© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Union und SPD haben etwas zu entsorgen
Große Koalition: Die Union verabschiedet sich vom traditionellen Familienmodell, die Genossen verschachern das Erbe von Bad Godesberg
Paul Rosen

Jetzt müßt ihr liefern, liebe Leute von der Union“, hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel auf dem Parteitag in Leipzig in seiner Schlußrede mit Blick auf die geplante Große Koalition in Berlin gesagt. „Liebe Genossinnen und Genossen, die CDU ist kein Lieferservice“, entgegnete Umweltminister Peter Altmaier.

Dabei hatte die CDU schon einen langen Güterzug voll mit früheren Überzeugungen, Standpunkten und Grundsätzen in Richtung SPD losgeschickt. Zuletzt kam die Frauenquote in Unternehmen an die Reihe, die jetzt in Deutschland zunächst für Aufsichtsräte von börsennotierten Unternehmen eingeführt werden soll. Nicht nur die FAZ wunderte sich darüber, daß die CDU nun das Gegenteil früherer Positionen vertritt: „Es ist somit überhaupt kein Tafelsilber der Union mehr erkennbar.“

Vor diesem Hintergrund wirkt die Ankündigung einer härteren Gangart bei den weiteren Gesprächen durch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt fast lächerlich. Dobrindt hatte erklärt: „Es wird keinen sozialdemokratischen Koalitionsvertrag geben.“

Auch Dobrindts Chef Horst Seehofer schlug in diese Kerbe: „Wir können nicht das Wahlergebnis auf den Kopf stellen.“ Und man werde den „Markenkern“ der Union nicht opfern. Dabei haben sich CDU und CSU längst entkernt und liegen wie ein aufgeschnittener Pfirsich auf dem Eßtisch der Sozialdemokraten. Der Koalitionsvertrag ist zwar noch nicht fertig, aber vor der Frauenquote schluckte die CDU/CSU bereits die als Gift für Marktwirtschaft und Wettbewerb kritisierte Mietpreisbremse. Sie akzeptierte den Mindestlohn, obwohl auch hier die Fachwelt eindringlich warnte und die CDU/CSU bisher selbst nichts davon hielt.

Die doppelte Staatsbürgerschaft ist in greifbarer Nähe, und das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare, eine der letzten Stufen auf dem Weg zur völligen Gleichstellung eingetragener Partnerschaften mit der Ehe, ist nur noch eine Frage der Zeit. Ehe und Familie, eigentlich unter besonderem staatlichen Schutz durch Artikel 6 des Grundgesetzes stehend, sind ohnehin entwertet worden. Der Artikel 6 ist nicht nur durch höchstrichterliche Rechtsprechung, sondern auch durch CDU/CSU-Politik völlig entkernt worden. Heute geht es nur noch darum, möglichst viele Kindertagesstätten zu bauen, um die Kinder aus den Familien zu holen und vom Staat erziehen zu lassen.

Der Leipziger Parteitag der SPD hatte kein Motto wie andere Treffen dieser Art. Vielleicht wird er gerade deshalb in die Geschichte der SPD eingehen wie ihr Godesberger Parteitag.

Auf dem 1959 in dem Bonner Stadtteil Bad Godesberg abgehaltenen Treffen nahm die SPD Abschied von Forderungen wie der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und erwähnte in ihrem Bad Godesberger Programm auch den Marxismus nicht mehr als Quelle ihrer Programmatik. Als Ergebnis des Abwurfs des revolutionären Ballasts kam die SPD 1966 in die Bundesregierung, 1969 stellte sie mit Willy Brandt den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler.

In Leipzig warf Gabriel die antitotalitäre Tradition der deutschen Sozialdemokraten auf den Müllhaufen der Geschichte und ließ ohne großen Widerstand die Option beschließen, in Zukunft auch mit der Linkspartei Bündnisse auf Bundesebene eingehen zu können.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Untergang des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden können Honeckers Erben durch die Rolle rückwärts der SPD endlich den Einfluß gewinnen, um das Projekt Aufbau des Sozialismus in Deutschland neu beginnen zu können. Die Bad Godesberger Ära der SPD ist endgültig vorbei. Gabriel ist, was seine bürgerlichen Gegenspieler nicht begriffen haben, ein Zocker. Die Beständigkeit der Niedersachsen ist dem aus Goslar stammenden Politiker völlig fremd. Er ist längst nicht „Der Superminister“, wie ihn die FAS fast liebevoll charaktisierte, sondern hat einfach ein gutes Blatt im Poker um die Machtverteilung in Berlin und die Wegweiser im Koalitionsvertrag in der Hand.

Die anderen Spieler, Merkel und Seehofer, haben kein Rückgrat, sondern nur ein Ziel: an der Macht bleiben. Im Spiel mit Gabriel kann ihnen dieser daher die Bedingungen diktieren, und er hat dies bereits erfolgreich getan, da keiner der Kontrahenten vom Spieltisch aufstehen und das Elend für die Bürgerlichen beenden will.

Gabriel hat sogar noch mehr Optionen. Er könnte die Koalitionsverhandlungen platzen lassen. Er könnte sich zum Chef einer Minderheitsregierung wählen lassen und dann kurzfristig Neuwahlen anstreben. Er könnte auch Merkel in eine Minderheitsregierung zwingen. Und schließlich könnte er versuchen, schon jetzt die rot-rot-grüne Karte zu ziehen. Die letzte Variante ist jedoch die unwahrscheinlichste, weil die Mehrheit im Bundestag für ein Bündnis, das früher die Bezeichnung „Volksfront“ erhalten hätte, zu klein ist. Als Spieler erlebt er aber auch, was es heißt, schlechte Karten zu bekommen. Sein Wiederwahl-Ergebnis in Leipzig war mit 83,6 Prozent das schlechteste bisher; aber auch die meisten anderen Führungsmitglieder bekamen ihr Fett weg von Delegierten, die mit dem Wahlausgang unzufrieden waren, weil Gabriel und seine Generalsekretärin Andrea Nahles nicht für genug Mandate gesorgt hatten.

Als Spieler weiß Gabriel natürlich, daß es wieder schlechte Karten geben kann und geben wird. So nimmt er den Mitgliederentscheid der Sozialdemokraten über den Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU hin wie die Ausgabe von Karten für das nächste Spiel: Mal schauen, was da kommt.

Und wenn er bei der Mitgliederversammlung scheitert, ist das aus Gabriels Sicht auch nicht weiter schlimm: Dann wird es vermutlich Neuwahlen zum Bundestag geben. Und die sind wie ein neues Spiel. Problematisch für das Land ist nur, daß Glücksspieler zum Regieren ungeeignet sind.

Kommentar Seite 2

Foto: Rote Karte: SPD-Chef Sigmar Gabriel zwingt die Union zu zahlreichen inhaltlichen Zugeständnissen

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