© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Duell zweier betrogener Betrüger
Aggressive Anhänglichkeit statt stiller Treue: In der hochkarätig besetzten Verfilmung des Romans „Am Hang“ geht es um Beziehungen und Liebesqualen
Sebastian Hennig

Der Film „Am Hang“ handelt vom Gefährdetsein des Zusammenlebens und der Gefahr des Auseinanderlebens. Es ist die folgerichtige Verfilmung eines jener Bücher, die von ihren Autoren bereits drehbuchartig angelegt wurden. Wie Pascal Mercier oder Bernhard Schlink hat auch der Schweizer Markus Werner den Roman gleichsam in die Notwendigkeit seiner Verfilmung hineingeschrieben. So etwas klingt bereits im Filmjargon einer Romanbesprechung in der Neuen Zürcher Zeitung an. Da ist die Rede von der „Sympathie-Regie, die Verständnis und Mitgefühl mit den Akteuren weckt“.

Opernkomponisten wurden zu ihren großen Arien oft durch das Stimmvermögen der Primadonnen herausgefordert. Fast möchte man meinen, dem Schauspieler Henry Hübchen wurde auf diese Weise vom Romanautor die Figur des Berufsmusikers Felix auf den Leib geschrieben. Seit er in Andreas Dresens „Whisky mit Wodka“ (2009) einen so versoffenen wie liebesdurstigen, eitlen und abgehalfterten Schauspieler darstellte, ist er bei sich selbst angelangt und ganz unverwechselbar geworden.

Von Regisseur Markus Imboden ist dieses Rollenfach noch um ein Gran verfeinert worden. Es ist nicht mehr auseinanderzuhalten, ob das Leben des Menschen mit allen Nerven und Äderchen die Maske des Schauspielers durchblutet, oder ob die Larve so lebensvoll wurde, daß wir für gelebte Wahrheit halten, was lediglich als vollendete Kunst vor die wechselnden Launen des Lebens sich schiebt.

Gealtert, niedergeschlagen und völlig aus der Bahn geworfen zeigt sich Felix. Zuweilen erhebt er sich noch zu trotziger Bewußtheit, die in Handgreiflichkeiten gipfelt. „Zu zahm“ ruft er seinem Gegenüber zu und meint sich doch zugleich selbst damit. Auf den jüngeren Rivalen Thomas (Max Simonischek), der sich mit seinen raschen Eroberungen großspurig brüstet, erwidert er: „Nur das Zögern ist human.“

Doch seine Misanthropie ist, wie zumeist, letztlich abgewehrter Selbstekel. Beide Männer sind sich selbst jeweils mehr im Wege als dem Gegner. Sie bluffen und finden sich zuletzt als betrogene Betrüger wieder. So aufgelöst, wie die Beziehung zwischen Frau und Mann, so verstört und verschoben zeigt sich dieses Duell zwischen Mann und Mann. Der Film beginnt mit einem Selbstmordversuch und endet mit einer spontanen Schießerei. Beide Male kommen sich beide Männer eher zufällig ins Gehege. Aber es gibt keinen Zufall.

Mit ihren Zeitebenen, von erzählten Rückblenden durchzogen, voller Spannungen und deren erwartbaren Auflösungen, ist diese Filmgeschichte sehr konventionell gestrickt. Aber ihre Mitteilung ist auf der Höhe der Zeit und zielt auf unsere Lebenswirklichkeit, vielleicht sogar ein bißchen zu forciert. Die Kulisse besteht aus der Hotel-Terrasse am See mit dem italienischen Kellner, einer Kurklinik und der wildromantischen Berghütte.

Diese exklusive Gesellschaft ist steril, wirkt sehr schweizerisch. Von Kindheit oder Elternschaft ist nirgends die Rede. Ein Vater, der seinem Sohn beiläufig den Ball zustößt, ohne währenddessen den Blick vom Buch zu heben, wird überheblich notiert als Metapher träger Gefühlsabstumpfung à la Eichendorff: „Die Trägen, die zu Hause liegen,/ erquicket nicht das Morgenrot,/ Sie wissen nur von Kinderwiegen,/ Sorgen, Last und Not um Brot.“ Dergleichen Nöte kennen die blitzgescheiten Helden dieser Dreierbeziehung nicht, und doch lastet die Sorge schwer auf ihnen.

Felix ist Cellist im Orchester in Winterthur und Thomas ein Jurist, der sich zum Verfassen eines rechtshistorischen Aufsatzes zurückgezogen hat. Er hat „Liebe gemacht“ mit Valerie (Martina Gedeck), jener Frau, die Felix liebt und mit der er verheiratet ist. Doch alles hat weit eher begonnen. Valerie kann im Schatten einer anstehenden Tumor-Operation bei ihrem aufrichtig geliebten Mann letztlich nicht mehr finden als Aufrichtigkeit und Liebe. Er ist beunruhigt, während die Frau, ihr eigenes Sterben vor Augen, heftiger zu leben beginnt.

In dieser unheimlichen Drift gerät sie wie von selbst in die Affäre mit dem sportlichen Windbeutel Thomas. Als der sie nach der Art der Beziehung zu ihrem Ehemann fragt, gesteht sie die unverbrüchliche Liebe und sagt zu ihrem Verhältnis: „Dich lieb ich mehr so im Vorübergehen, und es tut mir gut.“

Dieser entschlossene Hedonismus entspricht einem Gefühl tiefer Verlassenheit, während hinter Felix’ hilflosem Sarkasmus eine verzweifelte, fast abstrakte Treue steht, die ihren eigentlichen Bezugspunkt verloren hat. Zuletzt handelt es sich doch eher um aggressive Anhänglichkeit als um stille Treue. Thomas hält die Ehe für eine Überforderung der menschlichen Natur. Ein gelungener Verlauf ist allenfalls nicht unmöglich. Eva (Sophie Hutter), eine Gespielin kurzfristiger Wonnen, hält Thomas vor: „So eine Liebe wie zwischen Felix und Valerie werden du und ich nie erleben.“

Da blicken nun die Kinobesucher wie olympische Götter auf die gewöhnliche menschliche Tragikomödie. Da sie darüber aber doch Menschen geblieben sind, vermag das Dargestellte ihnen zur Lehre dienen, während es sie zugleich köstlich unterhält.

Foto: Jurist Thomas (Max Simonischek, l.) und Cellist Felix (Henry Hübchen) in der Hotelbar: Rivalen

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