© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Deutsche fordern Gleichbehandlung
Belgien: Kurz vor ihrem 30jährigen Bestehen fordert die Deutsche Gemeinschaft Wallonien heraus / Kritik an „widersinniger Kompetenzaufteilung“
Bodo Bost

Bereits zu Zeiten der belgischen Staatskrise 2010/2011, als das Land fast zwei Jahre lang keine gewählte Regierung hatte, sorgte der Ministerpräsident der Deutschen Gemeinschaft (DG), Karl-Heinz Lambertz, für Aufsehen. Für den Fall eines Scheiterns des belgischen Staates räsonierte er öffentlich über einen eigenständigen Staat der Deutschbelgier, eine Rückkehr zu Deutschland oder gar ein ein Zusammengehen mit Luxemburg.

Kurz vor dem anstehenden 30. Jahrestag der Einsetzung einer eigenen Regierung der Deutschbelgier innerhalb Belgiens im Januar 2014 konkretisierte Lambertz und forderte mehr Gleichberechtigung gegenüber Flamen, Wallonen und Brüsselern ein. „Wir wollen mit den anderen Einheiten auf Augenhöhe sein“, erklärte er gegenüber dem französischsprachigen Blatt L‘Echo.

Belgien besteht aus den drei Regionen Flandern, Wallonien und Brüssel. Die Deutschsprachige Gemeinschaft, die im Osten des Landes an der Grenze zu Deutschland und Luxemburg liegt, gehört zu Wallonien. Wallonien war bei der Entstehung Belgiens 1839 das wirtschaftliche Zentrum des Landes, heute ist es das Armenhaus Belgiens und blickt neidisch auf die Entwicklung in Flandern, das dem Nachbarn jährlich zehn Milliarden Euro überweist.

Zu Wallonien, das immer noch für den Großteil der infrastrukturellen Angelegenheiten Deutschbelgiens zuständig ist, gehen die Deutschen mehr und mehr auf Distanz. Im Zuge der derzeit laufenden siebten belgischen Staatsreform wollen die Deutschbelgier auch immer mehr strukturelle und wirtschaftliche Kompetenzen von Wallonien haben. „Das Risiko ist, daß man uns vergißt“, erklärte Lambertz und unterstrich den Umstand, daß die dreißigjährige Erfahrung mit Autonomie im kulturellen Sektor beweise, daß die deutschsprachige Gemeinschaft sich mindestens genauso gut selbst verwalten könne.

Vor diesem Hintergrund verwies der 61jährige auf die Entscheidungshoheit in den Bereichen Städtebau und Landschaftsplanung, die noch immer bei der Region liege. Ohne diese Kompetenz sei ein erfolgreiches Regieren in der heutigen Zeit einfach unmöglich. Es vergehe kaum ein Tag, an dem nicht die „Widersinnigkeit dieser Kompetenzaufteilung unter Beweis gestellt“ würde, sagte Lambertz. Die geringe Größe der DG, die nur aus neun Gemeinden mit 74.000 Einwohnern besteht, sei dabei kein Argument gegen die Kompetenzverlagerung. Im Gegenteil, die Größe sei vielmehr ein Trumpf, da sie kurze Wege und Bürgernähe ermögliche, wie sie sonst kaum noch zu finden seien. Deshalb müsse die Deutschsprachige Gemeinschaft die Provinz Lüttich verlassen und eine eigene Körperschaft mit Regionalcharakter werden. Ein neuer einprägsamer Name für die Gemeinschaft würde dann auch gesucht – dieser sei jedoch von „nachrangiger Bedeutung“.

Rudy Demotte, Ministerpräsident Walloniens, wies die Forderungen der DG allerdings zurück. Die Gleichheit auf Augenhöhe bestehe bereits, betonte der Sozialist. Seit der sechsten Staatsreform habe die Deutschsprachige Gemeinschaft dieselbe legislative Befugnis wie die Region Brüssel. Um weitere Kompetenzen zu bekommen, so Demotte weiter, müsse die Gemeinschaft erst beweisen, daß sie mit den bereits erworbenen Kompetenzen erfolgreicher „umgehen“ könne.

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