© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/13 / 29. November 2013

Verschleppt im Land der Hisbollah
Libanon: Ein Foto von der Ajatollah-Khomeini-Statue und schon entwickelte sich JF-Reporter Billy Six zum Problemfall
Billy Six

Nur ein Foto, in Ordnung?“ Hassan ist einverstanden. Der 27jährige Geschäftsmann für alles ist Aktivist der schiitischen Hisbollah im Kleinstädtchen Bednayel im Nordost-Libanon – und seit gestern auch mein Aufpasser.

Nur hundert Meter sind es von Hassans privater Milchkuh-Anlage zur vielbefahrenen Hauptstraße, welche die hiesige Bekaa-Ebene von Nord nach Süd verbindet. Überlebensgroß wacht ein für alle Fahrzeuge weithin sichtbares Porträt des iranischen Ajatollah Khomeini über die Szenerie. Die Bilder sind schnell gemacht – und die Blicke der Umwelt sicher. Ein arg mitgenommener Pkw, Typ siebziger Jahre, hält. Der bullige Fahrer geht auf mich zu – und wirkt nur unter Mühen angespannt freundlich. Auch ohne profunde Arabischkenntnisse ist mir klar: Er hat ein Problem mit fotografierenden Ausländern.

Um die Situation zu entkrampfen, drücke ich ihm einen von Hassan signierten Zettel in die Hand. Ohne mit der Wimper zu zucken, deutet er an, „das Problem klären“ zu müssen. Ich denke mir nichts dabei, zu seiner verschleierten Frau und den beiden Kindern ins Auto zu steigen. Bei den schiitischen Moslems im Libanon ist es derzeit normal, daß Fremde argwöhnisch betrachtet werden – und sich vor den Lokalkomitees zu verantworten haben. Auf ähnliche Weise lernte ich auch Hassan kennen. Unbeschwertes Reisen ist nicht mehr in allen Teilen des Zedernstaates möglich.

Die Schiiten bilden dabei ein ganz besonders enges Gesellschaftsnetzwerk. Zusammenzustehen – dies ist das Geheimnis, wie die Parteianhänger des Propheten-Schwiegersohns Ali über 1.300 Jahre neben der verfeindeten sunnitischen Mehrheitskonfession zu überleben wußten.

Diesmal wird alles anders sein. Ich soll in einem Kebab-Geschäft warten. Den Tee trinkenden Männern gegenüber reiche ich freundlich die Hand. Wenig beeindruckt schauen sie zu, wie „mein Fahrer“ und der Ladeninhaber den Inhalt meines Ausflugsrucksacks inspizieren. Für den wiederholten Hinweis auf Hassan und die Hisbollah aus Bednayel interessiert sich keiner.

Als der grobschlächtige Herr ein kompromittierendes Bild aus meinem Fotoalbum zieht, kippt die Stimmung endgültig. „Terrorist“, murmeln sie. „Einer von denen.“ So weit reicht mein Arabisch dann doch.

Die Aufnahme aus dem letzten Jahr zeigt mich im Syrien-Krieg, wie ich auf einem Blindgänger der Luftwaffe posiere – zusammen mit Rebellenkämpfern. Ein deutscher Dschihadist? 170 von ihnen sollen im Nachbarland gegen den Staat von Präsident Assad kämpfen, schätzt Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. Die Schiiten des Libanons stehen fest an der Seite der syrischen Regierung, deren Machtverlust eine weitreichende Herrschaft sunnitischer Extremisten nach sich ziehen könnte.

Es wird nicht lange gefackelt: Mein Desperado spricht sich kurz ab. Dann stülpt er mir unversehens zwei schwarze Plastiktüten über den Kopf und fixiert diese auch noch. Bevor meine Hände auf dem Rücken gefesselt werden, bleibt mir ein kurzer, vielleicht lebensrettender Moment: Mit dem rechten Zeigefinger steche ich ein Loch durch die Gesichtsumhüllung. Mit Nachdruck wird mir bedeutet, den Hintern in Bewegung zu setzen. Noch bevor mein Tageslicht erlischt, habe ich von meinem Wartestuhl aus sehen können wie der Kofferraum des Verschlepper-Taxis geöffnet wurde. Genau hier werde ich nun hineingedrückt – und die Klappe mit dumpfem Schlag verschlossen.

