© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

„Die Angst vor dem Zeitgeist“
Die FDP will mit Christian Lindner einen neuen Anfang machen. Doch ausgerechnet der einzige wirkliche Hoffnungsträger, der Liberalkonservative Holger Zastrow, Landesvorsitzender in Sachsen, zieht sich vom Posten des Vize-Parteichefs zurück.
Moritz Schwarz

Herr Zastrow, wird Christian Lindner die FDP in die richtige Richtung führen?

Zastrow: Ich glaube, der Partei steht die Klärung der Frage, was die richtige Richtung ist, noch bevor.

Das heißt, die neue Führung weiß gar nicht so recht, wofür sie inhaltlich steht?

Zastrow: Wir haben die neue Führung gerade erst gewählt. Jetzt hat sie die Aufgabe, den künftigen Weg der FDP zu finden. Immerhin hat sich mir auf dem Parteitag ein überzeugendes Aufbruchsgefühl vermittelt.

Das Konzept „neue Führung statt inhaltliche Erneuerung“ hat die Partei bereits mit Philipp Rösler ausprobiert und ist gescheitert. Warum soll es diesmal klappen?

Zastrow: Ich glaube nicht, daß das Problem der FDP ein inhaltliches ist. Die Ursache für die Misere ist vielmehr eine Frage der Haltung und daß Wort und Tat auseinanderklafften. Die FDP hat sich verunsichern lassen, glaubte, populären Stimmungen hinterherlaufen zu müssen, statt zu ihren Überzeugungen zu stehen. Wir hatten Angst, uns vom Zeitgeist zu emanzipieren und waren in der Koalition zu schwach und zu ungeschickt, unsere Ziele durchzusetzen. Wir wollten jedem gefallen und sind so zu einer Gefälligkeitspartei geworden, die sich an Pressespiegeln und Zeitungskommentatoren orientierte, statt auf Herz und Verstand zu hören. Beispiel Energiewende, Beispiel Mindestlohn. Wir haben uns selbst und unsere Wähler verunsichert.

Christian Linder war Mitglied des Bundesvorstands und Generalsekretär der Partei. Er ist keine neue Kraft. Warum also sollte sich all das unter ihm nun ändern?

Zastrow: Ich halte Christian Lindner für ein großes politisches Talent und glaube, daß er selbst gemachte Fehler sieht und Lehren daraus zieht.

Wenn Sie vom Gelingen des Neuanfangs überzeugt sind, warum wollen Sie dann daran nicht teilhaben? Statt dessen haben Sie sich als Vize-Parteichef zurückgezogen.

Zastrow: Der Neuanfang gelingt! Aber das braucht Zeit. Diese Zeit habe ich in Sachsen nicht. Wir wählen schon am 31. August 2014 einen neuen Landtag und zuvor die Kommunalparlamente. Ich kann mich nicht darauf verlassen, daß die Bundespartei bis dahin wieder in Bestform ist. Wir müssen jetzt handeln. Deshalb konzentriere ich mich zu Hundert Prozent auf Sachsen.

In einem ZDF-Interview klang das anders, dort sprachen Sie von der Furcht, sich in Berlin „anzustecken“. Fazit des ZDF: Zastrow suche „sein Heil in der Flucht“.

Zastrow: Erstens: Dieses Interview wurde vor dem Parteitag geführt und bezieht sich auf den Schaden, der durch die Niederlage bei der Bundestagswahl unter der alten Führung entstanden ist. Zweitens: Es gibt im Leben Momente, da muß man sich fragen, was wirklich wesentlich ist und sich auf seine Wurzeln besinnen. Ich habe für mich diese Frage beantwortet: Wirklich wesentlich ist meine Aufgabe in Sachsen, das Wahlergebnis von 2009 zu verteidigen und wieder mit der CDU eine Regierung zu bilden. Wir wollen zeigen, daß die FDP wieder Wahlen gewinnen kann und daß Schwarz-Gelb ein Modell mit Zukunft ist. Wir wollen mit einem herausragenden Ergebnis in Sachsen die Wende für die FDP in ganz Deutschland einleiten.

Fliehen Sie nicht aus der bundespolitischen Verantwortung gegenüber Ihrer Partei?

Zastrow: Zweieinhalb Jahre habe ich als einer von drei Vize-Parteivorsitzenden dafür gekämpft, unsere Inhalte in die Bundespartei zu tragen, etwa den Kampf für die Entlastung der berufstätigen Mitte, für die Beibehaltung unseres föderalen Bildungssystems, gegen die Energiewende oder gegen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Als ehemaliges Bundesvorstandsmitglied trage auch ich Mitverantwortung für die Niederlage bei der Bundestagswahl. Ich habe zwar – intern und nach außen sichtbar – für eine fundamental andere Politik der FDP gekämpft, habe mich aber unterm Strich nicht durchgesetzt.

