© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Heidelberger Frühwarnsysteme
Vulkanforschung: Den Himmel studieren, um die Hölle zu verstehen
Thomas Glanz

Auf den Philippinen sind Naturkatastrophen nichts Ungewöhnliches. Selbst die Verheerungen von Haiyan, dem 13. Taifun der diesjährigen Saison, relativieren sich im Vergleich mit den globalen Auswirkungen der sich periodisch entladenden aktiven Vulkane dieser pazifischen Archipele.

Als 1991 der Pinatubo, nur 90 Kilometer von Manila entfernt, dem 20. Jahrhundert eine der mächtigsten Eruptionen bescherte, weckte dies Erinnerungen an indonesische Vulkanausbrüche des 19. Jahrhunderts, deren Aschewolken die Sonne derart verdunkelten, daß sie in Europa Mißernten und Hungersnöte auslösten. Beim Pinatubo-Ausbruch waren nur deshalb weniger als tausend Tote zu beklagen, weil ein Frühwarnsystem Alarm geschlagen und Massenevakuierungen ermöglicht hatte. Wochen vor der Eruption registrierte ansteigende Ausgasungen von Schwefeldioxid, die als Telegramme aus dem Erdinnern dechiffriert wurden, kündigten den Knall an.

Im Heidelberger Institut für Umweltphysik arbeiten Wissenschaftler unter der Leitung von Ulrich Platt seit zehn Jahren an der Verfeinerung solcher Warnsysteme, um präventiv die Schäden der „unfaßbar großen Gewalt“ im Umfeld jener Orte zu mindern, die in der Antike gleichermaßen als Wohnstätte der Götter wie als Tore zur Hölle galten (Ruperto Carola, 2/13). Zusätzlichen Schub dürften Platts Forschungen durch Fragestellungen bekommen haben, die das Modethema „Klimawandel“ an die Heidelberger Vulkanologen herantrug.

Kohlendioxid ist schließlich neben Wasserdampf das von Vulkanen am meisten ausgestoßene Gas. Und obwohl es nur einen Bruchteil der weltweiten CO2-Emissionen ausmacht, exponieren Platt und seine Mitarbeiterin Nicole Bobrowski in ihrem Forschungsüberblick dessen wichtige Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf. Würde der von Vulkanen initiierte „Recycling“-Prozeß in der Gesteinssphäre des Planeten gestoppt, ginge uns nach 200.000 Jahren der Kohlenstoff in Ozeanen sowie Bio- und Atmosphäre aus.

Doch im Vordergrund steht bei den Heidelberger Projekten die Perfektionierung der Gefahrenabwehr. Platt zählt zu den Pionieren der Entwicklung der Differentiellen Optischen Absorptionsspektroskopie (DOAS). Mit dieser Methode können individuelle Absorptionsmuster von Molekülen aufgetrennt werden. Wie menschliche Fingerabdrücke, so lassen sich damit Moleküle in der Atmosphäre anhand der absorbierten Wellenlänge des Lichtes identifizieren. Die Stärke der Abschwächung informiert zudem darüber, in welcher Konzentration die Moleküle vorhanden sind. Seit 2002 zur Verfügung stehende Miniaturspektrographen gestatten es, den Himmel über den Vulkanen „regelrecht abzutasten“.

Platts Testmessungen am Solfatara-Vulkan nahe Neapel und am Soufrière Hills auf der Karibikinsel Montserrat entdeckten in deren Abgasfahnen das bis dahin von Atmosphärenchemikern unbeachtete, reaktionsfreudige Spurengas Brommonoxid (BrO). Am Ätna und am japanischen Sakurajima auf Kyūshū spürte Platts Mannschaft überdies Halogenoxide auf, die den Ozonhaushalt und Schwefelkreislauf beeinflussen. Obwohl die Chemie hier noch ganz am Anfang stehe und die Wechselwirkung zwischen Vulkanentgasungen und Atmosphäre bislang nicht in allen Details verstanden werde, ergeben die von Heidelberg aus begonnenen Langzeitmessungen bereits erste Hinweise darauf, daß man von der BrO-Ausgasung auf die Dynamik im Innern der Vulkane schließen könne. Um in die Hölle der antiken Sagen zu blicken, müsse man den Himmel über ihren Schlünden studieren.

Von solchen Entdeckungen beflügelt, installierten die Heidelberger zwischen 2005 und 2010 weltweit an über 20 Vulkanen ihre DOAS-Meßgeräte. 2012 publizierten sie ein Modell, das die Bromausgasung als Indikator für bevorstehende Eruptionen präsentierte. Eine hinreichende empirische Absicherung dieser Theorie steht jedoch weiterhin aus, obwohl auch ihre jüngsten Messungen am Vulkan Nyiragongo (Kongo) weitere Bestätigungen dafür brachten.

Beitrag „Den Himmel betrachten, die Hölle verstehen“ im Forschungsmagazin Ruperto Carola (2/13) der Universität Heidelberg: uni-heidelberg.de

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