© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Pankows „Sputnik“-Schock
DDR-Zensur: Das Verbot eines Sowjetmagazins wurde zum Sargnagel der SED-Herrschaft
Thorsten Hinz

Im Oktober 1988, gut ein Jahr vor ihrem faktischen und zwei Jahre vor ihrem offiziellen Ende, erlitt die DDR ihren Sputnik-Schock. Sputnik hieß eine sowjetische Hochglanzzeitschrift, benannt nach dem ersten künstlichen Erdsatelliten, mit dem die Sowjetunion im Oktober 1957 den Westen schockiert hatte.

Der Sputnik war für Leser im Ausland gedacht, 180.000 Exemplare erschienen auf deutsch. Er war dem amerikanischen Reader’s Digest nachempfunden, die Papier-, Druck- und Fotoqualität stach scharf aus dem Einheitsgrau der Zeitungen und Zeitschriften in der DDR hervor.

Auf vordergründige Belehrungen wurde verzichtet, die Kulturberichte waren solide, die Reportagen über die Land- und Völkerschaften im Riesenreich von exotischem Reiz. Der Sputnik bot das Bild einer Sowjetunion, mit der man gern gut Freund gewesen wäre. Doch den Lesern war klar, daß es sich um ein Propagandabild handelte.

Ab Mitte der 1980er Jahre, nach dem Machtantritt Michael Gorbatschows, wurde die Zeitschrift richtig interessant. Gorbatschow hatte Glasnost, Offenheit, verordnet, und der Sputnik stieß verschlossene Fenster auf. Sie gaben den Blick frei auf Konflikte und Probleme, die bis dahin als Erfindungen des Klassenfeindes abgetan worden waren, vor allem aber auf die blutige Geschichte, die sich mit Stalins Namen verband.

In den Geschichtsbüchern der DDR war stets nur nebulös von der „Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit“ die Rede. Nun war schwarz auf weiß zu lesen, daß es sich um Massenmorde gehandelt hatte. Das warf Fragen auf, die auch die DDR berührten. Viele führende Kommunisten waren im sowjetischen Exil gewesen. Was hatten sie gewußt, getan? Die DDR war unter Stalins Ägide gegründet worden. Wie war es dann um ihre historische und moralische Legitimation bestellt? Und unmittelbar: Wie lange würden die DDR-Behörden eine Zeitschrift dulden, die solche Fragen provozierte?

Am 19. November 1988 erfolgte die Antwort. Im SED-Zentralorgan Neues Deutschland erschien eine „Mitteilung der Pressestelle des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen“, in der es hieß, der Sputnik sei von der Postzeitungsliste gestrichen worden. Seine „verzerrenden Beiträge zur Geschichte“ dienten nicht „der Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft“.

Das Faß zum Überlaufen hatte ein Aufsatz gebracht, der sich mit dem Zusammenhang zwischen der Herrschaft Stalins und Hitlers Machtantritt beschäftigte – eine Fragestellung von Noltescher Dimension. Es bedurfte keines Herrschaftswissens, um sich auszurechnen, daß diese Entscheidung, die eine offene Brüskierung Moskaus bedeutete, von keinem subalternen Minister, der überdies der Ost-CDU angehörte, stammen konnte. Sie mußte auf allerhöchster Ebene gefallen sein.

Das Sputnik-Verbot löste in der DDR eine tiefe Erbitterung aus. Am tiefsten saß sie bei überzeugten Sozialisten und jungen SED-Mitgliedern, die den 76jährigen SED-Chef Erich Honecker als Mann von gestern betrachteten und Gorbatschows Politik des Umbaus und der Öffnung auf die DDR übertragen wollten. Seither gilt die Affäre als Paradebeispiel für die Erstarrung der SED-Führung und als verpaßte Gelegenheit, auf den sowjetischen Reformzug aufzuspringen.

Das ist nicht falsch, doch die Wirklichkeit war komplexer. Honecker verfügte seit 1987 über Informationen, daß Teile der sowjetischen Führung die Existenz der DDR zur Disposition stellten. Die Aufsätze im Sputnik betrachtete er als Bausteine einer feindlichen Strategie. Von Gorbatschow fühlte er sich hintergangen, und das nicht ganz zu Unrecht.

Seit Beginn der 1980er Jahre war die ökonomische Lage im gesamten Ostblock desaströs. Die Sowjetunion hatte schlagartig ihre Erdöllieferungen an die DDR reduziert und gleichzeitig von ihr verlangt, mehr Nahrungsgüter zu liefern. Die SED-Führung sah den einzigen Ausweg in einer engeren Kooperation mit der Bundesrepublik. Daraus ergab sich ein ganzes Geflecht formeller und informeller Kontakte, die zu menschlichen Erleichterungen führten und neue deutsch-deutsche Perspektiven eröffneten. Moskau blickte mit Argusaugen auf die Zusammenarbeit zwischen Bonn und Ost-Berlin und untersagte Honecker 1984, eine geplante Reise in die Bundesrepublik zu unternehmen. Zu den Moskauer Falken gehörte auch Gorbatschow, damals noch ein einfaches Politbüro-Mitglied.

Wenige Jahre später betrieb er mit der Bundesrepublik genau die Politik, die er Honecker nicht gestatten wollte – über den Kopf der DDR hinweg. Den Profit aus dem Deutschland-Spiel wollte die Sowjetunion selber einstreichen, der Klassenkampf und der proletarische Internationalismus zählten nun nicht mehr.

Vor diesem Hintergrund werden das Sputnik-Verbot und Honeckers Abwehrbewegungen gegen Gorbatschows Politik überhaupt, so dumm, sinnlos und selbstzerstörerisch sie waren, erklärlich.

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