© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Wenn das Willy wüßte
Bauruine: Die Geschichte des nach dem ersten SPD-Kanzler benannten Großflughafens BER bleibt ein Trauerspiel
Ronald Berthold

Es ist ein Trauerspiel, das sich ein Dramatiker nicht besser hätte ausdenken können. Geld, Zeit, vermeintliche Schurken und das Ansehen von Politikern sowie das eines ganzen Landes spielen die Hauptrollen im Stück um den geplanten Hauptstadtflughafen BER. Nur von Liebesaffären ist bisher noch nichts bekanntgeworden. Aber das schmälert die haarsträubende Geschichte um das Chaos in Schönefeld bei Berlin kein bißchen.

Das neueste Kapitel ist das Comeback von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit als Aufsichtsratsvorsitzender. Im Januar 2013 trat der SPD-Mann nach zahlreichen Pannen von diesem Amt zurück. Im Dezember kehrte er nun auf den Posten zurück. Die Opposition kritisiert diese merkwürdige Personalentscheidung vehement. Grünen-Politikerin Renate Künast spricht gar von einem „Alptraum“.

In der Tat ist diese Reinthronisierung eines der Hauptverantwortlichen für das Desaster schwer verständlich und nur damit zu erklären, daß sich niemand anderes fand, der sich im Namen des BER verheizen lassen wollte. Brandenburgs neuer Ministerpräsident Dietmar Woidke lehnte es strikt ab, auch in Schönefeld die Nachfolge seines Vorgängers Matthias Platzeck (beide SPD) anzutreten. Dieser war als Regierungschef zurückgetreten, und damit war auch der Posten des Aufsichtsratschefs verwaist. Aus der Industrie fand sich ebenfalls niemand, der bereit war, den Sündenbock für das Versagen der beteiligten Politiker zu mimen.

Das Desaster geht nun ins dritte Jahr. Nach ohnehin schon vielen Verzögerungen sollte der Hauptstadtflughafen am 3. Juni 2012 eröffnen. Erst kurz vor der Premierensause wurde der Termin abgesagt. Dann verkündeten die Verantwortlichen den 27. Oktober desselben Jahres als neuen Tag für den erste Take-off. Dann war von 2013 die Rede, inzwischen traut sich niemand mehr, einen Termin zu nennen. Und offensichtlich herrscht inzwischen völlige Resignation. Siemens-Chef Joe Kaeser, dessen Unternehmen mit Millionen-Aufträgen an der Baustelle beteiligt ist, sagte kürzlich öffentlich über den neuen Airport: „Den braucht eh keiner im Augenblick. Wenn wir den Flughafen in fünf bis zehn Jahren haben, reicht das vollkommen.“

Allerdings kostet jeder Monat, in dem der Flughafen nicht in Betrieb geht, den Steuerzahler 40 Millionen Euro. Der sowieso schon auf 4,3 Milliarden Euro explodierte Finanzrahmen wird nicht das letzte Wort sein. Doch auch hier weigert sich der Aufsichtsrat, eine Kalkulation für die Mehrkosten vorzulegen. Weder das noch den Termin der Schlüsselübergabe kann er auch nur annähernd benennen. „Nischt jenauet weeß man nich“, sagt der Berliner. Selten hat der Spruch so gut gepaßt wie auf den Pannen-Airport, der jahrelang mit einer der Region nachgesagten „großen Klappe“ beworben worden war: „Modernster Flughafen Europas“. Dieser Claim ist nicht nur wegen der unendlichen Geschichte der Baustelle zum Rohrkrepierer geworden. Die Studie eines international anerkannten Flughafen-Experten kam kurz und knapp zu dem Ergebnis: „Zu spät, zu klein, zu teuer.“

Das Übel begann damit, daß Wowereit gleich zu Beginn die ursprünglich in private Hände gelegte Planung an sich riß. Der Staat sollte den Flughafen bauen. Beim Versuch ist es bisher geblieben, und die öffentliche Hand hat bewiesen, daß sie mit einer solchen Aufgabe hoffnungslos überfordert ist. Die Fehlerliste auf der Baustelle wird immer länger. Neben dem nicht funktionierenden Brandschutz sind inzwischen 20.000 weitere Mängel entdeckt worden. Monatelang konnte in und an den fertiggestellten Gebäuden nicht einmal das Licht ausgeschaltet werden, so daß die Baustelle auch noch unnötig hohe Energiekosten produzierte. Ihr nächtelanges helles Strahlen in den märkischen Himmel erinnerte manche Berliner schon an den Untergang der Titanic, die auch bei voller Beleuchtung untergegangen war.

Zur Posse um Wowereit kommen weitere skurrile Personalien hinzu. Der im August 2012 als „Retter“ aus Frankfurt am Main geholte erfahrene Technikchef Horst Amann und der im März 2013 als Feuerwehrmann hinzugestoßene neue Flughafen-Boß Hartmut Mehdorn gerieten sich in aller Öffentlichkeit derart in die Haare, daß die Medien Futter für Berichte über eine klassische Kabale frei Haus geliefert bekamen. Amann unterlag dem 71jährigen und hat seinen Posten inzwischen ebenfalls verloren. Mehdorns Vorgänger Rainer Schwarz war der erste, der 2012 über den „Fluch-Hafen“ (Hauptstadt-Spott) stolperte. Er klagt nun auf Weiterzahlung seiner Gehälter bis 2016. Seine Forderung: 1,7 Millionen Euro. Das Verfahren läuft noch.

Und die Schenkelklopfer um den BER nehmen kein Ende. In der zweiten Jahreshälfte 2014 muß nun bereits eine Landebahn saniert werden, ohne daß das geplante Drehkreuz ans Flugnetz angeschlossen ist. Der in der Nähe befindliche Flughafen Schönefeld hat die brachliegende Piste mit- und damit abgenutzt. Die Arbeiten sollen mehrere Monate dauern, verkündete der Aufsichtsrat. Damit dürfte feststehen, daß eine Eröffnung auch 2014 ein Traum bleibt. Oder, um mit Renate Künast zu sprechen: ein Alptraum.

 

Flughafen Berlin-Brandenburg

Seit 2006 wird an dem Großflughafen BER, der offiziell den Namen „Willy Brandt“ trägt, schon gebaut. Dennoch ist es immer noch nicht abzusehen, wann von dem Flughafen, der ursprünglich bereits 2012 eröffnet werden sollte, die ersten planmäßigen Flieger abheben können.

Seit März 2013 leitet der 71 Jahre alte frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn die Geschicke des Mammutprojektes. Er setzt darauf, den Flughafen schrittweise in Betrieb zu nehmen. Derzeit plant Mehdorn, 2014 im sogenannten „Nordpier“, einem Seitenflügel des Terminals, einen Testbetrieb mit bis zu zehn Flugzeugen täglich zu starten.

Wenn der Flughafen, an dem Berlin und Brandenburg mit jeweils 37 Prozent, der Bund mit 26 Prozent beteiligt sind, tatsächlich irgendwann eröffnet wird, sollen dort 27 Millionen Passagiere im Jahr abgefertigt werden.

Mit den Planungen für ein Drehkreuz in Berlin war bereits unmittelbar nach der Wiedervereinigung begonnen worden. Das Genehmigungsverfahren für den Bau beinhaltete die Schließung der Berliner Flughäfen Tegel und Tempelhof. Während Tegel weiterhin in Betrieb ist, hat sich das „Tempelhofer Feld“ bereits als Park etabliert.

Foto: Abgedeckte Sitze im Terminal des Flughafens Berlin-Brandenburg: In der Hauptstadt wird das Milliardenprojekt als „Fluch-Hafen“ verspottet

 

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