© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Deutsche Rechtschreibreform: Von der Poesie der Falschheit
„Schreib, wie du sprichst“
(wm)

Daß öffentliche Angelegenheiten als Reaktion auf die „wahnhafte“ Politik vor 1945 „vernünftig“ entschieden werden, gehört zum volkspädagogischen Einmaleins. Das Euro-Abenteuer brachte diese Überzeugung immerhin merklich ins Wanken. Aber bislang erlebt der Bürger die regierende Irrationalität weniger auf der Bühne großer Politik als im täglichen Existenzkampf. Ein Musterbeispiel dafür ist die Schulpolitik, die Eltern mit immer neuen „Reformen“ verunsichert. Jüngere Tendenzen, den „Schriftsprach-erwerb“ in der Grundschule nach der Parole „Schreib, wie du sprichst“ zu „vereinfachen“, sind denn auch für den Münchner Literaturhistoriker Peter J. Brenner nur ein Symptom für das Unwesen einer realitätsfernen Expertokratie, die sich in diesem Fall „haupt- und nebenamtlich mit der Demolierung der Sprache“ befasse. Das wesentliche, antiautoritäre Motiv dieser Reformer ist ihr Haß auf pädagogische „Normen“. Stattdessen werde gegen die als „normativ“ verteufelte Orthographie die „Poesie der Falschheit“ besungen (Universitas, 10/2013). „Phonetisches Schreiben“ bringe den Grundschülern bei, daß sie Schrift nicht lernen müssen, sondern selber „erfinden“ können. Beim Erwerb von Schreib- und Lesekompetenz wolle man auf „Mühe, Geduld und Disziplin“ verzichten und gehorche damit dem zentralen Dogma moderner Pädagogik: alles, was schwer ist, leicht zu machen. (wm)

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