© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Knapp daneben
Statt Respekt nur unangenehme Fragen
Karl Heinzen

Doktortitel waren früher so etwas wie Adelsprädikate der Leistungsgesellschaft. Auch bildungsferne Akademiker stellten sich den Mühen einer Promotion, weil sie sich von ihr einen höheren sozialen Status und ein besseres Vorankommen im Beruf versprachen. Mitunter ließ sich sogar die sexuelle Attraktivität auf diese Weise steigern. Manche traditionell gestrickte Angehörige des weiblichen Geschlechts kettete sich lebenslang an Langweiler, weil sie als „Frau Doktor“ angeredet werden wollte, ohne jemals eine Universität von innen gesehen zu haben.

Diese heile Welt des Bildungsbürgertums ist längst erschüttert. Wer sich heute mit einem Doktortitel vorstellt, erntet keinen Respekt, sondern stößt auf Fragen. Wo wurde abgeschrieben? Wer war der Ghostwriter? Wieviel hat das gekostet? Ein Doktortitel ist wie eine Zeitbombe. Niemand kann in einer Dissertation alles richtig machen. Jeder muß befürchten, daß seine Fehler irgendwann aufgedeckt werden und die Karriere dadurch ruiniert ist.

Wenn die Kieler Bildungsministerin Waltraud Wende nun auch noch den Fachhochschulen ihres Landes ein Promotionsrecht einräumen möchte, ist dies daher ein unverantwortlicher Anachronismus. Zeitgemäß wäre es vielmehr, den Universitäten dieses Recht zu nehmen, um die Studenten vor einer Versuchung zu bewahren. Als junge Menschen haben sie oft noch keine Vorstellung davon, wie knapp die Lebenszeit bemessen ist. Für zwei, drei oder mehr Jahre knien sie sich in ein hochspezielles Thema hinein, ohne zu begreifen, daß die Menschheit hier auf gar keinen Erkenntnisfortschritt wartet. Niemand wird ihren Text lesen, selbst die Gutachter haben oft nur die Zeit, ihn oberflächlich zu würdigen. Hochrentable Wissenschaftsverlage bereichern sich an ihren Druckkostenzuschüssen. Und zu guter Letzt setzen sie sich, wenn es dann doch einmal ans Geldverdienen geht, dem Verdacht ihrer Arbeitgeber aus, Zeit verplempert zu haben und praxisfern zu sein. Bereits seit 1919 dürfen in Deutschland keine Adelstitel mehr verliehen werden. Dies sollte endlich auch auf den „Doktor“ als ihre bürgerliche Entsprechung ausgeweitet werden.

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