© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Mehr Schein als Sein
Wirtschaftsstatistik: Berechnungstricks und Geldschwemme gaukeln Wachstum vor
Michael von Prollius

Vermehrt mit sorgenerfüllten Gesichtern, zuweilen mit aufgesetztem Lächeln, doch immer wichtig sind die Kommentare zur Wachstumsentwicklung dies- und jenseits des Atlantik. „Wachstum!“ – das ist die Parole der Postmoderne; mit einer Perspektive, die auf ein Quartal, allenfalls ein Jahr beschränkt bleibt.

Dazu passen die Meldungen: In den USA wurde nach einem überraschend starken dritten Quartal 2013 vom Statistikamt BEA ein Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf das Jahr hochgerechnet von 2,8 Prozent gemeldet. Die Wirtschaft der 17 Euro-Länder stagnierte hingegen mit nur 0,1 Prozent. Deutschland weist ein marginales Wachstum von 0,3 Prozent auf und wird im Jahresdurchschnitt kaum besser abschneiden. Frankreichs Wirtschaft schrumpfte leicht. Italiens Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen geht seit neun Quartalen in Folge zurück. Dafür bereiteten in Spanien anziehende Exporte und ein boomender Tourismus der Dauerrezession ein Ende – mit einem Miniwachstum von 0,1 Prozent.

Sind solche Wachstumsnachrichten wirklich relevant? Für die Politik geht es offenkundig um viel, weil sie die Verantwortung für die Entwicklung der Wirtschaft übernommen hat – in Deutschland offiziell seit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1968. Auch die Zentralbanken haben den Auftrag, die Wirtschaftsentwicklung positiv zu beeinflussen. Dazu passen kritische Stimmen aus Amerika: Das ausgewiesene Wachstum im dritten Quartal sei manipuliert. Ohne die „quantitative Lockerung“ der US-Zentralbank Fed in Höhe von monatlich 85 Milliarden Dollar wäre die um 196,6 Milliarden Dollar gewachsene Wirtschaft geschrumpft.

Was ist davon zu halten? Das Zentralbankgeld geht nicht direkt in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) ein. Für eine Steigerung des BIP kommt es darauf an, daß die Geschäftsbanken oder institutionelle Anleger wie Versicherungen das Geld nachfragewirksam investieren. Statistisch wachstumswirksam sind zudem Kredite, die Geschäftsbanken vergeben. Allerdings wächst derzeit die Geldmenge eher moderat. Sowohl in den USA als auch in Europa kommt das billige Geld kaum in der Realwirtschaft an, weshalb die Konsumentenpreisinflation gering bleibt. Die Zentralbanken befeuern vielmehr Vermögenspreisinflation. Der exakte Einfluß der quantitativen Lockerung auf das BIP ist schwer faßbar.

Gleichwohl weist die Frage, ob die Wirtschaft zuletzt gewachsen oder geschrumpft ist, auf drei grundlegende Aspekte: Erstens ist das langfristige Wachstum des Westens rückläufig. So ist zwischen 1960 und 2002 das BIP in den USA jährlich durchschnittlich um 3,4 Prozent gewachsen. In den letzten zehn Jahren betrug es nur noch 1,8 Prozent – die große Rezession hinterläßt Spuren. In Deutschland ging nach dem Wirtschaftswunder mit noch über vier Prozent in den sechziger Jahren das Wachstum auf Sinkflug, nach 3,3 Prozent in den Siebzigern nur noch 1,8 Prozent in den Neunzigern und 0,7 Prozent in der letzten Dekade. Eine florierende Wirtschaft benötigt gute ordnungspolitische Rahmenbedingungen.

Zweitens profitiert der privilegierte Finanzsektor überproportional von der Politik des billigen Geldes. Eine Schätzung für Großbritannien für knapp drei Jahrzehnte vor der Finanzkrise läßt sich auf die Formel bringen: Realwirtschaft verdoppelt, Finanzsektor verdreifacht, dessen Gewinne verzehnfacht.

Nicht zuletzt erheblich wachsende Staatsausgaben machen drittens die VGR als alleinigen Wohlstandsindikator stark umstritten. Indes werden längst Umweltverschmutzung, Humanvermögen und Rechtsstaatlichkeit in ergänzenden oder alternativen Indizes abgebildet. Eine im Juli 2013 eingeführte neue Berechnungsmethode hat den USA einen Wachstumsschub beschert. Wesentlich für den Alltag der Menschen bleibt die Lebensqualität, nicht eine statistische Residualgröße. Eine Brücke nach nirgendwo steigert zwar das BIP, aber weder Wohlstand noch Lebensqualität.

Wirtschaftswachstum kann Ausdruck unserer sich kontinuierlich verbessernden Welt sein. Die DDR – laut offiziellen Zahlen einst die zehntgrößte Industrienation der Welt – ist bei übererfüllten Planzahlen kollabiert.

 

Dr. Michael von Prollius ist Wirtschaftshistoriker und Gründer des freiheitlichen „Forum Ordnungspolitik“.

www.forum-ordnungspolitik.de

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen