© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/13 / 15. November 2013

Knapp daneben
Kinderarbeit in der Ganztagsschule
Karl Heinzen

Mit knapp vier Milliarden Euro förderte der Bund allein zwischen 2003 und 2009 den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen in allen Bundesländern. Heute, zehn Jahre nach dem Start des Investitionsprogramms, zieht der Aktionsrat Bildung, ein vom Verband der Bayerischen Wirtschaft berufenes Expertengremium, eine ernüchternde Bilanz. Selbst dort, wo sich die Ganztagsschule dem Anschein nach durchgesetzt hat, stelle sich bei näherem Hinsehen heraus, daß die Schüler zumeist nicht verpflichtet sind, das Nachmittagsangebot zu nutzen. Dieses würde sich überdies oft auf Sport und andere Freizeitaktivitäten beschränken. Eine Verzahnung mit dem Unterricht sei die Ausnahme, und in den meisten Bundesländern gebe es nicht einmal Mindeststandards für die Qualifikation des Betreuungspersonals. Unter dem Strich könne es daher nicht überraschen, daß die Förderung von Ganztagsschulen weder das Bildungsniveau angehoben noch die Chancengleichheit verbessert hat.

Bei all ihrer Kritik wollen die Experten aber auch nicht unterschlagen, was immerhin erreicht wurde. Zahlreiche Mütter haben, da sie nicht mehr die Ausrede bemühen konnten, sich ab dem Mittagessen um den Nachwuchs kümmern zu müssen, Anschluß ans Erwerbsleben gefunden. Dies kam auch den Kindern zugute. Je weniger Umgang sie mit bildungsfernen Eltern haben, desto größer ist ihre Chance, diesem Schicksal zu entrinnen. Sind die Erziehungsberechtigten berufstätig, geben sie zudem ein besseres Vorbild ab, da sie vor Augen führen, daß Arbeit und nicht Freizeit im Mittelpunkt des Lebens zu stehen hat.

Dies kann die Wirtschaft und ihre Bildungsexperten jedoch nicht zufriedenstellen. Jeder weiß aus eigener Beobachtung, daß Jugendliche die Nachmittage, über die sie frei verfügen können, nicht dazu nutzen, sich weiterzuqualifizieren. Wer das Beste für sie will, wird sie daher ganztags in der Schule kasernieren müssen. Sicher wäre es zuviel des Guten, sie dabei pausenlos mit Bildung zu traktieren. Man könnte es ja auch, und dies wäre die beste Vorbereitung auf den späteren Beruf, einmal mit Kinderarbeit versuchen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen