© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

„Ein dritter Weltkrieg droht“
Der ehemalige CDU-Politiker und Publizist Jürgen Todenhöfer bereist die Krisengebiete des Orients. Nun zeigt er in seinem neuen Buch „Du sollst nicht töten“ das häßliche Gesicht der Kriege, die der Westen dort führt.
Moritz Schwarz

Herr Dr. Todenhöfer, warum haben Sie als erster deutscher Journalist ein Fernseh-interview mit Syriens Staatschef Baschar al-Assad bekommen?

Todenhöfer: Wenn ich das wüßte! Zumal Damaskus gegen meinen im ARD-„Weltspiegel“ gelaufenen Beitrag über Präsident Assad protestiert hatte. Inzwischen haben allerdings auch die FAZ oder der Spiegel Assad interviewt.

Zuvor waren Sie in Syrien noch vom Geheimdienst verhaftet worden.

Todenhöfer: Stimmt, doch dann hatte ich überraschenderweise ein zweistündiges Gespräch mit Assad, in dem ich auch deutliche Kritik äußerte. Ich glaube, kein westlicher Politiker oder Journalist hat so offen und ernst mit Assad gesprochen, wie ich es getan habe.

In Ihrem Buch schildern Sie ihn als rationalen Mann. Wie paßt das zu den Brutalitäten, die sein Regime verübt?

Todenhöfer: So wie ich haben ihn führende westliche Politiker wie Carter, Kerry oder Sarkozy früher auch beurteilt. Ich kann Ihnen letztlich nicht genau sagen, wie Assad wirklich ist. Ich kann nur berichten, wie ich ihn bei meinen Treffen erlebt habe. Er ist kein Macho wie die meisten anderen Diktatoren, die ich als Politiker erlebt habe.

Sie haben etliche persönlich getroffen.

Todenhöfer: Als Entwicklungspolitiker fast zwangsläufig. Diese Leute, Siad Barre, Zia-ul-Haq oder Pinochet, waren auch in ihrem Auftreten Machos. Wenn Sie fragen, wie der Mensch Baschar al-Assad und der Politiker Assad zusammenpassen, muß ich passen. Ich weiß es nicht. Aber denken Sie mal an Abraham Lincoln, der einen gnadenlosen Bürgerkrieg geführt hat, in dem es vorrangig nicht um die Abschaffung der Sklaverei ging, sondern um die Einheit der Nation. Ein Krieg, der über 600.000 Menschen das Leben kostete und unglaubliche Grausamkeiten auf beiden Seiten brachte. Und dennoch war Lincoln kein blutrünstiger Mann, sondern ein Staatsmann. Deshalb bin ich ja gegen Kriege. Weil es keine anständigen Kriege gibt, selbst wenn sie von möglicherweise im Grunde anständigen Männern geführt werden, wie im Falle Lincoln. Ich habe auch anständige syrische Rebellen getroffen. Trotzdem finde ich auch deren Krieg nicht anständig.

In Ihrem Buch schildern Sie Ihre Erfahrungen mit dem Krieg in Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien. Es ist ein Plädoyer gegen den Krieg und trägt den programmatischen Titel „Du sollst nicht töten.“ Aber ist das tatsächlich so einfach?

Todenhöfer: Im Grunde ja. Wir haben Sklaverei, Hexenverbrennung, Kolonialismus und Rassismus überwunden und geächtet. Es muß auch gelingen, den Krieg zu ächten. Wenn nicht, dann ist der Dritte Weltkrieg ebenso wahrscheinlich wie der Vierte. Auch vor 1914 hielt man einen Weltkrieg für unmöglich, und dann ging die Welt von acht Millionen Menschen unter. Und wer von uns hätte sich vor dreißig Jahren vorstellen können, daß die USA oder gar Deutschland einmal in Afghanistan Krieg führen würden?

Sie unterscheiden nicht zwischen dem sowjetischen Eroberungskrieg in Afghanistan und dem Kampf der Nato für Demokratie, Menschen- und Frauenrechte?

Todenhöfer: Nein, ich glaube, daß all das nur Vorwände sind. Der westliche Afghanistankrieg ist wie alle Kriege ein schmutziger Krieg. Weil die meisten Westler keine Ahnung vom Krieg haben, glauben sie, es gäbe anständige Kriege. Das ist ein dramatischer Irrtum. Das für mich beste Buch hierzu ist „Soldaten“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer, in dem Aussagen von 13.000 deutschen Wehrmachtsangehörigen ausgewertet wurden, die in westalliierter Gefangenschaft heimlich abgehört wurden. Sie berichten, wieviel Freude ihnen das Beschießen und Bombardieren von Menschen, auch von Zivilisten, gemacht hat. Als „Vorfrühstücksvergnügen“, wie einer das formulierte. Und das waren Wehrmachtssoldaten – nicht etwa SS- oder Gestapoeinheiten.

Also waren sie nicht besser als US- und britische Flieger, die mit Maschinenkanonen Jagd auf deutsche Zivilisten machten.

Todenhöfer: Natürlich nicht. Alles andere ist Legende. Keiner kümmerte sich um das Völkerrecht. Weder die Deutschen noch die Alliierten. Ähnliche Berichte gibt es aus Vietnam, Irak, Afghanistan. Kriegsverbrechen sind im Krieg nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Moment, zum Beispiel waren von den zehn Millionen deutschen Soldaten der Ostfront laut Forschung „nur“ mehrere zehntausend in den Holocaust verwickelt, die allermeisten haben also ganz regulär gekämpft.

Todenhöfer: Es geht hier nicht um den Holocaust, sondern um das angeblich reguläre Kampfgeschehen im Zweiten Weltkrieg. Viele glauben, grauenvolle Zwischenfälle seien die Ausnahme. Tatsächlich aber passiert im Krieg ständig Grauenvolles. Von beiden Seiten. Ich habe als vierjähriges Kind im März 1945 die Vernichtung Hanaus mit Phosphorbomben miterlebt. Die Innenstadt wurde von der britischen Luftwaffe mit 277 Bombern in zwanzig Minuten völlig zerstört. 2.000 Menschen wurden totgebombt. Ich habe in Algerien den Krieg miterlebt, in Afghanistan, im Irak, in Syrien. Ich bin in Libyen selbst bombardiert worden, mein Freund und Gastgeber Abdul Latif kam ums Leben. Es wird nie einen anständigen Krieg geben. Man kann seinen Mitmenschen nicht auf anständige Art und Weise den Schädel einschlagen.

Besonders eindrucksvoll in Ihrem Buch ist das Kapitel „Jack und das ‘schöne Töten’“.

Todenhöfer: „Jack“ ist ein kanadischer „Sicherheitsberater“, den wir in Afghanistan kennenlernten. Ein gescheiter und trotzdem zerrissener Mann. Er hielt Krieg – obwohl er engagierter Krieger war – für die „dümmste aller Lösungen“. Fast immer seien sie „Egotrips von Politikern“. Sein Schlüsselerlebnis waren die Sanktionen und der Krieg gegen den Irak. Er sagte mir: „Wo sind die Massenvernichtungswaffen? Warum mußte keiner dieser Lügner dafür geradestehen?“ Als ich ihn fragte, wie er auf den 11. September 2001 reagiert hätte, antwortet er: „Kleine Operationen in Afghanistan, dann ab nach Hause. Das ‘Nation Building’ in Afghanistan ist sinnlos. Wir haben keine Ahnung von dem Land.“ Stattdessen aber entschied sich der Westen für Krieg.

Jack hatte auch dafür eine Strategie.

Todenhöfer: Ja, er meinte: „Wenn Krieg, dann richtig.“ Er hätte die Weltpresse rausgeschmissen und dann das Land zum Teil „plattgemacht“. Kandahar hätte er total ausgelöscht. Er sagte: „Unsere Politiker fordern das schöne Töten, aber das ist Volksverdummung! Mit Political Correctness kann man keine Kriege führen.“ Nach Selbstmordanschlägen würde er das Dorf des Attentäters völlig vernichten! Dann wüßten die anderen Dorfältesten, was ihnen blüht. Als ich einwandte, das seien Kriegsverbrechen, konterte Jack: „Krieg ist ein Verbrechen! Man kann nicht von Soldaten Rechtsstaatlichkeit verlangen. Krieg heißt, jetzt ist Schluß mit Rechtsstaatlichkeit.“ Wir fragten ihn, ob es für ihn auch im Krieg eine Grenze gäbe? „Doch, Bagram!“ sagte er: „Waterboarding, Gefangene gegen die Wand klatschen und Vergewaltigung durch Hunde.“

Vergewaltigung durch Hunde?

Todenhöfer: Das haben wir ihn ebenfalls ungläubig gefragt. Dann schilderte er seine Erlebnisse im US-Gefängnis Bagram. Dort seien Afghanen bäuchlings auf einen Hocker gebunden worden. Dann seien Hunde zur Vergewaltigung reingelassen worden. Die hätten die Afghanen übel zugerichtet. Er habe das zum Kotzen gefunden. Deshalb sei er dort auch weggegangen. Die Weltgeschichte sei keine Einbahnstraße. Einmal komme der Bumerang zurück. Irgendwann werde Europa überrannt. Dann würden Europäer an die Wand geklatscht oder auf Hocker gebunden.

Wie war es möglich, daß Deutschland ausgerechnet von Sozialdemokraten und Grünen in diesen Krieg geführt wurde?

Todenhöfer: Alle haben damals versagt. Das ist das Seltsame, daß Krieg trotz aller Friedensrhetorik in Deutschland noch immer nicht total geächtet ist. Wenn ich in Talkshows sitze, bin ich manchmal völlig überrascht, wie wütend die Reaktionen sind, wenn ich für friedliche Lösungen eintrete. Ich werde dann als Verharmloser der Taliban, der irakischen Widerstandskämpfer oder als Kollaborateur Saddam Husseins oder Assads beschimpft. Es sei doch klar, daß man denen in den Arm fallen müsse. Aber man fällt nicht nur ihnen in den Arm, sondern dem ganzen Volk. In modernen Kriegen sind bis zu neunzig Prozent der Toten Zivilisten.

Saddam Hussein und die Taliban wurden allerdings vertrieben.

Todenhöfer: Robert Kaplan, einer der publizistischen Wegbereiter des Irak-Kriegs schreibt inzwischen, er müsse einsehen, daß es etwas noch Schlimmeres gebe als Diktatur, nämlich Anarchie. Und tatsächlich sagt fast jeder Iraker, heute gehe es dem Land deutlich schlechter als unter Saddam Hussein. Und Afghanistan? Selbst Präsident Karzai, der von den USA nicht ganz unabhängig ist, sagt inzwischen, die Intervention habe dem Land nur Leid gebracht. Die Hälfte der mindestens 100.000 Toten, die der Krieg in Afghanistan und Pakistan bis jetzt gekostet hat, gehen laut Karzai auf das Konto der Nato und der USA. Afghanistan hat heute die höchste Säuglingssterblichkeit der Welt und ist das ärmste Land Asiens. Dreiviertel der Afghanen haben kein sauberes Wasser und fast die Hälfte hungert. Und die Taliban sind nicht vertrieben. Im Gegenteil, warten Sie mal ab, welche Ministerien die Taliban eines Tages bekommen werden.

Ja, aber wundert Sie denn gar nicht, daß ausgerechnet die Grünen den Weg in diesen Krieg geebnet haben? Welche Erklärung gibt es dafür?

Todenhöfer: Mein Buch ist nicht gegen eine Partei gerichtet, sondern gegen ein bestimmtes Denken.

Pardon, die Frage nach den Grünen erscheint zwingend: Erstens hat die rot-grüne Koalition den Krieg begonnen. Zweitens sind die Grünen laut eigenem Anspruch vor allen anderen Parteien für das Thema Frieden zuständig. Und drittens interessiert gerade aus Antikriegs-Perspektive, warum das grüne Projekt in Sachen Frieden so versagt hat.

Todenhöfer: Ich will hier trotzdem keine Parteipolitik machen. Mir geht es darum, das Drehbuch des Krieges aufzudecken. Wenn ein Krieg vorbereitet wird, geht ein medialer Tsunami los: Die Sprache wird vergewaltigt, der Gegner dämonisiert und die angeblich edlen eigenen Absichten in den Vordergrund gestellt. Es ist schwer, sich gegen diesen Lügen-Tsunami zu stellen. Jeder, der das versucht, wird diffamiert, verhöhnt, verdächtigt. Das war in der Afghanistan-Debatte so, in der Irak-Debatte auch, und bei Syrien ist es nicht anders.

Wir Deutschen sind der festen Ansicht, den Zweiten Weltkrieg intensiv aufgearbeitet zu haben. Demnach müßten wir gegen diese Verführungen immun sein. Sind wir es nicht, müssen wir dann nicht etwas falsch gemacht haben?

Todenhöfer: Wir haben nur Teile der Tragödie aufgearbeitet. Die dramatischen deutschen Fehler etwa. Hitler und die Nazis waren eine Katastrophe. Für alle. Auch für Deutschland. Daran gibt es nichts herumzudeuteln. Dennoch glaube ich, daß die Geschichte des Zweiten Weltkrieges in manchen Punkten eines Tages anders geschrieben werden wird als heute.

Inwiefern?

Todenhöfer: Bis heute wird der Eindruck erweckt, es hätte 1939 bis 1945 nur von deutscher Seite einen mörderischen Krieg gegeben. Den gab es zwar unzweifelhaft, aber deshalb war der Krieg der anderen Seite nicht immer ein guter Krieg. Als Kriegskind aus Hanau sage ich: Es war nichts Gutes daran, in Deutschland oder Japan Männer, Frauen und Kinder in ihren Häusern zu verbrennen. Mit Brandbomben, mit Atombomben. Churchill sagte, Nagasaki sei ein Akt der Barmherzigkeit gewesen. Nein, Nagasaki war Mord! Das gleiche gilt für Hiroshima und Dresden. Das hat kaum jemand zu sagen gewagt. Die Verlierer nicht und die Sieger erst recht nicht. Doch den guten Krieg gibt es nicht. Das Leben ist zu kurz, um immer um die Dinge herumzureden.

 

Dr. Jürgen Todenhöfer, ist einer der prominentesten deutschen Pazifisten heute. In fast jeder Talkshow zu Gast, veröffentlichte er in etlichen Zeitungen und publizierte über ein halbes Dutzend Bücher. Seit Jahren bereist der ehemalige Politiker und Medienmanager die Kriegs- und Krisengebiete des Nahen und Mittleren Ostens. Von 1972 bis 1990 gehörte der Jurist dem Bundestag an und galt als konservativer „Stahlhelmer“ der Unions-Fraktion. Später war er Vorstand bei Burda. Todenhöfer, 1940 in Offenburg geboren, engagierte sich bereits gegen den Krieg der Sowjets in Afghanistan. Er begleitete Mudschaheddin-Rebellen und erlebte den Krieg an ihrer Seite. Seit den US-Interventionen in Afghanistan und Irak versucht er über deren Folgen für die Bevölkerung aufzuklären. Über sein neues Buch schreibt der European: „‘Du sollst nicht töten‘ ist eine große Anklage gegen dieses elende Morden ... diesem seltsamen Mann zu folgen, kostet anfangs Überwindung. Doch dann gewinnt man etwas besonderes, man darf einen Traum mit ihm teilen.“

www.juergentodenhoefer.de

Foto: Jürgen Todenhöfer, arabische Jugendliche: „Ein westlicher ‘Sicherheitsberater’ in Afghanistan offenbarte mir: ‘Unsere Politiker fordern das schöne Töten, das ist Volksverdummung. Mit Political Correctness kann man keine Kriege führen ... Doch die Weltgeschichte ist keine Einbahnstraße. Irgendwann wird Europa überrannt, dann werden die Europäer an die Wand geklatscht.‘“

 

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