© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Bis zum Platzen
Große Koalition: Union wie SPD werden auf einen Bruch des Bündnisses hinarbeiten
Hugh Bronson

Seit diesem 3. Advent und nach dreimonatigem Geschachere ist die dritte bundesdeutsche Große Koalition eine historische Gegebenheit. Die Mehrheit der 472.000 befragten SPD-Parteibuchinhaber hat ihre Zustimmung gegeben.

Auf vorgezogene Neuwahlen werden wir uns dennoch einstellen müssen, denn die Frage bleibt, ob die Koalition der Steueranheber ein, zwei oder sogar drei Jahre Bestand haben wird. Vom ersten Tag an werden beide Koalitionäre auf einen Bruch hinarbeiten, allen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz. Die volle Legislaturperiode werden weder Merkel noch Gabriel durchstehen wollen. Nach neuesten Umfrageergebnissen würde die CDU bei Neuwahlen glatt zulegen. Die SPD auch, wenn sie beim Bruch als die bessere Kanzlerpartei dastünde.

Genau das ist die ganz große Chance des Sigmar Gabriel. Anders als sein Genosse Franz Müntefering, der 2005 lauthals verkündete: „Keine Erhöhung der Mehrwertsteuer“, und dann anstelle der von der Union angekündigten Erhöhung auf 18 Prozent verschämt 19 Prozent als politischen Kompromiß auszugeben versuchte, hat Gabriel sich im Wahlkampf bedeckt gehalten. Jetzt kann er sich als Vizekanzler im neuen Wirtschafts- und Energieministerium profilieren. Ohnehin ist mit Hannelore Krafts Absage die Kanzlerkandidatur für Gabriel greifbarer denn je, insbesondere nachdem der Leipziger SPD-Parteitag ein Zusammengehen mit der Linken als auch für die Bundespolitik akzeptabel durchgewinkt hat. Grüne Einsprengsel sind unvermeidlich. Man bringt sich in Stellung.

Zunächst aber muß sich an der CDU abgearbeitet und sie als nicht mehr kanzlerfähig „demaskiert“ werden. Soll heißen, die baldigen steuerlichen Mehrbelastungen für den sprichwörtlichen kleinen Mann müssen geschickt als das Resultat der vergangenen Finanzpolitik von Merkel und Schäuble verkauft werden, die sich ja geweigert hatten, ebenfalls eine Vermögensabgabe einzufordern oder die Erbschaftssteuer zu erhöhen.

Genau das will die Kanzlerin aber nicht. Sie wird auch weiterhin meisterhaft ihre Hausmacht sichern, was ihr bei 42 Prozent Zuspruch leichter fallen wird als zuvor. Ihr Kunststück, die eigene Klientel nicht zu verprellen, während sie Deutschland durchsozialdemokratisiert, kann nicht endlos lange betrieben werden, ohne jegliche Identität endgültig preiszugeben.

So wie Gerhard Schröder sich zur Mitte bewegte und zum „Genossen der Bosse“ wurde, hat sich auch die Kanzlerin zur Mitte orientiert und ist zur erfolgreichen Betreiberin einer fortschreitenden „Mittifizierung“ der CDU geworden, von Freund und Feind als „Muttifizierung“ gelesen. Anders als Schröder wurde Merkel jedoch für die willige Preisgabe von Parteiprinzipien an der Wahlurne belohnt.

Heimatlos zurückgelassen wurden dabei das liberal-konservative Lager auf der einen und die tiefroten SPD-Wähler auf der anderen Seite. Nach der traurigen Selbstzerlegung der FDP finden viele bei der AfD ihren Resonanzboden, und um die Dunkelroten müht sich angestrengt die Linke. Die könnten jedoch wieder eingefangen, indem sozialdemokratische Positionen zurückerobert werden. Ein klares Nein zur unausweichlich bevorstehenden Erhöhung der Mehrwertsteuer wäre ein probates Mittel.

Auch für die CDU, die große Konsens- und Vereinnahmungspartei, die zu viele grüne, rote und gelbe Felder besetzt halten will, ist eine grundsätzliche Umorientierung nicht mehr lange hinauszuschieben. Denn was ist, wenn „Mutti“ Merkel geht? Noch hält sie alles zusammen, aber es ist eine Binsenweisheit, daß man nicht alles für alle sein kann. Wenn man den sozialdemokratischen Seeheimer Kreis rechts von der CDU vermutet, stimmt die politische Landkarte nicht mehr.

Vorgezogene Neuwahlen könnten Merkel noch einmal vier Jahre garantieren, in denen sie ihre Nachfolge planmäßig vorbereiten und den Schwarzen Peter der schleichenden Geldentwertung und Zusatzversteuerung den politischen Mitbewerbern unterjubeln kann. Auch Gabriel muß seinerseits fürchten, daß er bei einer vollständigen Legislaturperiode als Vizekanzler Steuererhöhungen mittragen muß, für die ihn ein früheres Parteiurgestein vom Schlage Herbert Wehners vom Hof gejagt hätte.

Ein höherer Spitzensatz bei der Einkommensteuer gehört allerdings nicht dazu, das könnte vom legendären Zuchtmeister selbst stammen; ein „Gesundheits-Soli“ oder eine Mehrwertsteuererhöhung wären für die Genossen alter Schule nicht einmal verhandelbar. Diese bittere Medizin muß allen Deutschen unausweichlich verabreicht werden, wenn die finanziellen Folgen der Banken- und Euro-Rettung offenbar werden. Auch das Ende der deutschen Sonderkonjunktur ist absehbar und wird sich nicht schönreden lassen, genausowenig wie die Verbuchung der Verluste aus der Bankenrettung im offiziellen Haushalt.

Es wird bedrohlich knacken im Gebälk. Bevor alles einstürzt, werden die Sozialdemokraten türmen. Die Christdemokraten auch, denn niemand will das Ausmaß der Finanzkatastrophe nur erahnt haben. Keiner will’s gewesen sein. Also werden der Koalitionsvertrag aufgekündigt, die Mißtrauensfrage gestellt, Schuldzuweisungen gemacht und vorgezogene Neuwahlen angekündigt. So ein Konsens ist kein demokratisches Ideal, sondern eine eingebaute und für Deutschland sehr kostspielige Sollbruchstelle.

 

Dr. Hugh Bronson ist Dozent für Englisch und Deutsch in Berlin. Der Deutsch-Brite arbeitet zudem freiberuflich als „Programming Editor“ für The Economist und war Gastkommentator im Handelsblatt.

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