Während das Fahrzeug brummend und ruckelnd beschleunigt, liege ich auf dem Rücken – in einer eher ungemütlichen Lage. Es wäre jetzt normal, in panische Angst zu verfallen. Doch der Verstand sagt mir: „Das hat keinen Sinn.“ Mein Unterbewußtsein geht, wohl aus Selbstschutz, noch einen Schritt weiter: „Langweilig! Das kennst du schon.“

Ich verwerfe diesen abwegigen Gedanken und gehe mit mir ins Gericht: Warum nur setze ich mich stets diesen Gefahren aus? Von Orten zu berichten, die sonst niemand sieht, ist schön und gut. Abenteuerlust auch. Aber stets mußten auch andere, wie die Familie oder der diplomatische Dienst, unter meinen Fehlern leiden. Zuletzt saß ich von Dezember 2012 bis März 2013 in Haft der syrischen Staatssicherheit, nachdem mich die Armee wegen illegaler Einreise und Terrorismusverdachts mitten auf dem Bürgerkriegsschlachtfeld festgenommen hatte (JF 12/13). Mit teils zynischem Optimismus ließen sich die Wochen in der Einzelhaft ertragen.

Daß der Körper unheimlich belastungsfähig ist, hatte ich noch kurz vor der Syrien-Reise von einem Psychologen auf einem fünftägigen Kriegsreporter-Seminar der Bundeswehr im unterfränkischen Hammelburg gelernt. Ebenso, nicht den Helden zu spielen, wenn die Fluchtchancen nicht offenkundig gut stünden. „Beim Zugriff steht auch der Täter unter Streß“, so der erfahrene Geistesanalytiker damals. Atem- und Entspannungstechniken sowie positives Denken seien der Schlüssel, die Situation von einer Minute zur nächsten zu ertragen. Eine Karikatur ist mir im Gedächtnis geblieben: Ein Kaninchen, das spricht: „Toll, endlich mal ’n Wolf.“

Der Wagen hält. Was ich nicht sehen kann, ist, daß mein Peiniger seine Angehörigen entläßt, um die Fahrt mit mir allein fortzusetzen. Für Frau und Kinder schien Papas Umgang mit einem wildfremden Ausländer ganz normal zu sein. Von irgendwoher erhalte ich einen seichten Stoß, als ich laut zu sprechen anfange und mich durch Bewegung zu entkrampfen suche. Als Antwort fühle ich, wie von oben Sitzpolster auf meinen Körper gedrückt werden.

Die Fahrt geht weiter. Ich fühle mich schon auf dem Weg in irgendwelche Nebenpfade der Berge des Anti-Libanon. Auf Monate in einem Keller – gegen Lösegeld? Als Umschlagplatz für Drogen und Waffen ist diese Gegend berüchtigt. Die Gerüchte über monströsen Organhandel sind legendär. Der Staat hat hier nichts zu melden.

Daß die mit alten Flinten bewaffneten Männer, die ich gestern entlang der Landstraßen zu Gesicht bekam, zur „Mafia“ gehörten, ist ein offenes Geheimnis. Ebenso die Analyse, daß tatsächlich verschiedene Clans unabhängig voneinander wirtschaften – und die Hisbollah finanziell an einer Situation partizipiert, die sie ohnehin nicht ohne weiteres ändern könnte. Anders als noch in den achtziger Jahren ist es nicht mehr die Schiiten-Miliz selbst, die westliche Ausländer verschleppt. Das macht die Sache nicht ungefährlicher – nur weniger durchschaubar.

Glücklich bin ich in jedem Falle darüber, das nötige Maß an Luft zu bekommen. Auf gar keinen Fall soll der Entführer auf die Idee kommen, die „Mundverschleierung“ noch zu verstärken.

Das Blut staut sich in meinen unterhalb der Wurzel verschnürten Händen. Drehbewegungen verschaffen Linderung und einen Ausweg: Die Plastikschnüre liegen nicht perfekt an. Nach einigem Hin und Her kann ich meine Hände hinauswinden und endlich wieder frei bewegen. Einen Moment lang verharre ich in der Fesselposition. Dann reiße ich mir vorsichtig die Plastiktüten vom Gesicht.

Bevor ich mich umschauen kann, ist der Arm des Fahrers bereits wie aus dem Nichts an meinem Körper. Erst jetzt bemerke ich: Seine Schrottkarre hat keine feste Abtrennung zwischen Fahrer- und Heckbereich. Mein Glück. Ich stoße die Sitzpolster beiseite und krabbele zu ihm ans Lenkrad. Es ist eine Spontanreaktion. Durchs offene Fenster brülle ich um Hilfe. Mit vagen Erfolgsaussichten: Schließlich fahren wir gerade mitten durch die Einkaufsstraße einer Kleinstadt.

