© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Totgesagte leben länger
US-Geldpolitik: Libertäre Politiker und Ökonomen fordern die Abschaffung des Federal-Reserve-Systems / Marktkräfte statt Staatseingriffe
Elliot Neaman

Es gibt wohl keine andere staatliche Institution, die libertäre Amerikaner so sehr zur Weißglut bringt wie das vor hundert Jahren gegründete Notenbanksystem (Federal Reserve/Fed). Daß die Kritik der goldbesessenen Verschwörungstheoretiker nun weitere Kreise zieht, ist eine Folge der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise.

Mit der zweiten und dritten Bewerbung des Kongreßabgeordneten Ron Paul um die republikanische Präsidentschaftskandidatur in den Vorwahlkämpfen von 2008 und 2012 etablierte sich eine seriöse Protestbewegung gegen die Macht der Fed, kurzfristige Zinssätze, den Dollarkurs und die Geldvorräte zu kontrollieren. Die Kritik richtete sich zugleich allgemein gegen die Eingriffe sowohl der Bush- wie der Obama-Regierung in die Wirtschaft in Form von Rettungs- und Konjunkturpaketen.

Die libertäre „Beweislast gegen die Fed“ legte Murray Rothbard bereits 1994 in seinem Buch „The Case Against the Fed“ von 1994 breit dar. Um die Kritik auf den Punkt zu bringen, berufen sich Fed-Kritiker gern auf einen Ausspruch des österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises aus seinen Vorlesungen über Geld und Inflation in den 1960er Jahren: Wenn ein Richter behaupten würde, die Regierung habe das Recht, ein Hühnchen als Pferd zu bezeichnen, würde alle Welt ihn entweder für verrückt oder für korrupt erklären.

Über die Jahrhunderte hinweg hätten jedoch Regierungen und Rechtslehren die Doktrin eingebürgert, daß unter Geld das zu verstehen sei, was die Regierung als Geld bezeichnet. Seitdem täten Regierungen so, als hätten sie das Recht, sogar einen Fetzen Papier als „Geld“ zu bezeichnen – und eben darin liege die Wurzel des Geldproblems, so von Mises.

Dem libertären Geschichtsverständnis zufolge blieben der Macht der Fed, vorzugeben, was unter Geld zu verstehen ist, in den ersten sechs Jahrzehnten ihrer Existenz durch die partielle Konvertierbarkeit von Dollars in Gold zumindest Grenzen gesetzt. Doch Präsident Richard Nixon kappte den Gold-anker am 15. August 1971, nachdem das Ausland – allen voran Frankreich – begonnen hatte, seine Dollars einzulösen. Die US-Goldvorräte hatten sich innerhalb von zehn Jahren fast halbiert.

Am 11. März 1973 endeten auch die festen Wechselkurse. Die Fed hatte ein Monopol auf das Tauschmittel – oder frei nach Mises: ihr Geld war ein Hühnchen, alles andere ein Pferd. Je nach fiskalpolitischem Ziel konnte die Fed nun den Markt mit Dollar überfluten oder für Knappheit sorgen. Libertäre beklagen, daß dies zu einem massiven Verfall der Dollar-Kaufkraft führte: 1971 kostete eine Gallone (knapp 3,8 Liter) Benzin noch 36 Cent – für eine Unze Gold (35 Dollar) hätte man somit 97 Gallonen Benzin bekommen. Heute wären es – je nach Steuer und Region – 300 bis 400 Gallonen.

Die Fed-Gegner gehen davon aus, daß die Fed Gold haßt, da die historische Wertbeständigkeit des Edelmetalls eine ständige Erinnerung daran ist, daß Papiergeld laufend an Wert verliert. Dementsprechend wird der Fed vorgeworfen, sie hätte den Absturz des Goldpeises seit Ende 2011 absichtlich herbeigeführt. Die US-Aufsichtsbehörde CFTC ermittelt zwar seit Frühjahr 2013 in Sachen Goldpreismanipulation, da die wichtigste Metallterminbörse Comex in New York angesiedelt ist. Doch der Weltmarktpreis für Gold wird am London Bullion Market (LBMA) festgelegt, von europäischen Großbanken wie Barclays, HSBC und der Deutschen Bank. Die mächtigste Zentralbank der Welt ist dabei nicht vertreten (JF 13/13).

Allerdings macht die Fed ein Geheimnis um ihre physischen Goldvorräte. Zudem betreiben die Zentralbanken weltweit einen regen Tausch- und Leihhandel mit ihren Goldreserven, der ebenfalls hinter verschlossenen Türen stattfindet. Ron Paul ist nicht alleine in dem Glauben, daß die in den Tresoren der Fed real verbliebenen Goldvorräte sehr viel geringer sind, als sie behauptet – daß sie womöglich gar verkauft wurden, um den Goldpreis weiter zu drücken. Das erklärt Pauls Forderung nach einer echten Inventur der offiziell über 8.100 Tonnen wiegenden US-Goldvorräte. Zu Hochzeiten des Goldstandards waren es noch dreimal soviel. Als die Deutsche Bundesbank Anfang des Jahres versuchte, 300 Tonnen Gold aus New York zu repatriieren, ließ die Fed verlautbaren, der Transfer würde sieben Jahre dauern.

