© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Es ist noch immer gutgegangen
Daß er noch lebt, erstaunt ihn selbst am meisten: Keith Richards wird kommende Woche siebzig
Markus Brandstetter

Die 1975er USA-Tournee der Rolling Stones steht unter keinem guten Stern. Die Band ist mit zwei Autos von Memphis, Tennessee nach Dallas in Texas unterwegs, wo sie ihr nächstes Konzert spielen soll. Sie fahren durch den tiefen Süden der USA, weil ihnen jemand erzählt hat, daß dort die Landschaft wunderschön wäre. Als ob die Stones und Keith Richards sich für schöne Landschaften interessierten. Das einzige, was die Stones – so zumindest steht es in Richards’ Autobiographie – auf den Landstraßen des US- Bundesstaates Arkansas wirklich interessiert, sind Drogen. Und zwar kiloweise.

Damit sie die in aller Ruhe nach einem Kaffee mit zwei Spiegeleiern einschmeißen können, biegt Keith Richards gelber Chevrolet Impala jetzt auf den Parkplatz einer Fernfahrerkneipe, die man hier „Roadhouse“ nennt. Nach dem Kaffee verziehen Keith Richards und Ronnie Wood, der zweite Gitarrist, sich auf die Toilette, wo sie fast eine Stunde brauchen, bis sie sich alles reingezogen haben, um einigermaßen zu funktionieren.

Nun ist es aber so: In Arkansas geht niemand in einer Fernfahrerraststätte eine Stunde lang aufs Klo, schon gar nicht zu zweit und überhaupt nicht mit Taschen voller Haschisch und Kokain. Das ist eine Gegend, wo man von Drogen und Leuten, die am Sonntag nicht in die Kirche gehen, zwar gehört, sie aber noch nie gesehen hat. Kein Wunder also, daß der Typ am Burgergrill die Polizei ruft, die zwei Minuten später mit drei Streifenwagen zur Stelle ist. Keith Richards hat kleine Kokain-Briefchen über den ganzen Körper verteilt, sogar in seiner Jeans-Kappe stecken welche, weshalb er ordentlich ins Schwitzen gerät, als ihm die Polizisten ein Schrotgewehr vor die Nase halten und seinen randvollen Chevrolet durchsuchen.

Inzwischen hat sich herumgesprochen, wer da festgenommen wurde: Sogar in Arkansas hat man von den Stones gehört. Binnen kurzem haben sich Schaulustige aus drei Bundesstaaten auf dem Parkplatz versammelt. Gerade noch rechtzeitig taucht Bill Carter auf, der Anwalt der Stones, der jeden Richter und jeden Staatsanwalt im Umkreis von 200 Meilen kennt und seine Klienten raushaut.

Drogen zerstörten die Kreativität

Diese Geschichte, mit der Keith Richards seine Autobiographie „Life“ (2010) beginnt, ist typisch für ihn: Alles ist noch einmal gutgegangen. Und genau das müßte auch als Motto über seinem ganzen Leben stehen, denn Keith Richards könnte seit Jahrzehnten tot sein, zugekokst in einen Swimmingpool gefallen wie Brian Jones, der die Stones einst gegründet hatte, am goldenen Schuß verstorben wie Janis Joplin oder Jimi Hendrix.

Der Musikkritiker Nick Kent, der 1972 mit den Stones auf Tour ging, schrieb: „Keith nahm Drogen wie andere Leute atmen. Nacht für Nacht sah ich ihm zu, wie er auf der Bühne stand, im Leerlauf, nur halb dabei. Der Stoff machte ihn langsam und schwerfällig. An einem guten Abend konnte er immer noch absolut fantastisch sein, schließlich war er der Motor der Gruppe, aber harte Drogen und insbesondere in den Mengen, wie Keith sie damals einwarf, zerstören die Kreativität und rauben einem die Energie, und genau das ist Richards damals schon passiert.“

Begonnen hat dieses wilde, wirre, aber auch sehr erfolgreiche Leben am 18. Dezember 1943 im englischen Dartford, vierzig Autominuten von London. Seine Eltern waren „Lower Middleclass“, sein Vater ein distanzierter, schweigsamer Arbeiter, der froh war, einen Job zu haben; seine Mutter Doris eine Frau mit Aspirationen zu Höherem, die Richards’ erste Gitarre kauft und sie in Monatsraten abstottert.

England in den 1950ern, das ist ein graues, dunkles Land, das dem verlorenen Empire hinterhertrauert und in seinen offiziellen Sitten und im Denken die Victorianische Glanzzeit noch lange nicht hinter sich gelassen hat, während in den Schulen, den Musikclubs und auf den Straßen eine radikal andere Generation heranwächst, die die Welt der Eltern mit Gitarren und Schreibmaschinen zerschlagen will. Richards wird bei diesem Aufstand ganz vorne mit dabei sein.

Aber zuerst einmal ist er bei den Pfadfindern und singt mit seinem schönen Knabensopran in der Kirche. Mit sechzehn jedoch fliegt er von der Schule. Dank einer Riesenportion Glück kommt er auf eine kleine Kunstakademie, wo er wenig malt, dafür aber viel Gitarre spielt. In seiner Freizeit treibt er sich in den kleinen Schallplattenläden herum und hört Blues und Rock’n’Roll: Muddy Waters, Chuck Berry, den zeitgleich auch die Beatles bewundern, Jerry Lee Lewis und immer wieder Elvis Presley, dessen „Heartbreak Hotel“ ihn, so steht es in seinen Erinnerungen, für immer verändert.

Und jetzt geht es Schlag auf Schlag: Im Juli 1960 trifft er Mick Jagger wieder, der in Dartford schon einmal sein Nachbar gewesen ist, an der vornehmen London School of Economics studiert und nebenbei in einer Bluesband singt. 1962 hat Richards von der Kunstakademie genug, zieht in Jaggers Wohnung nach London, wo sich auch Brian Jones eingemietet hat, und im Juli 1962 haben sie ihren ersten Auftritt im Londoner Marquee Club. Die Stones sind gegründet.

In Neuseeland fällt er von einer Palme

Die nächsten zehn Jahre werden ihre goldene Zeit sein, bevor Kritiker sie in den siebziger Jahren als dekadente, alternde Millionäre mit stagnierender Kreativität brandmarken. Richards und Jagger sind die kreativen Köpfe der Band, das Pendant zu Lennon und McCartney von den Beatles. Beide schreiben fast alle der großen Stones-Hits zusammen, zum Beispiel „Satisfaction“, das mit einem bluesigen Guitar-Riff beginnt, der Richards angeblich in einer schlaflosen Nacht eingefallen ist.

In den Siebzigern geht es mit Keith Richards abwärts. 1976 wird er in Toronto wegen Drogenbesitz verhaftet, er beginnt eine wilde Beziehung mit der italienischen Schauspielerin Anita Pallenberg, mit der er drei Kinder zeugt, bevor er schließlich 1984 Patti Hanson, ein Fotomodell, heiratet, mit der er nochmals zwei Kinder hat. Nach und nach bekommt er sich wieder in den Griff, schwört den Drogen ab, die Furchen durch sein Gesicht gezogen haben wie durch einen vom Wetter zerklüfteten Berg. Im April 2006 fällt Richards auf den Fidschi-Inseln von einer Palme herunter und landet mehr tot als lebendig auf einem Operationstisch im neuseeländischen Auckland, aber nach sechs Wochen steht er schon wieder auf der Bühne. Alles ist noch einmal gutgegangen.

Zwei Urteile zeigen, wie unterschiedlich Menschen den Mann, den einige für den größten Rockgitarristen aller Zeiten halten, einschätzen. Peter Hitchens, ein konservativer britischer Journalist und Autor schreibt: „Richards ist ein dummer Strich in der Landschaft, der aus lebenden Knorpeln besteht und den man im Museum zur Warnung ausstellen müßte, damit die Leute sehen, was Drogen aus einem machen, wenn er das Glück hatte, nicht an seiner eigenen Kotze zu ersticken.“

Andrew Law, der neuseeländische Gehirnchirurg, der Richards wieder ins Leben zurückholte sagt: „Er hat einen sehr starken Willen, ist intelligent, cool, sehr clever und unerhört tapfer. Und er bringt einen zum Lachen.“

Irgendwo dazwischen wird die Wahrheit liegen.

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