© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Pankraz,
D. Zwirner und der perverse Kunsthandel

Jetzt wird es selbst den avantgardistischsten (und reichsten) Großgaleristen zuviel. Die Nase gründlich voll hat beispielsweise David Zwirner, berühmter Kunsthändler mit Filialen in New York und London, dem Künstler wie Christopher Williams, Yan Pei-Ming und nicht zuletzt Neo Rauch ihren rapiden internationalen Aufstieg verdanken. Zwirner findet das gegenwärtige Verkaufsgeschäft auf den großen Kunstmessen laut New Yorker „nur noch pervers“. Er spielt angeblich mit dem Gedanken, seine Galerien zu schließen.

„Es wird ja nur noch über Geld geredet“, klagt er dem Blatt, „und weshalb? Weil das eben viel einfacher ist, als über Kunst zu sprechen. Es deformiert kuratorische Instinkte, kritische Beurteilungen und die Karrieren junger Künstler. Und es schreckt die Leute ab. Sie beginnen, Kunst in einen Topf mit anderen Auswüchsen zu werfen und sie als ein bloßes protziges Spielzeug der Reichen abzutun.“

Zwirner sieht aber keinen Ausweg. Für ihn ist das nun mal der Lauf der Welt. „Die meisten, die das beklagen, sind doch Komplizen“, seufzt er. „Die ganze Kulturindustrie, die vor einer Generation so noch gar nicht existierte, lebt doch von dem ganzen Geld – überwiegend von der Großzügigkeit und Verrücktheit begüterter Kunstliebhaber, gleich, ob deren Motive nun erhaben oder falsch sind.“

Pankraz ist da anderer Meinung. Das merkwürdige Gleichheitszeichen zwischen Großzügigkeit und Verrücktheit mißfällt ihm. Er hegt den Verdacht, daß die Kunstliebhaber von heute gar keine sind, geschweige denn großzügige, sondern daß es sich um reine Geldliebhaber handelt, deren Motive weder erhaben noch falsch sind, sondern höchst rational in Hinblick auf Geldvermehrung. Kunstwerke sind in dieser Perspektive nur noch Spekulations- und Anlageobjekte, mit denen man an den Kunstbörsen spielt, wo man ihren Geldwert mit allerlei medialen Tricks in phantastische Höhen treibt.

Beweise für die These gibt es im Dutzend billiger. Man nehme nur die jüngsten Vorgänge um den sogenannten Gurlitt-Schatz von München. Über die Inhalte der beschlagnahmten Bestände, über ihre Themen und Techniken erfährt man so gut wie nichts, lediglich daß es Werke der sogenannten „klassischen Moderne“ seien, mit viel „NS-Raubkunst“ darunter. Alles dreht sich stattdessen um ihren „Wert“, um den Geldwert, versteht sich. Millionen und Abermillionen seien hier im Spiel, heißt es, Milliarden! Die Lefzen aller möglichen „Kunstliebhaber“ triefen geradezu vor ungenierter Geldgier.

Sehr zustatten kommt den Spekulanten in spe die angebliche Ungeklärtheit der Besitzverhältnisse. Ohne daß bisher auch nur ein einziges juristisch verbindliches Urteil ergangen wäre, gilt es in der diskutierenden Clique als völlig ausgemacht, daß der Gurlitt-Erbe Cornelius Gurlitt wie der Nibelungendrache auf einem ungeheuren, zusammengeraubten „Schatz“ sitze, der ihm nicht wirklich gehöre. So lassen sich schon im Vorfeld eventueller Auktionen oder Rückerstattungen eine Menge Erzählungen unter die Leute bringen, die die Preise in die Höhe treiben und das Geschäft richtig fett machen.

David Zwirner hat recht: Über Geld läßt sich leichter als über Kunst reden, und über wen – wäre hinzuzufügen – am leichtesten und also am meisten geredet wird, der erzielt die höchsten Preise. So erklärt sich ja auch, warum die Hervorbringungen der allerneuesten Kunst (meistens bloße Gestenkunst von minimaler Gegenständlichkeit und schlaffem Formwillen) in der letzten Zeit trotz Finanzkrise preislich kräftig zugelegt haben, oft um über hundert Prozent, während die Preise für alte Meister, von Raffael bis Caspar David Friedrich, laut Statistik lediglich um 1,7 Prozent anstiegen.

Die Kunstwerke als solche, ihre inhaltliche oder formale Qualität, spielen faktisch keine Rolle mehr. Einzig der Name des Künstlers interessiert noch, besonders wenn er durch irgendwelche Bewegungen des Zeitgeistes, durch modische Launen und geschicktes Marketing, durch Werbetricks und intensives mediales Hörensagen nach oben gekommen ist. Es geht in der Kunst mittlerweile tatsächlich wie auf den übrigen, „banalen“ Finanzmärkten zu: reale Sachen verwandeln sich in Zertifikate oder Derivate, vulgo: in bloße Wörter, Ankündigungen, Versprechungen.

Natürlich hat das auch Einfluß auf das Verhalten des einzelnen Künstlers. Er orientiert sich nicht mehr an den herkömmlichen Geldgebern, an reichen Kunstliebhabern oder repräsentationsbegierigen Päpsten und Staatsmännern, denn diese wagen längst keine eigenen Entscheidungen mehr, wissen nicht, was der „Markt“ will und was sie also wollen sollen. Um so besser wissen das alle möglichen Finanzexperten und Börsenmakler, Galeristen und Kuratoren. Bei denen also muß man sich anstellen, bei denen muß man sich lieb Kind machen, um zu ordentlichen Entlohnungen zu kommen.

Und je mehr sich die Summen akkumulieren, um so höher steigt der Wert der Erzählungen und Versprechungen. Geld und mediales Geschwätz schaukeln sich gegenseitig hoch und erreichen am Ende manchmal wahrhaft irre Niveaus. Insofern kann man in bezug auf den Kunstmarkt, wie es vor kurzem der Coca-Cola-Manager Jonathan Ford getan hat, durchaus von der „Blase aller Blasen“ sprechen. Einem Minimum an Sachwert steht ein Maximum an Geld und Geschwätz gegenüber, und wenn sie schließlich platzt, bleibt buchstäblich nichts weiter übrig als ein flauer Mundgeschmack.

Freilich, wann sie platzt und was das für Folgen für die Kunstwelt hätte, läßt sich schwer voraussagen. Es könnte zu herben Deflationen kommen, zu einer allgemeinen Abwendung von seriöser bildender Kunst überhaupt. Aber auch das Gegenteil wäre denkbar: Rückkehr zu originellem Formwillen und handwerklicher Gediegenheit, Lobpreis für wirkliche Meister.

Viel hängt wohl von so besorgten wie einflußreichen Galeristen wie David Zwirner ab. Sie sollten weniger Angst vor dem Markt und mehr Mut zu sich selber haben.

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