© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

„Wer 8,50 Euro nicht zahlen kann, hat versagt“
Verteilungspolitik: Unternehmer und Ökonomen lehnen einen Mindestlohn keineswegs geschlossen ab / Sind 1,2 Millionen Arbeitsplätze in Gefahr?
Christian Schreiber

Es sieht nach einem Sieg der Sozialdemokraten aus: „Zum 1. Januar 2015 wird ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde für das ganze Bundesgebiet gesetzlich eingeführt.“ So steht es im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Das wäre zwar elf Monate später als im Wahlkampf versprochen, aber der Heftigkeit der Reaktion aus den Wirtschaftsverbänden tat das keinen Abbruch. Der frühere Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warnte sogar, daß der Mindestlohn von 8,50 Euro 1,2 Millionen Arbeitsplätze kosten würde.

Daß Stellen gefährdet sind, bestreiten auch die meisten deutschen Ökonomen nicht. Aber „es wird mit Sicherheit keine Million sein“, sagte der Vizechef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Ulrich Walwei, im ZDF-Magazin „Wiso“. Das erklärt sich schon aus den Details im Koalitionsvertrag: Demnach gilt das „gesetzliche Mindestlohnniveau uneingeschränkt“ erst ab 2017 – dem Jahr, in dem die nächste Bundestagswahl regulär ansteht.

Zusätzlich stehen weiterhin Umgehungsmöglichkeiten bereit: „Freiwillige Mehrarbeit, um auf bezahlte Überstunden zu kommen, wird es gewiß in nicht wenigen Fällen geben“, heißt es in einer Analyse im Wirtschaftsdienst (11/13). „Es wird hier gar kein Stundenlohn, sondern faktisch ein Stücklohn gezahlt.“ Dies betreffe zwei Millionen Personen oder sechs Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. Zudem könnte abhängige in formal selbständige Beschäftigung umgewandelt werden: „Der frühere Mitarbeiter bleibt dabei weiterhin an seinen bisherigen Arbeitgeber gebunden, der Arbeitsvertrag wird lediglich etwa durch einen Werkvertrag ersetzt.“

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sorgte sich in der Wirtschaftswoche hingegen um Schulabgänger: „Die dürften nicht verleitet werden, auf eine Ausbildung mit 600 oder 800 Euro zu verzichten, weil sie künftig mit einem Aushilfsjob und Mindestlohn 1.400 Euro verdienen können.“ Das unterstellt immerhin, daß der Mindestlohn die mitteldeutschen Bundesländer nicht so heftig trifft, wie von Tillichs Koalitionspartner FDP in Dresden befürchtet. Daß der 8,50-Euro-Plan vor allem im Tarifgebiet Ost zu spürbaren Lohnerhöhungen führen würde, erklärt sich aus der dort niedrigen Entgeltstruktur. Bundesweit gibt es derzeit dutzende Tarifverträge mit DGB-Gewerkschaften und Löhnen unterhalb von 8,50 Euro – die je nach Familienstand durch Hartz-IV-Leistungen auf Kosten des Steuerzahlers aufgestockt werden (JF 11/13).

Auch zahlreiche Kleinunternehmer fordern seit langem eine Lohnuntergrenze, um so etwa Dumping-Lohnangeboten und Dienstleistungen aus Osteuropa etwas entgegensetzen zu können. Das Thema trennt große Konzerne wie Lidl oder Aldi, die über 8,50 Euro zahlen, und kleine Handelsbetriebe, Ballungsräume und ländliche Regionen. Im Gastgewerbe herrscht Ratlosigkeit: „Wir müßten dann nicht nur die Einstiegslöhne für Hilfskräfte anheben, sondern das gesamte Lohngefüge verändern“, erklärte Dirk Ellinger, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Thüringen, im Focus. „Die Folge wären Preiserhöhungen von sieben bis zehn Prozent nur durch gestiegene Personalkosten.“ Ähnlich argumentiert die Dehoga im Saarland, wo viele Pendler aus Frankreich arbeiten. „Ohne eine mindestens zweijährige Übergangsfrist würde ein Mindestlohn die legale Beschäftigung von angestellten Fahrern in vielen Gebieten unmöglich machen“, warnte eindringlich der Taxi- und Mietwagenverband BZP.

In manchen Tarifbereichen könnte der flächendeckende Mindestlohn faktisch sogar zu Einbußen führen, denn es gibt schon jetzt den „richterlichen Mindestlohn“. Dabei unterstellt das Bundesarbeitsgericht, daß eine Lohnabrede nichtig ist, wenn sie mehr als ein Drittel unter dem branchenüblichen Lohn liegt. Der Arbeitgeber muß dann nach Tarif zu zahlen. Besonders in Süddeutschland liegt der „richterliche Mindestlohn“ daher über dem Mindestlohn. Die 8,50-Euro-Regelung könnte diese Rechtsprechung aushebeln. Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Bei Neueinstellungen in nichttarifgebundenen Firmen könnten Arbeitnehmer so nur noch den Mindestlohn erhalten – auch wenn dieser mehr als ein Drittel unterhalb des Tarifniveaus liegt.

Die deutlichsten Worte zum Mindestlohn fand einmal mehr der Mittelständler Wolfgang Grupp: „Es ist eine Schande, daß wir darüber diskutieren müssen. Jeder Mitarbeiter muß soviel verdienen, daß er davon leben kann“, schrieb der Chef des schwäbischen Textilherstellers Trigema in der Wirtschaftswoche. Wer einen Mindestlohn nicht zahlen könne, „produziert in unserem Hochlohnland das falsche Produkt und hat somit als Unternehmer versagt. Oder er will seine Mitarbeiter ausbeuten, um sich Vorteile zu verschaffen“, so Grupp.

„Gesetzliche Mindestlöhne: mit der Einführung kommen die Tücken der Umsetzung“ im Fachblatt Wirtschaftsdienst 11/13:

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