© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Überflieger oder Problemfälle
Medien: Über kinderreiche Familien wird in der Öffentlichkeit selten als ganz normaler Durchschnitt berichtet
Lion Edler

Edmund Stoiber kann sich bestätigt fühlen. „Außer den Simpsons“, so sagte der frühere bayerische Ministerpräsident bei einem Empfang im Jahr 2006, gebe es im Fernsehen „keine normale Familie mehr“. Hohn und Spott waren dem CSU-Politiker sicher. Vermutlich so ätzten die Kritiker, habe Stoiber noch nie eine Folge der amerikanischen Fernsehserie um die alles andere als normale gelbe Familie gesehen.

Doch ganz falsch lag Stoiber vielleicht nicht, wenn man einer Untersuchung folgt, die von der Journalistik-Professorin Marlis Prinzing und vom Verband kinderreicher Familien initiiert wurde. „Der politische Restposten – Presseberichterstattung über Kinderreiche und andere Familien in Deutschland“ – so der Titel der vom Bundesfamilienministerium geförderten Studie. Als „kinderreich“ werden in der Studie alle Familien mit drei oder mehr Kindern gewertet – nahezu jede zehnte Familie in Deutschland gehört somit in diese Kategorie. Die Berichterstattung über solche Familien spiele dennoch „nur eine marginale Rolle“, stellt die Studie fest. Wenn Kinderreichtum thematisiert werde, dann „in den meisten Fällen als Nebenthema oder nur als Erwähnung“.

Kinderreiche Familien, so die Studie, lebten in sehr unterschiedlichen sozialen und beruflichen Lagen, und dennoch handelten die Berichte am häufigsten über Familien „mit hoher schulischer bzw. beruflicher Ausbildung“ (18 Prozent der Artikel); an zweiter Stelle folgten jedoch bereits „jene Eltern, die in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen leben“ (zwölf Prozent). Die Durchschnittsfamilie und gewöhnliche Alltagsprobleme in solchen Familien kämen dabei zu kurz, so der Tenor. Die in den Artikeln auftauchenden Akteure nehmen in 59 Prozent der Fälle keine Bewertung der Lebensumstände von kinderreichen Familien vor; in 31 Prozent der Fälle fällt diese positiv aus. Die Studie bemängelt daher, daß dennoch in vielen Artikeln ein ambivalenter (24 Prozent) oder negativer (19 Prozent) Gesamteindruck der Lebensumstände von Kinderreichen vermittelt wird.

Obwohl die Geschlechterverteilung in den Redaktionen der meisten untersuchten Printmedien ausgeglichen ist, waren die Journalisten, die über kinderreiche Familien berichteten, zu 45 Prozent weiblich und zu 30 Prozent männlich – bei dem Rest war das Geschlecht anhand der untersuchten Artikel nicht zu ermitteln. Für die Artikel in Magazinen wie Nido, Eltern, Brigitte oder Neon zeichneten dagegen fast zu 70 Prozent Frauen verantwortlich.

Jenseits der Thematik der kinderreichen Familien kritisiert die Studie dagegen nicht überall eine mangelnde Darstellung des Durchschnitts – im Gegenteil. Denn „Familien mit Migrationshintergrund“ werden in nur knapp neun Prozent der Artikel erwähnt, weshalb die Studie eine Unterrepräsentation dieser Gruppe bemängelt. Gleiches gilt für die Alleinerziehenden, die 2011 etwa 20 Prozent der Lebensgemeinschaften ausmachten, während sie nur in acht Prozent der Artikel erwähnt werden.

„Klassische Vorstellungen und Rollenbilder“, so die Studie, stünden medial noch immer „deutlich im Vordergrund“. Die Journalisten der Printmedien sähen sich offenbar in der Pflicht, „aus neutraler Perspektive“ zu berichten. Die Studie weiter: „Sie schrecken dagegen davor zurück, traditionelle Rollenbilder aufzulösen, unkonventionelle Lebensentwürfe als normal zu bezeichnen und Kinderreichtum als eine für jedermann vorstellbare Familienform darzustellen.“

In knapp der Hälfte der untersuchten Artikel wurden explizite moralische Werturteile über die Betroffenen und die beschriebenen Probleme ausgesprochen – am häufigsten in der taz (85 Prozent der Artikel). Die taz fällt auch durch einen überdurchschnittlichen Anteil von Artikeln auf, der sich mit Familien „in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen“ (20 Prozent der Artikel), sowie mit Alleinerziehenden und Familien mit „Migrationshintergrund“ (jeweils elf Prozent) beschäftigt.

Indessen sprechen jedoch banale Gründe dafür, die Tendenz der mangelnden Darstellung von Durchschnittsfamilien nicht überzubewerten. Denn der in der Studie interviewte Welt-Redakteur Robin Alexander gibt zu bedenken: „Journalismus funktioniert so, daß berichtet wird, wenn es Abweichungen von Normen gibt.“ Sein Kollege Paul-Philipp Hanske von der Zeitschrift Nido sekundiert ihm: „Eine schlechte Geschichte ist erst mal eine Geschichte, eine gute Geschichte ist erst mal gar nichts.“

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