© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Der Flaneur
Sich eine Auszeit gönnen
Nils Wegner

Es hat keinen Sinn, darum herumzureden: Über kurz oder lang wird das Schreiben universitärer Arbeiten, so interessant sie auch sein mögen, mehr als dröge. Man tut also gut daran, sich zugunsten seiner eigenen Leistungsfähigkeit ab und an eine Auszeit zu gönnen, in der man sich mit anderen Dingen beschäftigt und sprichwörtlich „den Kopf freibekommt“.

Solche Bedarfssituationen verhelfen auch der guten, alten Eckkneipe (wo es sie denn noch gibt) zu neuen Weihen. Als, was das Schreiben angeht, Nachtaktiver gehe ich frühestens gegen 23 Uhr dorthin – und ausschließlich an Werktagen. Dann sitzen dort nämlich Menschen, die es nicht für nötig halten, äquivalent zum sprichwörtlichen „Pfeifen im Walde“ laute Gespräche zu führen. Denn Reden, das muß nun wirklich nicht sein, wenn man den Kopf voller Geschichtsdaten und politischer Rahmenbedingungen hat.

Nein, ich bin des Tapetenwechsels wegen hier. Und natürlich, weil es hier Bier und Zigaretten gibt. Also setze ich mich auch nicht an einen Tisch, sondern an den Tresen; hier bin ich Solitär, hier darf ich’s sein. Das Pils ist gezapft, der Sargnagel glimmt, aus dem Radio säuselt Chicago „If you leave me now, you’ll take away the biggest part of me“ ... Verblüffend, wie so simples Dasitzen und den eigenen Rauchringen Nachschauen die inneren Akkumulatoren wiederaufzuladen vermag. Der ältere Herr am Ende der Eckbank klopft mit seinem Daumen leise den Takt mit; textsicher ist er allerdings nicht. Ich schmunzle in mein Bierglas hinein.

Es ist schön, wie ansteckend diese sanfte Versponnenheit sein kann. Allerdings auch nur dann, wenn man rechtzeitig den Absprung schafft. Über kurz oder lang wird in der Runde jedesmal ein Auge feucht. Dann muß man Geld auf den Tresen legen und der Heimat zustreben, wo man erwartet wird – und wenn es nur von der unterbrochenen Arbeit ist

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