Sie werden derzeit als Kritiker der Bundespartei in den Medien gehandelt. Offen sprechen Sie von der Sachsen-FDP als „Gegenmodell“ zur FDP im Bund.

Zastrow: Zu der FDP, die in den letzten vier Jahren im Bund regiert hat! Unsere Markenzeichen in Sachsen sind Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit, Verläßlichkeit und ganz viel Bodenhaftung. Das war in Berlin nicht so.

Wenn Sie von Ihrem „Gegenmodell“ überzeugt sind, warum haben Sie dann nicht für den Bundesvorsitz kandidiert, um dieses für die ganze FDP durchzusetzen?

Zastrow: Weil ich nicht weiß, ob unser Modell auch für die Bundespartei geeignet ist. Was ich weiß, ist, daß es für Sachsen besser ist. Wir haben die FDP nach zehn Jahren außerparlamentarischer Opposition binnen fünf Jahren in den Landtag und schließlich in die Regierungskoalition geführt. Daher weiß ich, daß das, was wir hier als FDP machen, zu Land und Leuten paßt. Zu anderen Bundesländern, mit anderen Milieus, anderen Traditionen und anderem Selbstverständnis, mag es das aber nicht.

Sie sprechen gerne von der „Übersetzung des Liberalismus ins Sächsische“. Was ist an der Sachsen-FDP anders?

Zastrow: Nach der Wende hat die FDP bei uns den Fehler gemacht, die damals erfolgreichere West-FDP kopieren zu wollen. In Sachsen flog die Partei 1994 mit 1,7 Prozent aus dem Landtag, 1999 sank sie gar auf 1,1 Prozent ab. Danach habe ich den Parteivorsitz übernommen und unser Team hat einen eigenen „sächsischen Weg“ eingeschlagen. Wir haben unsere Politik auf Land und Leuten aufgebaut. Wir tragen der Tatsache Rechnung, daß Sachsen liberal-konservativer tickt als andere Bundesländer. Daß es patriotischer ist und es einen großen Heimatstolz gibt und das alles ohne Tümelei und Wichtigtuerei, dafür mit Pragmatismus, Fortschrittsgeist und großer Begeisterung für Technik und Neues. Und daß Sachsen, als Mutterland der friedlichen Revolution von 1989, seinen Freiheitsbegriff breiter ansetzt.

Die Sachsen-FDP ist weniger kosmopolitisch und politisch korrekt, eher bodenständig und freiheitlich?

Zastrow: Freiheitlich und bodenständig sind die Stichworte. Die Sachsen-FDP hat – nicht von der Mitgliederzahl, aber von Mitgliederstruktur und Themenbreite her – den Charakter einer liberalen Volkspartei, nicht den einer Milieupartei. Wir sind kein philosophischer Club und haben nicht umsonst so viele kommunale Mandate, 590 insgesamt, und stellen 27 Bürgermeister – mehr als Linke, Grüne und SPD zusammen. Wir haben eine gesellschaftliche Verankerung, wie sie woanders nicht zu finden ist. Und ebenso wichtig ist, daß wir Landtagsabgeordnete immer noch keine Berufspolitiker sind. Denn durch die dürre Zeit der neunziger Jahre sind nur jene geblieben, die aus Idealismus Liberale sind und nicht die, die mit der FDP Karriere machen wollten. Wir haben fast alle nebenher noch einen Beruf, was uns von allen anderen Fraktionen deutschlandweit unterscheidet. So bleiben wir unabhängig und auf dem Boden haften.

Dennoch kann Sie der Kurs der Bundespartei nicht kaltlassen. Wird der vor allem unter dem neuen Partei-Vize Wolfgang Kubicki nicht eher „linker“ sein?

Zastrow: Wie kommen Sie darauf?

Kubickis Kurs galt vielen Beobachtern bisher als tendenziell eher „links“.

Zastrow: Wenn die FDP wirklich nach links rutschen sollte, dann gäbe es massiven sächsischen Widerstand. Aber ich glaube nicht, daß es so kommt. Denn natürlich stimmt zwar, daß seit Jahren ein linksgrüner Zeitgeist durchs Land wabert, aber die alte Führung hat gerade damit Schiffbruch erlitten, dem Zeitgeist zu sehr hinterherzulaufen. Ermutigend ist, daß ich mich in der Parteitagsrede Christian Lindners mehr als früher wiedergefunden habe, mit seinem Bekenntnis zur Marktwirtschaft, seiner Kritik an der Energiewende oder einer differenzierten Haltung in der Europapolitik. Inhalte, mit denen wir in der Partei vor einem halben Jahr noch in der Minderheit waren.

