© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/13 / 06. Dezember 2013

„Wir müssen sie produzieren“
Michael Knoll hat jetzt zugängliche Akten über die Kernwaffenpolitik in der Ära Adenauer untersucht
Jürgen W. Schmidt

Als der immer für eine Überraschung gute französische Präsident Nicolas Sarkozy 2007 Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier eine deutsche Beteiligung an der „Force de frappe“, der französischen Atomstreitmacht, vorschlug, lehnten beide erschreckt ab. Die Bundesrepublik sei nicht an der Verfügung über Kernwaffen interessiert. Merkels Amtsvorgänger Konrad Adenauer dachte diesbezüglich völlig anders, wie der Historiker Michael Knoll in seiner aufschlußreichen Dissertation zeigt.

Knolls Studien beruhen auf deutschen, amerikanischen, britischen und Nato-Dokumenten, deren einstige Geheimhaltungsstufen aufgehoben wurden. Leider ging man ausgerechnet beim Deklassifizieren deutscher Dokumente nicht weit genug, so daß, gemäß Knoll, einige Details deutscher Kernwaffenpolitik noch ihrer endgültigen Klärung harren. Doch das von Knoll gezeichnete Bild dürfte dann nur in Nuancen Korrekturen erfahren. Als die Bundesrepublik nach Aufhebung des Besatzungsstatuts am 5. Mai 1955 formell wieder souverän war, strebte Kanzler Adenauer sofort nach Kernwaffen für die neue deutsche Armee. Dazu bewogen ihn ernste Befürchtungen bezüglich der Sowjetunion, die er glaubte nur mit eigenen Kernwaffen wirksam abschrecken zu können.

Andererseits hatte der Bundeskanzler kein Vertrauen zur Standhaftigkeit der USA, die kurz darauf sowohl in der Suez- wie in der Ungarnkrise gegenüber der aggressiv agierenden Sowjetunion einknickten. Was sollte nur aus der Bundesrepublik werden, falls die Amerikaner etwa Europa verließen? Die wissenschaftliche Kapazität in der Kernforschung und das notwendige industrielle und finanzielle Potential zum Kernwaffenbau waren in der Bundesrepublik seinerzeit durchaus vorhanden. Die deutsche Zentrifugentechnik zur Urananreicherung war damals Weltspitze und wesentlich billiger und effektiver als jene Diffusionsverfahren, welche die USA für ihre Kernwaffen benutzten. Völkerrechtliche Gründe, um Deutschland damals am Kernwaffenbau zu hindern, existierten nicht und das nötige politische Selbstbewußtsein besaß der deutsche Kanzler ohnehin. „Wir müssen sie produzieren“, vertraute Konrad Adenauer deshalb am 16. November 1957 dem französischen Staatssekretär im Außenministerium, Maurice Faure, an.

Schon in den Jahren zuvor hatten einige angehende Bundeswehroffiziere entsprechende Lehrgänge in den USA besucht, und man war gerade dabei, amerikanische Trägermittel für Kernwaffen zu erwerben: Kurzstreckenraketen, weitreichende Geschütze und später auch geeignete Flugzeuge wie den Starfighter. Nichts schien den listenreichen „Alten“ zu bremsen, doch kam es letztlich doch nicht zu den deutschen Kernwaffen.

Nur im Rahmen der Nato hatte man deutscherseits später indirekt einen gewissen Einfluß auf so existentielle Fragen wie die Gestaltung der Kernwaffeneinsatzprinzipien und die Zielplanung im mitteleuropäischen Raum. Knoll zeigt ungemein deutlich, daß keine der vier großen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs wirklich daran interessiert war, nationale Kernwaffen in deutschen Händen zu sehen. Während dies im Falle der Sowjetunion noch verständlich ist, verwundert der Umstand gerade bei Frankreich. Bot doch ausgerechnet Frankreich Deutschland zu Ende der fünfziger Jahre mehrfach an, sich am französischen Kernwaffenprojekt zu beteiligen. Frankreich befand sich nämlich gerade auf einem antiatlantischen Kurs und wollte aus Prestigegründen sowohl eigene Kernwaffen wie Trägermittel anschaffen. Da wäre ein finanzieller und wissenschaftlich-technischer Beitrag vom wirtschaftlich potenten deutschen Nachbarn gerade recht gekommen.

Doch selbst in Frankreich siegten schließlich politische Bedenken und in Deutschland formierte sich gleichzeitig eine breite innere Abwehrfront aus Teilen der pazifistisch gesinnten Öffentlichkeit im Bunde mit den mächtigen Printmedien. Der Gedanke an deutsche Atomwaffen wurde öffentlich geächtet, wobei hier manche Steilvorlage auf Umwegen aus der DDR kam, deren Nachrichtendienste die bundesdeutsche Atomforschung und -industrie wachsam im Blick behielten. Die Enkel jener damals erfolgreichen deutschen Friedensfreunde gruseln sich aktuell übrigens gerade über den Umstand, daß künftige iranische Atomwaffen Deutschland bedrohen könnten.

Michael Knoll: Atomare Optionen. Westdeutsche Kernwaffenpolitik in der Ära Adenauer. Peter Lang Edition, Frankfurt am Main 2013, gebunden, 380 Seiten, 64,95 Euro

Foto: Bundeskanzler Adenauer lädt Wissenschaftler zu „Atomgesprächen“, Bonn 1957: Technik war vorhanden

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