Derartige Behauptungen lösen Stirnrunzeln aus angesichts der Tatsache, daß Venezuela 2011/12 innerhalb weniger Monate 160 Tonnen seines überwiegend in London gelagerten Goldes per Flugzeug nach Caracas verlagerte. China beabsichtigt den Ankauf von 10.000 Tonnen Gold – wohl mit Blick darauf, daß der Dollar künftig seine Rolle als wichtigste Weltreservewährung einbüßt. Der libertären Denkschule zufolge führt das massive Drucken bzw. elektronische Erschaffen von ungedecktem „Fiat money“ zwangsläufig zu Inflation. Doch die US-Inflationsrate stagniert seit 2008 auf niedrigem Niveau, renommierte Ökonomen warnen sogar vor Deflation. Die Fed-Kritiker entgegnen, die unvermeidliche Explosion werde durch das Aufkaufen von US-Staatsanleihen und Wertpapieren in Höhe von monatlich 85 Milliarden Dollar durch die Fed nur hinauszögert. Zum zweiten werde die Inflationsrate durch statistische Tricks verfälscht (JF 48/13).

Die Ron-Paul-Jünger wollen die Fed abschaffen, den Geldvorrat einfrieren und den Goldstandard wiederherstellen. Damit, so ihre Argumentation, würden die Banken den Marktkräften unterstellt, so daß nur die gesunden unter ihnen überleben würden, ohne dazu staatlicher Rettungspakete zu bedürfen. Künftige Krisen im Bankensektor würden sehr viel weniger Schaden anrichten und sich schneller wieder einrenken lassen.

Die historischen Erfahrungen im US-Bankensystem widersprechen dieser These: 1819 und 1837 kam es zu Paniken, 1857 und 1873 zu Bankrotten und Rezession, 1884 zu einer Panik, die bis nach Europa übergriff, 1893 folgte eine Rezession, die zehn Jahre lang anhielt. Die schwerste Bankenkrise ereignete sich 1907, als JP Morgan die anderen Großbanken retten mußte – was letztlich den Ausschlag dafür, daß ein widerwilliger Kongreß 1913 die Gründung des Federal-Reserve-Systems absegnete.

In einem Punkt kann Ron Paul kaum widersprochen werden: Die lockere Geldpolitik („Quantitative easing“) hat dazu geführt, daß die Fed mittlerweile Schuldverschreibungen in Höhe von fast vier Billionen Dollar aufgekauft hat – wie sie diesen schwindelerregenden Betrag jemals wieder abstoßen soll, ohne eine neue „Super-Blase“ (George Soros) zu erzeugen, ist unklar.

Und könnte eine neue Fed den Goldstandard im Alleingang überhaupt noch herstellen? Die Schweiz mit ihren acht Millionen Einwohnern hat Goldreserven von über 1.000 Tonnen – das sind 130 Gramm pro Einwohner. Deutschland und Italien verzeichnen um die 40 Gramm. In den USA glänzen jeweils nur 26 Gramm – das ist weniger als eine Feinunze (31,1 Gramm). Die Bank of England (BoE) und die japanische Notenbank weisen in ihren Bilanzen sogar nur Goldbestände von fünf bis sechs Gramm je Einwohner aus.

Würden die USA ihre Notenbank unilateral abschaffen, so könnte dieser Schritt ein globales Chaos unvorstellbaren Ausmaßes herbeiführen. Denn die Probleme sind fast überall ähnlich: hohe private wie staatliche Verschuldung, aufgeblähte Bilanzen, historische Niedrigzinsen – nicht zuletzt auch bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Deswegen mag die Fed alt und grau sein – aber tot ist sie längst nicht.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.

 

Die Fed dominiert die Geldpolitik

Die Rettungspolitik in der Euro- und Finanzkrise ähnelt mehr einer fiskalischen Kreditbeschaffung für die Regierungen und Banken als einer stringenten Geldpolitik. Die Zentralbanken handeln scheinbar „alternativlos“ – wie die US-Notenbank. Die Fed, ihre zwölf Distriktbanken und die sie tragenden Privatbanken dominieren mit einem riesigen Netzwerk von Beratern, Dozenten, Schülern und angestellten Ökonomen die Geldtheorie so vollständig, daß gegenteilige Auffassungen ein Karriererisiko darstellen. Seit über drei Jahrzehnten hat der Fed-Kosmos fast die gesamte Berufssparte auf die eine oder andere Art auf seiner Gehaltsliste. Millionen gibt die Fed jährlich etwa für Forschungsaufträge an Ökonomen aus. Hinzu kommt, daß auch die wichtigsten Herausgeber akademischer Zeitschriften Fed-Unterstützung erfahren. Daher hat der Ex-Goldman-Sachs-Vize Mario Draghi als Präsident der EZB keine „italienische“ Geldpolitik betrieben: Die Niedrigzinsen sowie der von der Bundesbank abgelehnte Ankauf von Staatsanleihen und Risikopapieren ohne Sicherheiten folgen dem Vorbild der Fed. (cbs)

Ron Paul: Befreit die Welt von der US-Notenbank! Kopp-Verlag, Rottenburg 2010, gebunden, 175 Seiten, 16,95 Euro

Foto: Polizeischutz vor der New Yorker Fed: Protestbewegung gegen die Machtstrukturen der Geldschöpfung

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