© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

EU-Papiertiger sucht neue Konzepte
Verteidigung: In Zeiten knapper Kassen und neuer Herausforderungen beraten die EU-Staaten über die Zukunft ihrer gemeinsamen Militärpolitik
Hans Becker von Sothen

Die geostrategische Lage der Welt hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten unaufhaltsam geändert. Das Blickfeld der einzigen verbliebenen Supermacht hat sich in dieser Zeit immer stärker von Europa ab- und dem asiatisch-pazifischen Raum zugewandt. Die sich anbahnenden Konflikte um die Ausweitung der chinesischen Interessengebiete zu Lasten der amerikanischen Verbündeten in Ostasien, vor allem Japans, Südkoreas, aber auch der Philippinen, scheinen das zu bestätigen. Nicht wenige Kenner der Situation sehen hier Potential für kommende gefährliche Konflikte, möglicherweise sogar militärische.

Aus Sicht der USA bedeutet das vor allem eines: riesige neue Militärausgaben. Das in einer Zeit, in der auch in den USA die Budgets wegen starker Verschuldung und der Folgen der Banken- und Finanzkrise regelmäßig am seidenen Faden hängen. Einsparpotential sieht man da vor allem in Europa. Den USA „den Rücken freihalten“, heißt also die Devise, die von Washington ausgeht. Das gilt vor allem für die Kosten, die die militärische Dauerpräsenz der USA auf allen Kontinenten verursacht.

Doch auch Europa steckt in einer Finanzkrise, die nur durch die „Rettungspakete“ und den mit ihnen gekauften Zeitaufschub in den Hintergrund tritt. Im US-Außenministerium und im Pentagon besteht man jedoch auf Vollzug. So hat man sich in Brüssel entschlossen, Europa auch als global agierende Hilfskraft der USA zu organisieren und die militärischen, finanziellen und technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Die dafür notwendige Voraussetzung –die Umstrukturierung von nationalen Streitkräften für die Landesverteidigung zu global agierenden Einheiten – ist in Deutschland durch Abschaffung der Wehrpflicht durch Verteidigungsminister zu Guttenberg vollzogen worden. Nun soll in einer in Kürze stattfindenden Konferenz der nächste Schritt folgen.

In wenigen Tagen stellt Brüssel die Weichen für die künftige EU-Militärpolitik. Am 19. und 20. Dezember werden sich die europäischen Staats- und Regierungschefs erstmals seit fünf Jahren wieder der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) widmen.

EU-„Battlegroups“ kamen noch nie zum Einsatz

Der Europäische Verteidigungsrat tagt, um eine gemeinsame Linie der EU-Staaten festzulegen. Bereits im Vorfeld fanden dazu fieberhafte Vorbereitungstreffen statt. Am 15. Oktober stellte Catherine Ashton, Chefin der Europäischen Verteidigungsagentur und zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik in der EU, ihre Agenda für die Konferenz vor. Am 18. und 19. November trafen sich die Außen- und Verteidigungsminister der EU-Staaten. Bereits Ende September kamen zudem die Fachleute aus den Schnittstellen von Rüstungsindustrie, Wissenschaft, Wirtschaft und Raumfahrttechnik in Brüssel zusammen.

Die Hausaufgaben, die die US-Regierung den europäischen Regierungen aufgibt, sind ebenso rigoros wie genau. Die atlantischen Netzwerke reagieren schnell. Europa, so der belgische Brigadegeneral Jo Coelmont und der französische General Maurice de Langlois in einer kürzlich bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik veröffentlichten Denkschrift, sei „unfähig, Verantwortung für internationale militärische Operationen zu übernehmen, ohne sich reflexartig den USA zuzuwenden“.

Nötig sei daher ein ganz neues Sicherheitskonzept der EU. „Trittbrettfahrende Verbündete“, so heißt es in einem schwer zu übersehenden Seitenhieb auf Deutschland, „sind in Zeiten knapper Kassen mehr denn je ein kritisches Thema.“ Die globale Militärstrategie der USA habe es bislang deren Partnern gestattet, „kontinuierlich ihre Verteidigungsausgaben zu senken, ohne direkte oder auch nur indirekte Folgen befürchten zu müssen“.

Europa, so heißt es auch in dem Bericht von Ashton, müsse „mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die seiner Nachbarn übernehmen“. Nachbarn? Gemeint sind offenbar nicht nur das Mittelmeer, die Länder zwischen Weißrußland und den Staaten Mittel-asiens, sondern auch weite Teile Afrikas. Ziel der neuen Militärstrategie ist die vollständige Einbindung aller EU-Institutionen in dieses neue Sicherheitskonzept vor allem über bereits vorhandene EU-Institutionen wie die GSVP.

Insbesondere sollen multinationale Kampftruppen, wie die 2004 geschaffenen EU-„Battlegroups“, gegen den vorherrschenden „nationalen“ Ansatz unterstützt werden. Doch die „schnelle Krisen-Eingreiftruppe“ kam seitdem nie zum Einsatz. Vor allem deshalb, weil der politisch-parlamentarische Genehmigungsprozeß in den meisten EU-Staaten viel zu langsam verläuft. Dennoch befürwortet die EU-Führung diese Form, da sie in den Mythos der GSVP als europäisches „Integrationsprojekt des Jahrzehnts“, so der vormalige Nato-Generalsekretär, Javier Solana, paßt.

