© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

„Queer reading“ in der Geschichtswissenschaft: Schwulensuche im Mittelalter
Nur ein lobbyistisches Unterfangen
(wk)

Mit einem „queer turn“ in der Mediävistik soll nun auch auf diesem Teilgebiet der Geschichtswissenschaft eine „geschlechterübergreifende Dekonstruktion sexueller Identitäten“ betrieben und darüber hinaus alles irgendwie Normale und Normative in Frage gestellt werden. Dabei rufen die Adepten des „queer turn“ dazu auf, mittelalterliche Texte mittels „queer reading“ zu untersuchen, um „queere Subtexte“ ausfindig zu machen. Aus der Sicht des renommierten Philologen Rüdiger Schnell handelt es sich hier freilich um ein höchst einseitiges und auch lobbyistisch motiviertes Unterfangen, denn letztlich laufe das Ganze lediglich darauf hinaus, nach Belegen für eine angeblich weitverbreitete Homosexualität im Mittelalter zu suchen (Archiv für Kulturgeschichte, 1/2013). Zudem kranke das „queer reading“ an der „Unbestimmtheit zentraler Analysekategorien“ sowie der absoluten Subjektivität, welche die Wahrnehmung angeblich devianter Subtexte kennzeichne – letztlich komme es sogar zu einer „Mißachtung des Wortlauts“, die daraus resultiere, daß man mit aller Gewalt Phänomene sichtbar machen wolle, welche überhaupt nicht existiert hätten. Und das wiederum sei der Grund dafür, daß man derzeit immer noch vergeblich nach beachtenswerten Ergebnissen der mediävistischen „queer studies“ suche.

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