© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Wetten, daß wir pleite gehen
Finanzmathematik: Ein Beschleuniger der Krise
Christian Dorn

Die Finanzwissenschaft ist erst ein halbes Jahrhundert alt, doch ihr Einfluß ist vergleichbar mit den Durchbrüchen der Physik zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine Einführung in diese ökonomische Materie unternimmt der Bielefelder Mathematikprofessor und Philosoph Frank Riedel in seinem Buch über „Die Schuld der Ökonomen“ an der Finanzkrise, die aufgrund einer mißverstandenen und mißbrauchten Finanzmathematik erst entstehen konnte.

Anschaulich schildert Riedel, wie die Eigenkapitalvorschriften Basel II genau das Gegenteil bewirkten, nämlich ohne Eigenkapital agieren zu können. Eine Katastrophe sei hierbei der Umstand, daß der manipulierbare Wert im Risiko (Value at Risk) als „regulatorisches Standardmaß“ installiert wurde. „Ein scheinbar technisches Detail“ von Basel II habe den „Kasino-Kapitalismus“ hervorgerufen. Gleichwohl widerspricht er Hans-Werner Sinn, der im „Prinzip der beschränkten Haftung“ den mikroökonomischen Grund der Krise ausgemacht habe.

Ebenso widerspricht Riedel dem Postulat von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der für die Finanzkrise die Deregulierung und ein „Marktversagen“ verantwortlich macht. Vielmehr sei falsche Regulierung schuld. Auch der Libor-Skandal sei ein Paradebeispiel für mißbrauchte Finanzmathematik. Riedels Formel: Marktmacht + Finanzmathematik = Katastrophe. Auch hohe Boni erhöhten den Anreiz, große Risiken einzugehen und zu verstecken. Abhilfe sieht Riedel in einer regulierten Marktmacht. Hierzu zählt er lizenzierte Investmentbanken. Zudem dürften Risikomessungen nicht mehr über Value at Risk und Ratingagenturen erfolgen, sondern durch die ungünstigste Erwartung (Worst Case). Kritik übt er auch an Prognosen des Sachverständigenrates, da diese ein bloßes Verhandlungsergebnis und keine Wahrscheinlichkeitsverteilung anzeigen. Dezidiert wendet sich der Autor gegen die Finanztransaktionssteuer, da diese pauschal alle Geschäfte verteuere. Auch das Verbot von Leerverkäufen sei kontraproduktiv. Sie seien ein wichtiger Teil von Versicherungsstrategien und ein Stabilisierungselement.

Frank Riedel: Die Schuld der Ökonomen. Was Mathematik und Ökonomie zur Krise beitrugen. Econ-Verlag, Berlin 2013, gebunden, 205 Seiten, 19,99 Euro

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