© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

Auf der Suche nach einem eigenen Weg
Lebenswege eines Denkens: Dem französischen Philosophen Alain de Benoist zum Siebzigsten
Karlheinz Weissmann

Es gibt in der wachsenden Menge französischer Literatur über Alain de Benoist zwei Einschätzungen, denen man spontan zustimmen möchte. Die erste lautet, er wäre unter anderen Umständen ein „großer Universitätslehrer“ (Olivier Dard) geworden, die zweite, er gehöre zur kleinen Zahl der „abweichlerischen Intellektuellen“ (Pierre-André Taguieff).

Bei der Vorstellung, daß Benoist einen Professor abgeben könnte, muß man allerdings von einer sehr idealen Vorstellung der Hochschule und des Hochschullehrers ausgehen, denn tatsächlich sind seine Interessen so weitgespannt – von der Frühgeschichte bis zur Psychologie, von der Genetik bis zur Völkerrechtslehre, von der Ökonomie bis zur Ökologie – und seine Kenntnisse so umfangreich, daß man ähnliches an einer heutigen Universität kaum finden wird. Insofern ist die Einschätzung als dissidenter Intellektueller sachgerechter. Sie dürfte auch Benoists eigener Positionierung entsprechen, zumal er den für die Rechte so typischen Vorbehalt gegenüber „Mundwerksburschen“ (Arnold Gehlen) nie geteilt hat.

In dem ersten Interview, das er 1979 dem Spiegel gab, charakterisierte sich Benoist ausdrücklich als „jungkonservativer Intellektueller“. Das Adjektiv war nicht nur exotisch gewählt, sondern diente auch dazu, eine Position zu markieren, die jenseits des linken Mainstreams lag. Zu dem Zeitpunkt hatte die Diskussion um die „Nouvelle Droite“ (ND), die „Neue Rechte“, als deren Kopf Benoist betrachtet wurde, die Bundesrepublik längst erreicht, und die Irritation war hier mindestens so groß wie in Frankreich. Denn die ND paßte nicht in die üblichen Schemata: Sie war nicht nationalistisch, sondern europäisch, nicht katholisch, sondern heidnisch, nicht in erster Linie antikommunistisch, sondern in erster Linie antiliberal, nicht konservativ, sondern avantgardistisch.

Das allein hätte schon genügt, um in westdeutschen Feuilletons Verstörung auszulösen, aber es kam noch ein weiteres hinzu: der ausgesprochen germanophile Grundzug, der in der Verehrung Wagners, Nietzsches und Heideggers wurzelte, aber seinen Niederschlag auch im Interesse an den Forschungen Gehlens, Schmitts und Lorenz’ fand, vor allem aber in der Begeisterung für ein Frankreich so fremdes Phänomen wie der Konservativen Revolution.

Geprägt durch die Interpretation seines Freundes Armin Mohler bildeten die Leitideen der Konservativen Revolution für Benoist damals so etwas wie die Fixsterne, nach denen er navigierte. Auch das hatte mit der schwierigen Scheidung der neuen von der alten Rechten zu tun. Zwar betont Benoist in seinen Erinnerungen (deren deutsche Übersetzung demnächst in der JF-Edition erscheint), daß er schon als junger Mann nicht in die Reihen der Integristen, Monarchisten, Nationalisten und „Besiegten von 1944“ paßte, die das Bild in der Nachkriegszeit bestimmten, aber es bleibt doch unverkennbar, daß seine Politisierung nicht nur ein individueller Akt war, sondern mit der Politisierung seiner Generation zu tun hatte. Die sah sich durch den Algerienkonflikt in zwei große Lager gespalten. Benoist war kein Nostalgiker, aber er gehörte auf die Seite der Algérie française, entschlossen, die Reste des Kolonialimperiums zu verteidigen, mindestens aber eine Überseeprovinz, die man als Teil des Mutterlandes betrachtete.

Die Auseinandersetzung, an der er Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre teilnahm, wurde keineswegs nur mit Worten ausgetragen. Der Schüler, dann der Student Benoist zählte zu den militants der Rechten, aber seine Sache waren weder Aufmarsch noch Saalschlacht, noch nächtliches Plakatieren, auch wenn er den Einsatz nicht scheute. Seine Sache war das Lesen – ein unmäßiges Lesen – und bald das Schreiben.

Benoist begann schon vor dem Abi-tur für verschiedene Zeitschriften der nationalistischen „Szene“ zu arbeiten, aber entscheidend wurde die Bekanntschaft mit Dominique Venner, den man wegen Unterstützung der OAS inhaftiert hatte und der im Gefängnis eine Selbstkritik des Nationalismus verfaßte, die auch Benoist beeindruckte. Als Venner die Zeitschrift Europe-Action gründete, gehörte Benoist rasch zu deren wichtigsten Mitarbeitern.

In diesem Abschnitt seiner Entwicklung prägten sich zentrale Vorstellungen Benoists aus, und gleichzeitig wuchs seine Skepsis gegenüber der politischen Praxis. Einen ähnlichen Prozeß durchlief auch Venner, der allerdings die unmittelbare Parteinahme ganz aufgab, während Benoist mit einigen Freunden nach der Einstellung von Europe-Action eine neue Zeitschrift gründete. Die trug den programmatischen Titel Nouvelle Ecole.

