© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

„Hier herrscht der Wilde Westen“
Italien: Chinesische Textilfabrikanten tanzen den Behörden auf der Nase herum
Paola Bernardi

Wieder ist Italien in die Negativschlagzeilen geraten. Der Brand in Prato, der zweitgrößten Stadt in der Toskana, bei dem sieben Menschen umkamen und vier schwer verletzt wurden, hat schlagartig den Schleier weggerissen und die Realität gezeigt. Durch diese Toten erfuhr nun die Öffentlichkeit, unter welchen erbärmlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen chinesische Zuwanderer wie Sklaven in der Textil-industrie schuften.

Die Italiener mußten zur Kenntnis nehmen, daß mitten unter ihnen eine Parallelwelt ohne Regeln existiert und alle von diesem „Made in Italy“ profitieren. „Wir haben beide Augen zugedrückt und zugelassen, daß im Herzen der zivilisierten Toskana eine skrupellose Sklaverei zum erfolgreichen Geschäftsmodell wird“, kommentierte entsprechend der Corriere della Sera.

Es geht um die Anwesenheit von Chinesen, die zum Teil schon seit vielen Jahren unter miserablen Umständen im Lande leben und arbeiten. Vor allem geht es aber um die diffuse Einwanderungspolitik im Lande, die bei diesen jüngsten Todesfällen in Verantwortung steht. Immer wieder forderten die Lega Nord und die rechtextreme Forza Nuova verschärfte Kontrollen der Behörden bei den chinesischen Einwanderern – doch kaum etwas geschah. Häufig war der Einwand zu vernehmen, man wolle keine „Fremdenfeindlichkeit schüren“. Ist doch die Toskana eine rote Hochburg und wie Il Giornale, die rechts-liberale Berlusconi-Zeitung, jetzt kommentierte, vor allem „von Gutmenschen bewohnt“.

Die Toten waren illegale Arbeiter – fünf Männer und zwei Frauen –, die in ihren provisorischen Unterkünften innerhalb der Fabrik, in der sie arbeiteten, bei einem Feuer verbrannten, weil die Fluchtwege versperrt waren. Nun sprechen alle von „einer Katastrophe mit Ansage“, der Regionalpräsident der Toskana, Enrico Rossi mahnt: „Die Toten haben wir alle auf unserem Gewissen.“ Er appellierte an die chinesische Gemeinschaft, sich für die Beachtung der Vorschriften einzusetzen.

Das toskanische Prato mit seinen 188.000 Einwohnern galt einst als blühende Bekleidungs- und Textilstadt Italiens. Doch dann begann im Jahr 2009 die Rezession, und die Zahl der italienischen Beschäftigten im Textilsektor halbierte sich auf 20.000. In dieser Situation witterten chinesische Textilindustrielle ihre Chance. Sie mieteten die leerstehenden Fabriken und bauten neue. Unter den italienischen Städten weist Prato nun den höchsten Anteil chinesischer Einwanderer auf. Schätzungen zufolge leben in der Stadt rund 30.000 Chinesen. Tendenz steigend.

Die Kleinstadt ist mittlerweile in einen chinesischen und einen italienischen textilen Industriesektor geteilt. Zwei Welten prallen hier aufeinander: Denn für die italienischen Unternehmer gelten die strengen Arbeitsauflagen, während die Chinesen sich eine Arbeitswelt mit ihren eigenen Gesetzen einrichten – ohne überhaupt Steuern zu zahlen.

Die Schwarzarbeiter, die aus dem Reich der Mitte meist durch mafiose Banden (Triaden) ins Land geschleust werden, arbeiten für einen Euro die Stunde Tag und Nacht, Sonntag wie Werktag. Fast alles Geld, das sie erhalten, überweisen sie nach China. Wenig bleibt in Prato. Entsprechend klamm sind die Sozialeinrichtungen wie Kindergarten, Schule oder Krankenhaus.

Die Behörden erscheinen demgegenüber macht- und willenlos. Ein chinesischer Betrieb, der im Visier der Fahnder ist, schließt sofort. Ein neuer wird im Handelsregister auf den Namen eines Familienangehörigen eingetragen und das Spiel beginnt von neuem. Der zuständige Stadtrat Aldo Milano klagt, daß die Stadt von der Regierung in Rom trotz mehrfacher Warnungen im Stich gelassen worden sei. Und der zuständige Oberstaatsanwalt Piero Tony findet markige Worte: „Hier herrscht der Wilde Westen.“

Der Umstand, daß in Italien halb versklavte und illegale Arbeiter wie in Bangladesch zu Tode kommen, führt nun erneut zu heftigen Debatten und Appellen im Land. Die für Immigrationsfragen zuständige Ministerin, selbst Zuwanderin aus dem Kongo, Cecile Kyenge, beklagt die schwerwiegende Verletzung der menschlichen Würde. Auch Papst Franziskus prangerte in diesem Kontext Zwangsarbeit und Sklaventum an. „Dies ist eine Niederlage der internationalen Gemeinschaft“, so der Pontifex. Denn Prato ist überall im Lande, wie zum Beispiel rund um Neapel, wo erst vor kurzem eine blühende Untergrundindustrie für Lederwaren und Schuhe entstanden ist.

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