© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/13 / 22. November 2013

Beim Thema Koalition kippt die Stimmung
JU-Deutschlandtag: Vor dem Unions-Nachwuchs redet die Kanzlerin ungewohnt deutlich über beabsichtigte Zugeständnisse an die SPD
Hinrich Rohbohm

Einen so warmen Empfang hatte Merkel bei der JU selten. Als die Kanzlerin am vergangenen Freitagabend in die Erfurter Messehalle kommt, zollen ihr die 1.000 JU-Deutschlandtagsdelegierten minutenlang Beifall. Es ist die Anerkennung und der Respekt für das gute Abschneiden bei der Bundestagswahl. Die Scheinwerfer erlöschen. Ein Videoclip mit Wahlkampfszenen der JU gemeinsam mit Merkel flimmert hinter den Plätzen von Vorstand und Präsidium über die Saalwand. 41,5 Prozent steht da mit Ausrufezeichen.

Merkel gefällt’s. „Der Film hätte ruhig noch etwas länger gehen können“, scherzt sie. Und kann sich doch eine Spitze nicht verkneifen. „Die Dauer des Videos habe ich sehr wohl registriert“, sagt sie und blickt in Richtung Philipp Mißfelder. Der JU-Chef ist jedoch voll des Lobes für die Kanzlerin. Nach Jahren kritischerer Töne nennt er sie jetzt „Angela“. Merkel bleibt bei ihrer Anrede „Lieber Philipp Mißfelder“. Nur selten geht ihr Blick zum rechts neben ihr auf dem Podium sitzenden JU-Vorsitzenden. Dafür tuschelt die Kanzlerin um so angeregter mit der auf der anderen Seite sitzenden Stellvertreterin Astrid Wallmann.

Entspannt wie selten zuvor bei Reden vor der Jungen Union schreitet Merkel ans Rednerpult. Beifall brandet auf. Die Stimmung unter den Delegierten ist gut. Noch. Denn es sollte der Abend der Wahrheit werden. Ungewohnt deutlich erklärt die CDU-Chefin, welche SPD-Vorgaben die Union bei den Koalitionsgesprächen wird hinnehmen müssen.

Je länger die Kanzlerin spricht, desto leiser wird es im Saal. Sie sei mehr damit beschäftigt, „Dinge zusammenzuführen“, als über rote Linien für die Union zu reden. Frauenquote? Kommt. Beitragserhöhungen bei der Pflegeversicherung? Unumgänglich. Senkung des Rentenversicherungsbeitrags? „Dafür gibt es keine Mehrheit“, erklärt Merkel den immer enttäuschter blickenden Delegierten. Die von der JU abgelehnte Ausweitung der doppelten Staatsbürgerschaft? Kommt wohl auch. Es sei doch ohnehin fraglich, ob die derzeitige Regelung noch auf der Höhe der Zeit sei. Zudem kündigte sie schon mal an, daß Europa künftig „zum Lebensraum für immer mehr Menschen“ werde.

Auch zur Forderung der JU, den Solidaritätsbeitrag abzuschaffen, läßt sie durchblicken, daß dies nicht erfolgen werde. Als sie erwähnt, daß der Mindestlohn komme und sich da niemand Illusionen machen solle, ertönen Buh-Rufe. Die Stimmung kippt, der warme Empfang zu Beginn ist einer deutlich abgekühlten Atmosphäre gewichen. „Da ist vielen erst klar geworden, wie stark unsere Zugeständnisse an die SPD sein werden“, meint ein Delegierter zur JF. Zumindest für die JU-Forderung nach einer Demographie-Abgabe wolle sie sich einsetzen, kündigt Merkel an. „Die Verhandlungsergebnisse spiegeln nicht das wider, was wir am 22. September erreicht haben“, fast ein JU-Redner zerknirscht zusammen.

Während Merkel zu den Koalitionsverhandlungen ungewohnt klare Worte findet, läßt sie die nach wie vor existente Euro-Krise komplett unerwähnt. Auch über die NSA-Affäre verliert sie kein Wort. Wie sehr letztere einen Keil in die westliche Gesellschaft getrieben hat, wird auch bei der Jungen Union deutlich. Daß Delegierte mit zwei Initiativanträgen die „Schließung amerikanischer Horchposten auf deutschem Gebiet“ fordern sowie die Politik der „Verharmlosung durch die Bundesregierung im Fall der Spionage durch amerikanische und britische Geheimdienste“ kritisieren, wäre vor den Snowden-Enthüllungen undenkbar gewesen.

Es ist der neue Bundesvorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung (MIT) Carsten Linnemann, der in seinem Grußwort die derzeitige innerparteiliche Lage auf den Punkt bringt. „Die Junge Union und die MIT sind in der CDU inzwischen die einzigen, die an marktwirtschaftlichen Prinzipien festhalten“, erklärt er. Ob diese Prinzipien auch in einer Ära nach Philipp Mißfelder gelten werden, ist noch offen. Der gebürtige Gelsenkirchener steht der JU seit elf Jahren vor. Kein anderer Bundesvorsitzender kann auf eine derart lange Amtszeit zurückblicken. Im nächsten Jahr wird der 34jährige aufhören. Spekulationen um seine Nachfolge gibt es schon jetzt.

Demnach soll Mißfelders Stellvertreter Benedict Pöttering die Geschicke der Jungen Union künftig lenken (siehe Seite 3). Der aus dem Landesverband Niedersachsen stammende Sohn des Europapolitikers Hans-Gert Pöttering sei liberaler als der christlich-konservativ ausgerichtete Mißfelder, heißt es hinter vorgehaltener Hand unter Delegierten. Gerüchten zufolge soll auch der JU-Landeschef aus Thüringen, Stefan Gruhner, Interesse an einer Kandidatur haben.

Gruhner gilt als enger Vertrauter von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Sie ernannte den 28jährigen im August dieses Jahres zu ihrem persönlichen Referenten in der Thüringer Staatskanzlei. Zuvor war Gruhner als Grundsatzreferent in der Landespartei tätig. Erst vor kurzem ist er zum Landtagskandidaten nominiert worden.

„Der nächste Deutschlandtag dürfte spannend werden“, prognostizieren zahlreiche Delegierte gegenüber der JF. Unter Philipp Mißfelder hatte die Junge Union ein deutlich konservativeres Profil angenommen. Seine Vorgänger, die Merkel-Vertraute Hildegard Müller, Klaus Escher und der heutige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe standen in der Vor-Mißfelder-Ära hingegen für einen linksliberalen Kurs in der JU.

Angeblich soll es im Adenauer-Haus seit längerem personelle Überlegungen für die Zeit nach Philipp Mißfelder geben, deuten einige Delegierte aus Bayern und Hessen an. Namentlich zitiert werden möchte dazu natürlich niemand. „Es würde mich wundern, wenn Merkel nicht versuchen wird, Einfluß auf die Wahl des neuen JU-Vorsitzenden zu nehmen“, ist einer von ihnen überzeugt.

Foto: Nachfolger in Wartestellung? JU-Chef Philipp Mißfelder (rechts) und sein Stellvertreter Benedict Pöttering

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