© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Flügelloser Neuanfang
FDP-Parteitag: Nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag setzen die Liberalen unter Christian Lindner auf das Individuum
Detlef Kühn

Die Freien Demokraten haben am vergangenen Wochenende in Berlin den Versuch unternommen, sich von ihrer brutalen Wahlniederlage am 22. September zu erholen und die politischen Weichen für eine bessere Zukunft zu stellen. Der Ort war der neuen finanziellen Situation angemessen – eine ziemlich trostlose Industriehalle am U-Bahnhof „Gleisdreieck“. An Selbstkritik fehlte es auch nicht. Sie ging jedoch selten ins Grundsätzliche, sondern beschränkte sich meist auf taktische Aspekte und menschliche Unzulänglichkeiten.

Die bisherige Führung – sofern sie sich überhaupt äußerte – gab sich zerknirscht und gestand „Fehler“ ein. Dies reichte im Ergebnis für eine weitgehende personelle Erneuerung der Partei unter Führung von Christian Lindner, der die Unterstützung von 79 Prozent der Delegierten fand, obwohl er als Generalsekretär unter den Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle und Philipp Rösler an dem Debakel nach dem Wahlsieg von 2009 nicht unbeteiligt war.

Nun sollen die Fehler der Vergangenheit auf keinen Fall wiederholt werden. Das bedeutet: Schluß mit Klientelpolitik und der Konzentration auf nur ein Thema wie etwa Steuersenkungen. Auch um Zweitstimmen soll in Wahlkämpfen nicht mehr gebettelt werden. Parteiflügel darf es in der FDP ebensowenig geben wie „Europahasser“. Letztere Bezeichnung galt nicht nur der als Konkurrenz empfundenen Alternative für Deutschland (AfD), dem großen Angstgegner im Hintergrund, sondern auch dem Parteifreund Frank Schäffler und seinen Sympathisanten in der FDP, obwohl diese nur sehr berechtigte Kritik an den Modalitäten der Euro-Rettungspolitik geübt hatten. Schäffler wurde zwar nicht nochmals nahegelegt, die Partei zu verlassen. Allerdings ist klar, daß er und seine Anhänger in der FDP keine Zukunft haben sollen. Seine Kandidatur zum Präsidium wurde nur (oder immerhin) von einem Viertel der Delegierten unterstützt. Sie alle stehen jedoch unter dem Verdacht, einen „Rechtsruck“ herbeiführen zu wollen, und vor dem hat Lindner gleich mehrfach gewarnt. Sein Motto: Wir wollen sein ein einig Volk von Liberalen – ohne Flügel.

Wer sind nun die Wähler, um die sich die FDP in Zukunft besonders bemühen will? Jedenfalls keine spezifischen Bevölkerungsschichten oder berufliche Gruppierungen, auch niemand, dem emotionale Bindungen etwas bedeuten. Nationalgefühl gilt bereits als rechtsextrem, Familienzusammenhalt mindestens als altmodisch. Interessant für die FDP sind alle „Bürgerinnen und Bürger“ in ihrer Eigenschaft als Individuen. Jede und jeder soll sich mit den höchst persönlichen Wünschen und Bedürfnissen in der angeblichen Partei der Freiheit willkommen fühlen. Ob und inwieweit das auch für sogenannte „Rechte,“ etwa Nationalliberale, gilt, wurde wohlweislich nicht thematisiert. Wahrscheinlich ist es nicht.

Überhaupt ist interessant, was alles nicht angesprochen wurde – offenkundig weil es für die FDP kein Problem ist: Ehe und Familie und der damit eng verbundene demographische Wandel mit einer viel zu niedrigen Geburtenrate, aber dafür einer immer mehr anwachsenden Zahl von Senioren, die pflegebedürftig werden; der Einwanderungsdruck in die Sozialsysteme; die gescheiterten Multikulti-Hoffnungen und die Bildung von Parallel-Gesellschaften, die mit dem Liberalismus der FDP nichts anfangen können; in der Europa-Politik die Frage, ob an den Nationalstaaten festgehalten wird, die bisher die vielfältige Kultur in Europa gewährleistet haben, oder ob die Reise in Richtung Bundesstaat geht. Letzteren scheint die FDP zu bevorzugen. Wie er funktionieren soll, sagt sie nicht.

Auch die neue Führung hofft, sich weiterhin um diese Probleme herumdrücken zu können. Ihre Hoffnung sind die zu erwartenden Fehlentscheidungen der Großen Koalition und eine Selbst-Kastrierung der AfD, die die FDP spätestens 2017 sozusagen zwangsläufig wieder in den Bundestag zurückführen müßten. Diese Hoffnung könnte allerdings wie im September nochmals enttäuscht werden. Ohne kräftige Flügel kommen nicht nur Vögel, sondern auch Parteien nicht weit.

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