© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Pankraz,
die Sklaven und die mentale Handschelle

Allmählich geht’s auf die Nerven. Ein neuer „Fall“, eine „Orgie der Grausamkeit“, erschütterte vorige Woche wieder einmal die medial verkabelte Welt: die „drei versklavten Frauen von London“, die „unendliches Leid“ erdulden mußten, bis sie von Scotland Yard endlich, nach 30 Jahren (!), „befreit“ wurden. Josef Fritzl plus Ariel Castro hoch zwei! Großbritanniens Premier Cameron verurteilte sofort die Tat als „abscheulich“, Londons Bürgermeister Johnson äußerte seine tiefe Betroffenheit über „solch eine Sklaverei in unserer Stadt“. Die Täter wurden festgenommen.

Was war wirklich passiert? In einem Londoner Haus lebte ein malaysisches Ehepaar (beide 67) zusammen mit drei häuslichen Hilfskräften, einer ebenfalls malaysischen 69jährigen Frau, einer weiteren Frau (57) aus Irland und deren Tochter (30). Alle Frauen hatten ihre eigenen Zimmer und konnten das Haus verlassen, wann immer sie das wollten. Aber offenbar bestanden mentale Abhängigkeiten zwischen dem Ehepaar und seinen Mitbewohnerinnen, gelegentlicher Frust nicht ausgeschlossen.

Eines Tages sah die Irin im Fernsehen einen Auftritt Frau Ranya Alkadamanis von der „Walk Free Foundation“, einer sogenannten NGO, die angetreten ist, um die Situation der angeblich über 5.000 „Haussklaven“ in Großbritannien namhaft zu machen und anzuprangern. Betroffene sollten sich bei ihr, Frau Alkadamani, oder einer anderen NGO melden. Und die 57jährige Irin meldete sich.

Umgehend machte sich eine Scotland-Yard-Truppe von über dreißig Beamten auf, um das Haus zu besetzen und umzuwühlen. 55 Säcke mit insgesamt 2.500 „Beweisstücken“ seien am „Tatort“ sichergestellt worden, gab man triumphierend an die Presse. Diese würden nun sorgfältig ausgewertet. Eine 37köpfige Sonderkommission arbeite an dem Fall. Die Täter (und auch ihre Opfer) seien, wie gesagt, festgenommen und würden intensiv verhört. Die Medien tobten vor gespieltem Entsetzen, nicht nur in London.

Inzwischen freilich ist Scotland Yard sehr kleinlaut geworden. Die „Täter“ mußten wieder freigelassen werden. Polizeisprecher sind zur Zeit eifrig damit beschäftigt, den „Jahrhundertfall“ zu minimieren und in die allgemeinen Bräuche einzuordnen. Für Menschenhandel oder sexuellen Mißbrauch gebe es keinerlei Hinweise. Auch sei bisher völlig unklar, zu welchen Arbeiten die angeblichen Opfer gezwungen worden sein sollen und ob sie überhaupt je körperlich attackiert und mißhandelt worden seien.

Der Fall sei „nicht so brutal offensichtlich“, daß die Frauen physisch im Haus festgehalten wurden, sagte Steve Rodhouse von der Spezialeinheit von Scotland Yard für Menschenhandel. Es sei „viel zu simpel“, den Fall als häusliche Sklaverei oder Zwangsarbeit zu kategorisieren. Die Beziehung zwischen Tätern und Opfern sei „komplex“ gewesen. Es gebe nicht die geringsten Parallelen zu den spektakulären Fällen seinerzeit in Österreich oder in den USA. Aber immerhin: Die drei Hausangestellten seien „stark traumatisiert und wohl daher nur bedingt zur Auskunft fähig“.

Das Gestammel der Polizei legt die Vermutung nahe, daß sie mittlerweile voll in die Zwickmühle geraten ist. Da ist einerseits das Gebrüll der Medien und der NGOs, die den Taktstock dazu schwingen. Andererseits gibt es gerade in London wohl zehn-, ja hunderttausende von Haushalten, in denen es genauso zugeht wie in dem jetzt in den Blick geholten und wo das für völlig selbstverständlich gilt. London ist eine Stadt mit einer asiatischen, von Herkunft nicht britischen Bevölkerungsmehrheit, und das fordert nun seinen Preis.

Die Opfer, stammelte der Polizeisprecher, seien zwar nicht real geprügelt, aber „mit einem unsichtbaren Hebel“ so lange im Haus gehalten worden, bis Scotland Yard schließlich tätig wurde – er meinte den Hebel der Herkunft und der fremden Sitten. Die Vorgänge hätten jedenfalls, fügte er eilig hinzu, „nichts zu tun mit moderner Sklaverei“. Und der frisch ernannte „Sklaverei-Sonderbeauftragte“ der Regierung Cameron, Mr. Steen, kündigte an, man werde im neuen Jahr das Strafmaß für Versklavung auf lebenslange Haft erhöhen.

Was aber heißt denn „moderne Sklaverei“? Beileibe nicht jede Form von Ausbeutung und Unterdrückung ist Sklaverei. Nur derjenige ist nach klassischer Definition ein Sklave, der einem anderen Menschen regelrecht „gehört“, der dessen verbrieftes Eigentum ist und das von der Rechtsprechung offiziell bestätigt bekommt. Der Sklave ist ein Sachwert. Sein Besitzer darf mit ihm alles machen, er darf ihn lebendigen Leibes in Stücke schneiden oder anderweitig töten, er darf ihn lieben, hätscheln, vergewaltigen – oder freilassen, fördern und reich beschenken.

Heute, im Zeitalter der Maschinen und der digitalen Information, lohnt sich der Masseneinsatz von Sklaven nicht mehr. Es gibt aber nach Einschätzung der Uno noch zahlreiche „Sklaveninseln“, beispielsweise in Afrika, wo über Menschen wie über Sachen verfügt wird. Und auch die Praktiken der Mädchenhändlerringe in Osteuropa oder in Südostasien werden als Sklaverei bezeichnet. Die Rhetorik gegen solche Zustände ist allerdings oft unpräzise, eher von Sensationshascherei angeleitet statt von Recht.

Noch im 19. Jahrhundert sei Sklaverei sichtbar gewesen, sagte Mr. Steen der BBC. Heute finde sie „im Untergrund“ statt. Man könne sie nicht sehen. „Es ist sehr schwer, die Einstellung moderner Sklaven zu verstehen“, sagte der neue Sklaven-Kommissar von London. Die „wehrlosen, unsichtbaren Opfer“ machten es schwieriger, gegen die Täter vorzugehen. Deshalb fordere er alle Mitbürger auf, „in ihrer Nachbarschaft genauer hinzusehen“.

Spätestens hier, findet Pankraz, müßte sich eigentlich Widerspruch in jedem guten Liberalen regen. Nachbarschaftsschnüffelei und eiliges Denunzieren bei der Polizei und bei den Medien? Und am Ende womöglich Erfüllung und Übererfüllung der Verhaftungsrate und lebenslänglich à la Steen? Väterchen Stalin läßt grüßen.

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