Der von Georges Sorel geprägte Begriff „neue Schule“ sollte im Sinn von Denkgemeinschaft verstanden werden. Gemeint war damit nicht der Gesinnungskonventikel, sondern eine intellektuelle Elite, die eine moderne rechte Weltanschauung entwerfen sollte. Benoist hat im Rückblick gemeint, daß er damals eine „positivistische Phase“ durchlaufen habe, in Reaktion auf den Irrationalismus und die folgenlose Rede der Rechten über „ewige Gesetze“, auf die man vertrauen dürfe. Er habe zu einem „Nullpunkt“ zurückkehren wollen, um die viertausendjährige europäische Überlieferung aufzunehmen, ohne einem ideologischen Vorurteil zu verfallen.

Im Januar 1969 fand die „neue Schule“ ihre organisatorische Form als GRECE – Groupement de récherche et d’ études pour la civilisation européenne, dessen Zweck der Kampf um die „kulturelle Hegemonie“ war. Den Begriff übernahm Benoist von dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci, um ihn gegen die triumphierende Linke – der Pariser Mai lag wenige Monate zurück – zu wenden, indem man die auf ihrem eigenen Feld – der Kultur – besiegte. Für einige Zeit erschien ein solcher „Gramscismus von rechts“ durchaus erfolgversprechend.

1973 gründete der GRECE eine eigene Publikumszeitschrift, Eléments (JF 49/13), es gab mit den Editions Copernic ein Verlagshaus, es fanden Kongresse und Schulungen statt und das Comité de Patronage von Nouvelle Ecole war eine Versammlung erlauchter Geister. 1978 erhielt Benoist für seine „kritische Anthologie der zeitgenössischen Ideen“, die unter dem Titel „Vu de droite“ erschienen war, den Großen Essay-Preis der Académie française. Im Figaro Magazine, das kurze Zeit später von der auflagenstärksten bürgerlichen Zeitung Frankreichs, dem Figaro, auf den Markt gebracht wurde, verschaffte man ihm und einigen anderen Köpfen der „Neuen Rechten“ ein Forum, dessen Wirksamkeit weit über das hinausging, was man bis dahin an publizistischen Mitteln zur Verfügung gehabt hatte.

Gerade dieser Erfolg provozierte aber einen Rückschlag von unerwarteter Heftigkeit. Im Frühjahr 1979 inszenierte Le Monde eine Kampagne gegen die Nouvelle Droite und deren Einfluß auf die veröffentlichte Meinung, der sich nach und nach fast die gesamte französische Presse und dann auch die größeren Blätter und Zeitschriften im Ausland anschlossen. Die Phase allgemeiner Aufmerksamkeit, die die französische „Neue Rechte“ für kurze Zeit genoß, endete mit ihrer Verdrängung aus vielen der gerade erreichten publizistischen Positionen.

Es hat dieser Rückschlag bei Benoist keineswegs zur Resignation geführt. Die nächsten Jahrzehnte waren vielmehr von außerordentlicher Produktivität gekennzeichnet. Benoist gründete eine dritte Zeitschrift – Krisis – und veröffentlichte mehrere Dutzend Bücher sowie zahllose Artikel. Einen guten Teil seiner Zeit verbringt er seitdem auf Reisen, um weltweit an Symposien und Kongressen teilzunehmen.

Gleichzeitig vollzog sich eine weitere Akzentverschiebung. Im Vorwort zur 2002 erschienenen Neuausgabe von „Vu de droite“ schrieb Benoist, daß seine Hoffnung auf eine „postmoderne“ Rechte getrogen habe, und: „Heute, da wir die vollständige Überflüssigkeit der Rechts-Links-Unterscheidung erleben, bedaure ich nicht, mich abseits zu stellen.“ Dieses Abseitsstellen hat bei ihm zu einer Distanzierung von der Rechten überhaupt geführt, ohne daß er ein Linker geworden oder zu den Liberalen übergelaufen wäre.

Vielmehr verteidigt Benoist noch entschiedener als in der Vergangenheit seine Unabhängigkeit. Eine Tatsache, die man auch vor dem Hintergrund seiner Bewunderung für die Nonkonformisten früherer Zeiten verstehen muß. Was ihn an Männern wie Sorel oder Edouard Berth oder Thierry Maulnier fasziniert, war immer die Suche nach einem eigenständigen Weg.

Dieser Suche hat Benoist sich angeschlossen, was viel erklärt von der Intensität, mit der er nicht nur seinen bekannten Interessen nachgeht, sondern auch immer neue Fragen aufwirft. Stellvertretend für den ersten Aspekt kann man hier seine außergewöhnlichen bibliographischen Leistungen – zu den bedeutenden Autoren der klassischen französischen Rechten, zum Werk Schmitts – nennen, stellvertretend für den zweiten die letzten Bücher, die er veröffentlichte, und die sich mit so verschiedenen Fragen wie der Umweltverschmutzung und den Grenzen des Wachstums, dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier und den Konsequenzen der Gender-Ideologie befaßten.

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten von Benoists Wirkung, daß diese Arbeiten gerade in Deutschland weniger Aufmerksamkeit finden als die früheren, im eigentlichen Sinn „neurechten“. Das ist verständlich, weil denen eine unmittelbar provokative Tendenz innewohnte, das ist bedauerlich, weil man so zahlreiche überraschende Denkansätze nicht kennenlernt, die in den aktuellen Publikationen zu finden sind.

Indes nimmt Benoist auch das mit einer stoischen Ruhe, die zu ihm gehört wie Freundlichkeit und Großzügigkeit und grundsätzlicher Optimismus. Der ist nicht nur Teil eines persönlichen Habitus, sondern auch weltanschaulich verankert: „Die Geschichte“, schreibt er, „ist weniger offen als unvorhersehbar. Allem, was in der Geschichte Lärm gemacht hat, ging eine große Stille voraus. Kata-strophe heißt Rückkehr. Eines Tages wird der Wechsel der Gezeiten die Ebbe beenden.“

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