© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

„Schön, daß sich noch jemand dafür interessiert“
Erster Weltkrieg: Im französischen Sedan engagiert sich ein Verein für ein deutsches Denkmal
Hinrich Rohbohm

Wie zum Trotz steht es da, den Witterungseinflüssen Widerstand leistend. Gerade ist auf dem Sedaner Friedhof Saint Charles ein Hagelschauer auf das deutsche Soldatendenkmal niedergegangen. Wie kleine Nadelstiche scheinen die unzähligen weißen Körner dem auf einem Hügel über der Ardennenstadt stehenden Monument zuzusetzen.

Der Blick auf jenes mächtige Tor mit seinen Säulen offenbart die Verletzlichkeit eines inzwischen fast hundert Jahre alten Bauwerks. Gesteinsbrocken, aus seinen einst stabilen Mauern herausgebrochen, liegen auf den teils schon kantenlosen Treppenstufen der Erinnerungsstätte. Moos und Sträucher haben sich im Laufe der Zeit ihren Weg durch die Steinplatten gebahnt. Unter dem Dach des Monuments macht sich Schimmel breit.

Auf seinem Fries stehen die Reste einer Inschrift. Zahlreiche der Bronzelettern sind herausgebrochen. „Kämpfend für Kaiser und Reich, nahm Gott uns die irdische Sonne; / Jetzt vom Irdischen frei, strahlt uns sein ewiges Licht. / Heilig die Stätte, die ihr durch blutige Opfer geweiht habt! / Dreimal heilig für uns durch das Opfer des Danks“ hatte dort einst gestanden. Zeugnis des von deutschen Truppen errichteten Soldatenfriedhofs, der auf diesem, damals hinter der Front befindlichen Hügel 1915 errichtet worden war. Deutsche Gefallene fanden hier ihre letzte Ruhe, ehe ihre Gräber in den zwanziger Jahren auf den Soldatenfriedhof Noyer-Pont-Maugis umgebettet wurden.

Nur das Denkmal ist geblieben. Heute ist es von einem rot-weißen Sicherheitsband umspannt, damit es von niemandem betreten wird. Zu weit ist sein Verfall bereits fortgeschritten, zu groß die Gefahr, daß einzelne Gesteinsbrocken des Betonbauwerks auf Besucher hinabstürzen könnten.

Auf das Denkmal angesprochen, breitet sich ein Lächeln auf dem Gesicht einer alten Frau aus, die ihrem verstorbenen Gatten gerade neue Blumen ans Grab gebracht hat. „Es ist schön, daß sich noch jemand für das Denkmal interessiert“, sagt sie erfreut. Gerade der jungen Generation fehle es oft an Geschichtsbewußtsein, meint sie. Die Jugend von Sedan wisse zumeist kaum, daß das Denkmal existiert. „Wir müssen die Erinnerung wachhalten. Solche Stätten sind für Deutsche und Franzosen gleichermaßen wichtig“, betont sie voller Leidenschaft. Daß der Bau verrotte, sei eine Schande, ein Abriß wäre eine Tragödie.

Tatsächlich spielte die Sedaner Stadtverwaltung bereits mit diesem Gedanken. 13.000 Euro war die Kommune bereit, dafür zur Verfügung zu stellen. Eine Sanierung sei aus finanziellen Gründen nicht möglich. 100.000 Euro oder mehr wären dazu erforderlich. Geld, das die Stadt als Eigentümer des Denkmals nicht habe, erklärt ein Sprecher der Stadtverwaltung gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Man habe Deutschland vergeblich um finanzielle Hilfe gebeten. Allerdings liegt keine entsprechende Anfrage der Stadt Sedan beim Auswärtigen Amt in Berlin vor.

Historiker und Tourismusvertreter kämpfen für den Erhalt des Bauwerks. Einer von ihnen ist Sébastien Haguette, Präsident des Sedaner Geschichtsvereins. Der 36jährige sitzt in seinem Arbeitszimmer in der Rue de Metz, in der Innenstadt von Sedan und kramt aus einem Stapel seiner zahlreichen in Fächer einsortierten Unterlagen ein Dokument hervor. Es ist die Antwort einer Baufirma auf eine von ihm eingereichte Kostenanfrage. Haguette hält den von der Stadt genannten Betrag für zu hoch, holte daher selbst Erkundigungen ein. Ergebnis: Laut einer Kostenaufstellung der Firma S.A.S. François wären lediglich 31.273 Euro erforderlich. „Selbst wenn wir den Platz um das Denkmal komplett herrichten und für einen behindertengerechten Zugang sorgen, würden wir maximal 50.000 Euro benötigen“, erklärt Haguette gegenüber der JF.

Der sich selbst als „unpolitischen Menschen“ beschreibende Historiker mußte bei seinen Bemühungen für einen Erhalt des Denkmals feststellen, daß diesbezüglich politische Befindlichkeiten sowohl in Deutschland als auch in Frankreich eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Er hatte Kontakt zum deutschen Botschafter in Paris aufgenommen, bat um Hilfe für eine Sanierung. Dort habe man sein Anliegen als „interessant“ bezeichnet. Und ihm gleichzeitig zu verstehen gegeben, daß deutsche Hilfe bei einem derartigen Bauwerk „politisch heikel“ sei. „In Frankreich sind es Vorbehalte der französischen Résistance, die Politiker in ihren Überlegungen berücksichtigen“, erklärt Haguette.

Auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge sieht sich außerstande, Hilfe zu leisten. Zwar habe man in den neunziger Jahren mit dafür gesorgt, das Denkmal von Moos zu befreien. Eine Renovierung könne der Verband jedoch nicht vornehmen, da ihn seine Satzung verpflichte, erhaltene Spenden und Zuschüsse nur für Kriegsgräber zu verwenden. Allerdings müsse man sich schon fragen, warum der seit Jahrzehnten andauernde Verfall des Denkmals nicht aufgehalten wurde, merkt man auch beim Volksbund kritisch an.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es aus Teilen der Opposition im Sedaner Stadtrat, dem Conseil municipal, daß der der sozialistischen Partei angehörende Bürgermeister Didier Herbillon kein Interesse an einer Restaurierung habe. Die klamme Finanzsituation sei in Wahrheit nur ein willkommener vorgeschobener Grund, das Denkmal abzureißen. Als offizielle Begründung hatte der 49jährige allerdings stets betont, daß vor allem Sicherheitsgründe einen Abriß erforderlich machten. Seine Partei verfügt im Stadtrat über die absolute Mehrheit der Sitze, seine Haltung in der Denkmalfrage ist somit von entscheidender Bedeutung. Von der JUNGEN FREIHEIT schriftlich an den Bürgermeister gestellte Fragen zur Renovierung des Denkmals blieben bis Redaktionsschluß unbeantwortet. Ein Beigeordneter des Bürgermeisters war zunächst zu einem Gespräch mit der JF vor Ort bereit, sagte dann jedoch kurz vor dem Treffen wieder ab.

„Nächstes Jahr im März sind Kommunalwahlen“, sagt Haguette. Die Ankündigung, Gelder von französischen Steuerzahlern auszugeben, um ein deutsches Denkmal herzurichten, komme nicht bei jedem Bürger gut an. Haguette vermutet, daß dies mit ein Grund dafür ist, warum sich die Sedaner Stadtverantwortlichen derzeit mit einer Aussage zugunsten einer Sanierung schwertun. „Dabei wäre das für Sedan eine große Chance, angesichts der Fülle historischer Kriegsschauplätze in der Region Besucher nach Sedan zu bekommen.“

Das sieht man auch im Sedaner Tourismusamt so. „Es wäre so wichtig, daß das deutsche Denkmal wieder hergerichtet wird. Wir hätten die Chance, mit anderen historischen Stätten in der näheren Umgebung Touristen ein attraktives Ensemble für Besuche anzubieten“, meint dessen Direktorin Carine Fay. Schließlich verfüge die Region mit den einstigen Schlachtfeldern aus dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, dem Ersten sowie dem Zweiten Weltkrieg über ebenso tragische wie bedeutende Zeugnisse europäischer Geschichte. Etwa das Chateau Bellevue, in dem am 2. September 1870 die französische Armee ihre Kapitulation vor Deutschland unterzeichnete. Oder das historische Haus an der Straße von Donchery, in dem Bismarck nach der Schlacht bei Sedan mit Napoleon III. zusammentraf.

Sébastien Haguette kann sich auch vorstellen, daß eine gemeinnützige Einrichtung das Monument für einen symbolischen Kaufpreis von der Stadt Sedan erwirbt und damit die Pflege des Denkmals übernimmt. Auch will er in Erfahrung bringen, ob für das Bauwerk Fördermittel von der Europäischen Union erhältlich sind. „Wenn die Finanzierung seriös ist und auf soliden Füßen steht, gibt es für die Stadt keine rationalen Argumente, eine Renovierung abzulehnen“, ist Haguette überzeugt.

 

Denkmalstreit

Mit seinen vier dorischen Säulen erinnert das Denkmal in Sedan an ein antikes Bauwerk – oder an das Brandenburger Tor in Berlin: 1915 wurde es in der Ardennenstadt errichtet, als Teil eines (später verlegten) Soldatenfriedhofes, der an den zivilen städtischen Friedhof angegliedert worden war. Warum, weiß man heute nicht mehr.

Möglicherweise als Provokation „mit dem Hintergedanken ‘Sedan bleibt deutsch’“, meint Gerd Krumeich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Der Düsseldorfer Historiker ist Mitglied der internationalen Kommission zur Neugestaltung der Feierlichkeiten des französischen Nationalfeiertages zum Waffenstillstand und setzt sich vehement für den Erhalt des Denkmals in Sedan ein. Denn das sei ein „einzigartiges Dokument des Ersten Weltkrieges“ und eine der letzten erhaltenen deutschen Gedenkstätten in den Ardennen. Für Krumeich steht außerdem fest: „Überhaupt ist die Zeit der Entsorgung dieser Vergangenheit vorbei, Gott sei Dank.“

Eine Mitverantwortung an der verfahrenen Situation weist der Historiker auch den deutschen Offiziellen zu, die sich als unfähig erwiesen, „den Ersten Weltkrieg in unsere Geschichte einzubeziehen“.

www.tourisme-sedan.fr

www.histoire-sedan.com

Fotos: Aus Sicherheitsgründen gesperrt: Der 1915 für die Gefallenen eines deutschen Infanterieregiments errichtete Triumphbogen auf dem Friedhof Saint Charles in Sedan; Abgeblätterte Inschrift: „Kämpfend für Kaiser und Reich, nahm Gott uns die irdische Sonne; / Jetzt vom Irdischen frei, strahlt uns sein ewiges Licht. / Heilig die Stätte, die ihr durch blutige Opfer geweiht habt! / Dreimal heilig für uns durch das Opfer des Danks.“; Gefahrenzone: Herabgefallene Steinbrocken am Denkmal

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