Sprich: Die EU beansprucht seither ganz wesentliche Kompetenzen in der Außen- und Verteidigungspolitik, die bisher in nationale Zuständigkeiten fielen. Statt den einzelnen Staaten soll nun die EU auf Dauer als direkten Gesprächspartner für die Nato aufgebaut werden. Ein entscheidender Schritt zur Schwächung der europäischen Nationalstaaten. Mit etwas Druck aus den USA könnte das endlich gelingen. Von den neutralen EU-Staaten (Österreich, Irland, Schweden und Finnland) ist hier merkwürdigerweise kaum die Rede; sie geraten dadurch noch stärker unter Druck.

Ziel sei es, so Ashton, die EU zu befähigen, sich dauerhaft auf allen fünf militärischen Gebieten zu betätigen: zu Lande, zu Wasser, in der Luft, im Weltraum und in den Tiefen des Datenraums. Die GSVP beschäftigt bereits heute über 7.000 Mann Militär- und Zivilpersonal auf verschiedenen Schauplätzen wie Somalia, Afghanistan, Kosovo und in Mali – mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Die Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika erscheint dabei noch als eine der sinnvollsten Aufgaben.

Massive Erhöhung der Rüstungsausgaben erwartet

Ashton will diese globalen Einsätze ausbauen und dabei vor allem die Einbindung in die Nato stärken. Die in diesem Zusammenhang ebenfalls geplante verstärkte Kooperation mit der „Afrikanischen Union“ läßt darauf schließen, daß die EU bei der globalen Zusammenarbeit mit den USA vor allem das teure und undankbare Gebiet Afrika bei seiner „Hilfe“ übertragen bekommen soll. Die geplante Aufstockung der globalen „militärischen Fähigkeiten“ der EU-Länder wird in den kommenden Jahren voraussichtlich eine massive Erhöhung der Rüstungsausgaben der EU-Staaten zur Folge haben.

Besonders bedenklich ist der EU-Plan, zu diesem Zweck selbst eine einheitliche, „integrierte“ EU-Rüstungsindustrie (de facto also eine Industrie, die eine Aufgabenteilung durch Produktionsabsprachen in Form von Kartellen vornimmt) zu schaffen. Die Betonung im Ashton-Bericht, man wolle hier vor allem „kleine und mittlere Betriebe fördern“, ist fadenscheinig. Sie täuscht darüber hinweg, daß am Ende des Tages wieder die Handvoll global arbeitender multinationaler Großbetriebe im Rüstungsbereich die Nutznießer solcher staatlich (und überstaatlich) organisierter Quasi-Kartelle sein werden. So betont auch Nick Witney von der Verteidigungsagentur der EU: „Natürlich soll dieses ‘Pooling’ stattfinden, ohne daß Marktmechanismen und Wettbewerb beeinträchtigt werden.“

Wer dies kontrollieren wird und welche Brüsseler Lobbygruppen dies mutmaßlich verhindern werden, dafür braucht es keine überbordende Phantasie. Die deutsche Regierung, von der SPD bereits im Juni zur Vorbereitung der Konferenz des Europäischen Rates befragt, „welche nationalen Kompetenzen (…) in einen europäischen Rüstungsmarkt (…) eingebracht“ werden solle, zeigte sich zurückhaltend. Die bundesdeutsche Rüstungsindustrie sei privatwirtschaftlich organisiert und sie werde ihre Dienstleistung ganz normal nach Ausschreibung anbieten. Man wird sehen, wie stark der Druck auf die deutsche Regierung in dieser für die USA und die EU offenbar zentralen Frage sein wird.

Druck auf die Bundesregierung wird auf dieser Konferenz vor allem auch in Hinblick auf die Übernahme bedeutender finanzieller Kosten kommen – nicht nur von den USA, sondern auch von vielen anderen EU-Mitgliedern, insbesondere von Frankreich und Großbritannien. Diese Konferenz wird aller Voraussicht nach einen weiteren schweren Eingriff in die Kerngebiete deutscher Souveränität darstellen: in die seiner Außen- und seiner Verteidigungspolitik, möglicherweise aber auch in seine Wirtschaftspolitik.

Dies wird noch nicht alles sein. Denn auf der Nato-Konferenz im September 2014 in Wales soll ein weiterer Schritt in Richtung globaler Außen- und Sicherheitspolitik folgen. Dort geht es um die Einbindung dieser Konferenz in die Nato-Politik und damit um den direkten Zugriff der USA auf die EU-Sicherheitspolitik. Das Fazit der Generale Coelmont und Langlois ist deutlich: „Wir brauchen eine neue Sicherheitsübereinkunft, einen transatlantischen strategischen Sicherheitspakt. … Dieser Pakt sollte grundlegender Bestandteil der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und den USA sein.“

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