Hand aufs Herz, ist das Personalkarussell nicht Kulissenschieberei? Eigentlich will man nichts ändern, hofft einfach, daß irgendwann die Wähler von alleine zurückkehren. Solange sorgt man für Erneuerungs-Aktionismus, der verschleiern soll, daß im Grunde alles beim alten bleibt.

Zastrow: Das würde dann in der Tat schiefgehen. Daß wir aus dem Bundestag geflogen sind, ist kein Versehen oder der Zufall eines politischen Moments, es hat tiefgreifende Ursachen. Wenn wir uns nicht mit diesen auseinandersetzen, rächt sich das.

Signal für eine Erneuerung hätte die Wahl des Euro-Rettungskritikers Frank Schäffler in den Bundesvorstand sein können.

Zastrow: Wir haben ihn als sächsische FDP unterstützt. Allerdings steht sich Frank Schäffler oft selbst im Weg und will zuviel. Und: Möchte man Erfolg haben, muß man auch Herzen gewinnen. Schäffler tritt wahrscheinlich oft zu kompromißlos auf.

So sendet die FDP kein Signal in der Euro-Rettungspolitik. Kann das für Sie bei der Landtagswahl nicht zum Problem werden, wo Sie gegen die AfD antreten müssen?

Zastrow: Pro DM, Schill-Partei, Freie Wähler, Piratenpartei und nun die AfD – wer wurde nicht schon alles im Parlament und als „liberale“ Partei in der Nachfolge der FDP gesehen. Das war alles schnell wieder vorbei.

Bei der Bundestagswahl hat die AfD in Sachsen 6,8 Prozent geholt!

Zastrow: Wir haben schlaue Wähler, die wissen genau, worum es bei der jeweiligen Wahl geht. Was hat die AfD denn landespolitisch anzubieten?

Selbst wenn sie nicht einzieht, könnte die AfD Sie nicht wertvolle Prozente kosten?

Zastrow: Nein, die AfD mag vielleicht bei Europa- und Bundestagswahlen eine Chance haben, aber nicht bei Landtagswahlen in Sachsen, denn sie hat hier keinen Wählermarkt. Hier gibt es schon eine liberal-konservative FDP und eine konservativ-liberale CDU. Ich sehe keinen Platz und keinen Bedarf für eine dritte Kraft, die anders als wir zudem weder über landespolitische Kompetenzen noch über berechenbare und bekannte Persönlichkeiten verfügt.

Sie haben die AfD als „Rechtspopulisten“ bezeichnet. Warum?

Zastrow: Weil sie mit ihrer Anti-Euro-Politik solche Stimmungen bedient und weil sie nach meiner Meinung nicht genug gegen eine mögliche Unterwanderung etwa durch NPD-Leute tut.

Offiziell nimmt die AfD keine ehemaligen NPD-Mitglieder auf. Sie müßten Ihre Behauptung also beweisen. Können Sie das?

Zastrow: Wenn Herr Lucke beispielsweise die Gefahr einer Unterwanderung durch die NPD einfach als „lächerlich“ abtut, ist das für mich kein verantwortungsvoller Umgang mit dem Problem – das übrigens alle Parteineugründungen haben, sogar die Piraten, wie man lesen konnte.

 

Holger Zastrow: Der FDP-Landesvorsitzende in Sachsen und Fraktionschef im Dresdner Landtag war von Mai 2011 bis zum Parteitag am Wochenende Stellvertretender Bundesvorsitzender und Mitglied des Bundesvorstands der Liberalen. 1969 in Dresden geboren, gründete der spätere Industriekaufmann und Inhaber einer Werbeagentur bereits 1989 die „Jungliberale Aktion“ als Alternative zur SED-Jugendorganisation FDJ. Nach dem Landtagswahldebakel 1999 übernahm Zastrow den Vorsitz der damals zur Ein-Prozent-Partei geschrumpften sächsischen FDP und führte diese 2004 mit fast sechs Prozent zurück in den Landtag. 2009 holten die Liberalen unter ihm sogar zehn Prozent. Eigentlich sollte Zastrow nun stellvertretender Ministerpräsident und Minister im Kabinett von Stanislaw Tillich (CDU) werden, lehnte dies jedoch ab, um weiterhin die Fraktion zu führen. Zudem kümmert er sich seit 2004 als FDP-Stadtrat um die Belange seiner Vaterstadt.

www.fdp-sachsen.de

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen