© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/13 / 13. Dezember 2013

Der Flaneur
Twitternde Teenies
Bernd Rademacher

Was bin ich froh, daß ich kein Lehrer bin! Und die Schüler können auch froh sein. Aber heute muß ich zur Schule, um meine Tochter abzuholen. Die neunte Klasse hat jetzt Unterrichtsschluß.

Da strömen sie aus dem Gebäude. Die Jungs in einer urinösen Testosteronwolke, die Mädchen in einem Nebel aus überlautem Parfüm. Die Jungs tragen grundsätzlich Übergrößen, die Mädchen prinzipiell zu Knappes. Ihre Fummel sehen eher nach Rotlichtbezirk als nach Schulhof aus.

Er produziert sich, er balzt, er versucht zu imponieren. Mit raumgreifenden Gesten.

Ihre Daumen bewegen sich rasend schnell auf den Scheiben ihrer Smartphones, so wie es der Kabarettist Nils Heinrich in seinem Lied „Twitternde Mädchen“ beschreibt (suche bei Youtube!).

Ihre Gehirne sind wegen Umbauarbeiten vorübergehend nicht erreichbar. Im Kopf ist das Licht aus, weil alle Energie vom Hormonlabor beansprucht wird. Sie sind zu bemitleiden.

Aus der „Soundcloud“ aus „Ey!“ und „Boah!“, Obszönitäten und „Hoa, hoa!“-Gelächter dringt eine Stimme besonders laut hervor. Sie gehört einem Jungen zwischen 14 und 16, dem seine orientalische Abstammung anzusehen ist. Er produziert sich, er balzt, er versucht zu imponieren. Mit raumgreifenden Gesten, gespreizten Schritten und Brunftgehabe schiebt er seine Männlichkeit vor sich her. Dabei hat er gerade mal drei Flusen am Kinn.

Er protzt, prahlt und prollt, so laut er kann. Die Kumpels werden mit komplizierten Handschlagritualen verabschiedet. Bis morgen dann. Die Gruppe löst sich auf. Er biegt vom Schulhof auf den Bürgersteig.

Dann zieht er sein Handy raus, tippt kurz auf das Glasfeld und hält es an sein Ohr. Er wartet darauf, daß sich der Angerufene meldet. Es dauert ein paar Augenblicke. Dann sagt er mit Welpenblick: „... Mama?“

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