© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/13 / 13. Dezember 2013 u. 01/14 / 20. Dezember 2013

Unsere grüne Lunge wird ausgeplündert
Von konsequent ökologischer Waldnutzung ist die deutsche Forstwirtschaft weiter denn je entfernt
Bertram Schaller

Wer sich mit dem Anblättern von Peter Wohllebens üppig illustriertem Band „Mein Wald“ begnügt, nimmt den Eindruck mit, es handle sich um einen Ratgeber für Waldbesitzer und solche, die es werden wollen. Wer sich hingegen in die Lektüre vertieft, erkennt schnell, daß der Autor nicht nur den engen Kreis jener ansprechen will, die materiell hinreichend ausgestattet sind, um ihrer Naturliebe auf privater Waldparzelle zu frönen.

Vielmehr zielt Wohlleben, der seine sichere Stelle bei der Landesforstverwaltung Rheinland-Pfalz aufgab, um 2006 den 700 Hektar großen ökologisch ausgerichteten Forstbetrieb Hümmel in der Eifel zu leiten, auf Scharen von Naturfreunden und umweltpolitisch Engagierten, deren „guter Wille“ freilich oft nicht einmal von einfachsten waldbiologischen Kenntnissen getragen wird. Aber auch an Kollegen und Vertreter der Forstwissenschaft wendet sich der erfahrene Praktiker, da sie in Sachen „ökologischer Waldbau“ noch viel Nachhilfeunterricht benötigten.

Denn ungeachtet der in den 1980ern, vom medial skandalisierten „Waldsterben“ angefachten, später versachlichten Debatte über umweltpolitisch notwendige Korrekturen im Ökosystem Wald, wandle man unbeirrbar auf falschen Pfaden. Denn abgesehen von geringfügigen Konzessionen an den ökologischen Zeitgeist dominiere in der Waldbewirtschaftung das Prinzip der Profitmaximierung.

Die Wälder würden heute nicht mehr vom „sauren Regen“ bedroht – hier habe man tatsächlich seit 30 Jahren große Fortschritte gemacht –, sondern durch die umfassende Kommerzialisierung dieses Naturraums. Gerade die „Ener-giewende“ habe diese rücksichtslose Ausbeutung der Waldressourcen sogar forciert. Da Biomasse politisch als „klimaneutral“ gilt, wird ihre Verbrennung staatlich gefördert. Denn die hehren Ziele der Reduzierung der Treibhausgase wären ohne die Nutzung pflanzlicher Rohstoffe zur Energiegewinnung und, wie Wohlleben maliziös bemerkt, deren „ungerechtfertigtes Saubermann-Image“ gar nicht erreichbar.

Folglich seien Biomassekraftwerke wie Pilze aus dem Boden geschossen. Und so sei Brennholz seit einigen Jahren wieder ein begehrter Rohstoff. Inzwischen tue sich aber eine Versorgungslücke auf, die man einerseits durch Importe zu schließen versuche, was jedoch das Problem des „Ausplünderns der Wälder“ nur ins Ausland verlagere. Andererseits richteten sich die Begehrlichkeiten auf das letzte verfügbare heimische Potential: das „Waldrestholz“.

Der „unaufgeräumte Wald“, in dem von gefällten Bäumen Kronen, Äste und Blätter als wertvolle Nährstoffe zurückblieben, galt lange als ökologischer Kompromiß zwischen Nutzung und Bodenschutz. Angesichts der Nachschubprobleme von sogenannten Ökostrom-Kraftwerken beginnt man sich davon zu verabschieden. Obwohl die Forschung bislang keine seriösen Daten über die Auswirkungen auf den Waldboden liefere, schaffe die Forstindustrie mit ihren kleinste Äste einsammelnden „Reisigbündlern“ schon mal Fakten und hinterlasse „blitzblanke“ Böden.

Der Boden ist für Wohlleben ohnehin die bedrohte Achillesferse des Waldes. Besteht doch angesichts des flächendeckenden Einsatzes schwersten Geräts bei der „Baumernte“ alle Aussicht, riesige Waldareale für Jahrhunderte zu schädigen. Wo „Harvester“, 50-Tonnen-Ungetüme, die Bäume im Minutentakt fällen, auf dem Erdreich lasten und es verdichten, reduziert sich die Wasserspeicherfähigkeit des Waldbodens um bis zu 95 Prozent. Niederschläge fließen dann in die nächsten Bäche ab und sind für die Bäume verloren.

Eine tiefe Verwurzelung ist bei Neuanpflanzungen nicht mehr möglich und für Altbestände gehört sorgenfreies Wachstum in diesem Umfeld der Vergangenheit an. Zu solchen brachialen Eingriffen gäbe es zwar die Alternative umweltgerechten Holzeinschlags durch Waldarbeiter und des traditionellen Abtransports der Stämme mit Hilfe von klobigen Rückepferden, die den fragilen Waldboden schonen. Doch kurz- bis mittelfristig rechnet sich diese Handwerksarbeit nicht.

Der alle ökologischen Wünsche erfüllende Liebling Wohllebens ist der zurückhaltend genutzte „Plenterwald“. Dieser mitteleuropäische Urwald sei das Gegenteil forstwirtschaftlich favorisierter Nadelholz-Monokulturen oder des ebenso auf massive Abholzungen getrimmten „Altersklassenwaldes“. Das ist jener deutsche Waldprototyp, an dem die Forstverwaltungen mit breiter forstwissenschaftlicher Unterstützung auf Gedeih und Verderb festhielten. Bei dieser falschen Waldbaustrategie dürfe sich niemand über regelmäßige Borkenkäferkalamitäten wundern. Ein gesunder Waldbestand wie der Plenterwald werde selten Opfer von Insekten, die wie Borkenkäfer, Buchdrucker oder Kupferstecher typische Begleiter von Monokulturen seien.

Auch für den Klimawandel, den Wohlleben als Tatsache akzeptiert, seien die meisten der inzwischen naturfernen deutschen Waldformen schlecht gerüstet. Am schlimmsten könnte es den seit Jahrzehnten von Staat und Wissenschaft „dringendst empfohlenen“ Nadelholzanbau treffen. Sind höhere Temperaturen und stagnierende Niederschläge zukünftig zu erwarten, werde die Fichte auf den meisten Standorten nicht mehr zu halten sein, da dieser Nadelbaum schon heute unter Wassermangel leide.

Den behördlichen Rat, Fichten durch wärmetolerante Douglasien zu ersetzen oder hitzetolerante Laubbäume wie Eßkastanie oder Robinie zu pflanzen, sollte man nicht folgen. Bedeuten doch heißere Sommer nicht, daß es im Winter nicht mehr kalt wird. Deshalb würden diese südlichen Baumarten in Mitteleuropa auch in hundert Jahren noch hoffnungslos erfrieren. Mithin lassen sich die Wälder nur durch konsequente Umstellung auf ökologische Bewirtschaftung für den Klimawandel ertüchtigen. Sollten tatsächlich trocken-heiße Sommer zunehmen, zähle für die Bäume jeder Tropfen Regen, den sie im Boden speichern können. Damit schließt sich der Kreis in Wohllebens Argumentation, die auf der Gleichung basiert: Bodenschutz ist Waldschutz.

Trotz aller Widerstände gegen ein Umdenken in der Holzerzeugung, vermittelt dieses Elementarbuch dennoch Zuversicht auf die Befreiung vom Regime des Ökonomismus in deutschen Wäldern. Um so erstaunlicher ist die bittere, mit Forstindustrie und Jagdlobby abrechnende, zutiefst pessimistische Bilanz, die der Autor im März 2013 im Münchner Ludwig-Verlag veröffentlichte: „Der Wald. Ein Nachruf“.

Angebote des Forstreviers Hümmel: www.forstbetrieb-huemmel.de

Peter Wohlleben: Mein Wald – nachhaltig, sanft, wirtschaftlich. Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart 2013, 240 Seiten, gebunden, 39,90 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen