© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Lauter Machiavellis ohne Charisma
Sascha Adamek analysiert die „Machtmaschine“, in der die Politik weniger von demokratischen Prinzipien als von Klüngelherrschaft gestützt wird
Fabian Schmidt-Ahmad

Moralische Entrüstung und Heuchelei – seit es die Demokratie gibt, gibt es auch den Skandal. Besitzt doch der Tyrann die Gewalt, der Adlige die Abstammung zur Legitimation, so bleibt dem demokratischen Politiker nur das eigene, tugendhafte Verhalten übrig. Dieses Verhalten aber, es stolpert allzu leicht über die menschlichen Triebe und Schwächen. Und über den politischen Gegner, der mit genau diesem Makel rechnet. Macht und Sex, so scheint es daher, bleiben die unsterblichen Ingredienzien des politischen Theaters.

Bereits Perikles sorgte für öffentliche Entrüstung, als er Frau und Kind verließ, um künftig mit seiner Geliebten, der Aspasia, zusammenzuleben. Diese wird zwar als eine außergewöhnlich kluge Frau beschrieben, die selbst ein Sokrates als Gesprächspartnerin geschätzt haben soll, dennoch war sie noch nicht einmal eine attische Bürgerin. Mit ihren außerehelichen Eskapaden wissen sich daher zumindest in dieser Hinsicht Willy Brandt, Franz Josef Strauß oder Horst Seehofer bei den Heroen des Republikanismus.

Doch der Fernsehjournalist Sascha Adamek bietet mit seinem neuesten Politbuch mehr als nur spannend und kurzweilig zu lesende Unterhaltung mit moralisch fragwürdigen Geschäften und Abenteuern deutscher Politiker. Ihm geht es darum herauszuarbeiten, wie in den vergangenen Jahren das bisherige politische System zu einem neuen Apparat transformiert wurde, der eine allumfassende gegenseitige Kontrolle durch individuelle Korrumpierung erlaubt. Dieses Geflecht nennt Adamek die „Machtmaschine“.

Diese „Machtmaschine“ erlaubt ein Ausmaß der Veruntreuung, das alle bisherigen bundesrepublikanischen Auswüchse übertrifft und damit unser politisches System zu überrollen droht: „Wir leben in einer Zeit“, schreibt Adamek, „in der unter dem Vorwand der Rettung von Staaten Großbanken mit Steuergeldern finanziert werden, und in der unter dem Vorwand der Rettung Europas die größte und jahrhundertealte Errungenschaft dieses Kontinents aufs Spiel gesetzt wird: die Demokratie.“

Worin besteht die Neuartigkeit dieser „Machtmaschine“? Beispielhaft beleuchtet Adamek den Hintergrund der Rücktritte von Bundespräsident Horst Köhler und vor allem von dessen Nachfolger Christian Wulff. In beiden Fällen sieht Adamek Bundeskanzlerin Angela Merkel als treibende Kraft, was sowohl deren Installation im Bundespräsidialamt als auch deren spätere Demontierung durch die Medien betrifft. Denn beide, so zeigt Adamek auf, könnten sich als zu unzuverlässige Marionetten der Euro-Rettungspolitik erwiesen haben.

Man ahnt hier zwar, was Adamek als neuen Typ Politiker beschreiben will, jedoch bleibt der Begriff etwas unklar. Nicht zuletzt, weil Adamek zur theoretischen Erfassung auf Niccolò Machiavelli zurückgreift. Der aber hatte noch den Menschen der Renaissance vor Augen, der die ganze Wucht seiner Persönlichkeit in die politische Waagschale werfen konnte, mit allen ihren Fehlern, aber auch Stärken. Nichts steht dessen Vorstellung von Virtù (Tugend) aber ferner, als der neue Typ Politiker, wie er uns in Gestalt der Kanzlerin entgegentritt.

Denn hier ist nicht das Charisma einer Person das Entscheidende, sondern – ganz im Gegenteil – sein völliges Fehlen. Eine entleerte Hülle, eingebunden in Netzwerke gegenseitiger Gefälligkeiten. Vielleicht lebte in ihr einst ein Mensch, doch dieser wurde im Zuge einer Domestikation durch die Partei entfernt. Übrig blieb, gewissermaßen als abstrahierter Rest menschlicher Individualität, die Angst. Angst vor Kontrollverlust, Angst vor Demaskierung, Angst aber vor allem vor der eigenen Leere.

Wer aber benutzt nun diese Netzwerke, wenn die einzelnen von ihrer psychischen Grundstruktur dazu gar nicht in der Lage sind? Zwar geht Adamek hierauf nicht näher ein, benennt aber diese Kreise: „Cem Özdemir ist, wie (Karl-Theodor) zu Guttenberg, Teilnehmer am Elitebildungsprogramm der Atlantik-Brücke für potentielle Führer von morgen, die sogenannten ‘Young Leaders’, zu denen auch Bild-Chefredakteur Kai Diekmann und ironischerweise auch der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff gehören.“

Sascha Adamek: Die Machtmaschine. Sex, Lügen und Politik. Heyne Verlag, München 2013, gebunden, 352 Seiten, 19,99 Euro

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