© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Frisch gepresst

Bergen-Belsen. Sie waren verfemt und als Kollaborateure verschrien, nicht selten wurde ihnen nach 1945 sogar der Prozeß gemacht. Die Rede ist von Judenältesten, die von den Nationalsozialisten als Verbindungsmänner zwischen SS und KZ-Insassen eingesetzt wurden und dafür verantwortlich waren, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Nach jahrelanger Forschungsarbeit gibt der aus Königsberg stammende Historiker Hans-Dieter Arntz in „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen“ einen Einblick in das Leben von Josef Weiss. Anders als sein Vorgänger in Bergen-Belsen, Jacques Albala, der später von einem griechischen Gericht wegen Kollaboration verurteilt wurde, war er, obwohl mit der internen Lagerverwaltung betraut, auch nach dem Krieg unter ehemaligen Insassen des „Sternlagers“ eine moralische Instanz. So schreibt ein Mithäftling 1976 im Nachruf auf Weiss: „Was er auch bestimmte, basierte auf Ehrlichkeit, Anständigkeit und Rechtschaffenheit.“ Von den über 700 Seiten der Monographie sollte sich niemand abschrecken lassen. Arntz Werk ist spannend wie ein Roman. (tb)

Hans-Dieter Arntz: Der letzte Judenälteste von Bergen- Belsen. Josef Weiss – würdig in einer unwürdigen Umgebung. Helios Verlag, Aachen 2013, gebunden, 712 Seiten, 38 Euro

 

Bewältigung. BND, Auswärtiges Amt, Bundesjustizministerium et al. lassen seit geraumer Zeit aufwendig ihre „braunen Kontinuitäten“ erforschen. Das ist natürlich nur routiniertes Drehen der Bewältigungsmühle, denn zeithistorisch dürfte unbestritten sein, daß die Spitzenpositionen der Ministerialbürokratie in den seit 1949 aufgebauten Bundesbehörden zu zwei Dritteln von NSDAP-Mitgliedern, SA-Marschierern oder „Mitläufern“ jeglicher Couleur besetzt wurden. Selbst Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dürfte dies klar gewesen sein. Trotzdem hat sie eine „unabhängige“ Kommission beauftragt, bereits mürbe gewordene Trivialitäten über bruchlose Juristenkarrieren nach 1945 abermals aufzufrischen. Im Juni 2013 durfte dann der Bewältigungsexperte Ralph Giordano die Resultate ihrer Haushistoriker öffentlich beglaubigen. In seinem darauf Bezug nehmenden Büchlein mit dem objektivierend-kühlen Vortragstitel „Der perfekte Mord“ fällt es dem 90jährigen nicht schwer, den Bogen von der „Nazijustiz“ zur Bundesjustiz und zu „NSU und Zwickauer Zelle“ zu schlagen. (ob)

Ralph Giordano: Der perfekte Mord. Die deutsche Justiz und die NS-Vergangenheit. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013, broschiert, 38 Seiten, 9,99 Euro

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