Kokain am 3. November 1914.

Despektierlich sprach die Literaturgeschichte späterhin von einer „Trakl-Kirche“, bezeichnend jene Wenigen, die sich um das Werk als Schlüssel bemühten und sich nicht in der Pathogenese – also einer Beschreibung der Entstehung und Entwicklung einer Krankheit – erschöpften. In einer biographischen Retrospektive schreibt Werner Riemerschmid über den Tod Trakls und dessen Interpreten: „Die würden über das Wort Phantasie lachen oder über Reinheit! Über Menschlichkeit! Wer ahnte denn, wer wußte denn, wer er war? In welchen Geheimnissen sein Leben wurzelte? Aus welchem Urgrund die Blume seiner Einsamkeit hervorwuchs?“

Jens Grunwald, Jahrgang 1979, ist Kurator des Otto-Huth-Archivs in Celle.

Georg Trakl: Die Dichtungen. Insel-Verlag, broschiert, 198 Seiten, 9 Euro

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