Der Entführer ist gezwungen zu bremsen, um mich auf den Beifahrersitz zu stoßen. Ohne weiter nachzudenken, krauche ich durch das andere, ebenfalls freie Fenster halb nach draußen – bis der Libanese mich von hinten packt und zurückzerrt. Mein Oberteil reißt ein. Selbst die Hose. Doch mein Ziel scheint erreicht: Eine Menschenmenge versammelt sich in einem guten Meter Abstand. Sie schauen mich an, als käme ich vom Mond. Niemand steht mir bei. Im Gegenteil. Einer hält mir seinen Revolver entgegen. Ein anderer schreit „Lügner“ auf den lauten Hinweis, ich sei deutscher Staatsbürger.

Wenigstens ein Anzugträger scheint so geistesgegenwärtig, in ruhigem Englisch mit mir zu kommunizieren. In Windeseile wird meinem „Chauffeur wider Willen“ bedeutet, einem Korso moderner Geländewagen zu folgen.

Einige hundert Meter weiter kommen alle Fahrzeuge vor einer schiitischen Moschee zum Stehen: Blaue Kacheln, vergoldete Kuppeln – und gesellschaftlicher Mittelpunkt. Es sind ein Imam und mehrere gut gekleidete Hisbollah-Funktionäre, die über mich entscheiden. Für einige Minuten kriege ich erneut einen Plastikbeutel über den Kopf gestülpt. Dann beginnt das Palaver. Die Beteiligten werden sich einig: Ihr deutscher Fang ist weder Terrorist noch israelischer Spion. Ich darf das Bad aufsuchen und bekomme eine Flasche Wasser. Mein Peiniger hat sich längst davongemacht – und 62 Dollar aus meinem Rucksack mitgehenlassen. Das Wichtigste, der Fotoapparat, ist mir geblieben.

„Alles in Ordnung. Habe keine Angst.“ Die schiitischen Funktionäre, Männer in gesetztem Alter, schmunzeln. Erst recht, als sie das Papier von Hassan, einem ihrer Bundesgenossen, in Augenschein nehmen. In zwei geräumigen Fahrzeugen bringen sie mich zurück nach Bednayel. Unterwegs beichten sie: „Die Hisbollah ist gut. Wir sorgen für Sicherheit. Der Mann, der dich mitnahm, hat überreagiert.“ Eine Entschuldigung klingt anders.

Doch das ist noch das geringste Problem: Für Hassan, der mich gestern noch quasi adoptiert hatte, bin ich zum Belastungsfall geworden. „Das ist Bekaa – es kann jemand mein Auto klauen und mich anrufen, ich solle 1.000 Dollar zahlen – die Polizei wird mir sagen, mach das doch“, so Hassan über die Zustände in seiner Heimat. Die Hisbollah habe „Besseres zu tun“. Er fährt mich an die Grenze zum christlichen Konfessionsgebiet. „Paß auf“, sagt Hassan, „du und ich – kein Problem. Ich habe gar nichts gegen dich. Aber unsere Gesellschaft – Problem!“

Nun hoffe ich, bei der Polizei Gerechtigkeit zu bekommen: ein Protokoll, eine Ortsbesichtigung oder im besten Falle gar die Festnahme der Verantwortlichen im mir bekannten Kebab-Geschäft. Doch die Offiziere im maronitisch-katholischen Sahleh hören freundlich zu, um mich anschließend eine gute Stunde warten zu lassen. „Alles geregelt“, verkündet man schließlich müde lächelnd. „Was ist geregelt“, möchte ich wissen. „Dein Fall. Du kannst zurück nach Beirut – und am besten raus aus Libanon“, so der Polizeichef. In die Angelegenheiten der Schiiten mischen sich die Wachtmeister nicht ein. Gesetz hin oder her. Zumal seit die Regierung Mikati im März 2013 abgetreten ist, die Parlamentswahlen aufs nächste Jahr vertagt wurden – und die Hisbollah, obwohl sie aufgrund ihres Beistands für Assad auch an Ansehen in Arabien verloren hat, immer noch die stärkste Kraft im Lande bleibt.

Foto: Verbindungsstraße zwischen Baalbek und Sahleh in Libanons Bekaa-Ebene: Kurz nach der Aufnahme des Bildes fand sich JF-Reporter in einem PKW-Kofferraum wieder (nachgestelltes Foto)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen