© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Ausblick 2014: Unabhängigkeitswillen und wachsende EU-Kritik setzen Brüssel zu / Bange Blicke auch gen Peking, Moskau und Nordafrika
Günther Deschner

Das Jahr 2014 ist ein Saturnjahr. Der zweitgrößte Planet des Sonnensystems schwingt das Zepter und sorgt für frischen Wind. Überholtes, Eingefahrenes wird hinweggefegt. Ein gutes Omen für die nach Unabhängigkeit strebenden Schotten. Denn für den 18. September ist das langersehnte Referendum über die Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich terminiert.

Knapp zwei Monate später wollen dann die Katalanen am 9. November diesem Schritt folgen. Doch anders als Großbritanniens Premier David Cameron zeigte Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy klare Kante und erklärte das geplante Referendum für „verfassungswidrig“. Für Zündstoff ist also gesorgt. Hatten nicht bereits am 11. September 2013 1,6 Millionen Katalnen mit einer Menschenkette von den Pyrenäen bis an die Grenze der Nachbarregion Valencia für die Unabhängigkeit von Spanien demonstriert?

Gespannt werden nicht nur die Flamen, Süd-Tiroler, Basken, Venetier, Korsen auf die Ergebnisse schauen, mit Aufmerksamkeit verfolgt auch Brüssel diese Entwicklungen. Nicht von ungefähr verwies EU-Ratspräsident Herman van Rompuy nach Bekanntmachung des katalanischen Ansinnens auf den Umstand, daß, falls ein „Teil des Territoriums eines Mitgliedsstaates nicht mehr Teil dieses Staates“ sei, dieses „Territorium“ als „neuer unabhängiger Staat“ gelte. Die EU-Verträge seien entsprechend auf dieses Territorium „nicht länger anwendbar“. Persönlich, so der irritierte Rompuy weiter, „vertraue“ er jedoch darauf, daß Spanien ein „vereintes und verläßliches“ EU-Mitgliedsland bleibe.

Wenn es nach den EU-Granden geht, soll alles so bleiben wie es ist. Folgerichtig scheint sich die Angst der EU-Politstrategen vor erdrutschartigen Gewinnen EU-kritischer Parteien bei der Europawahl Ende Mai, je näher diese heranrückt, zu potenzieren.

Ebenso kritisch richten sich die EU-Augen am 6. April Richtung Ungarn. Dort wählen die Magyaren ein neues Parlament. Und vieles deutet darauf hin, daß die oftmals an den Pranger gestellte Regierungspartei von Ministerpräsident Viktor Orbán gute Aussichten hat, die absolute und vielleicht gar wieder die Zweidrittelmehrheit zu erreichen.

Einen Tag vorher sucht dann Afghanistan einen Nachfolger für den glücklosen Hamid Karsai zu bestimmen. Im Herbst 2001 von den Amerikanern installiert, dann zweimal „gewählt“, verbietet die Verfassung eine dritte Amtszeit. Die geplante Wahl wäre die erste demokratische Machtübergabe in der Geschichte des Landes überhaupt. Aber kann sie inmitten von Truppenrückzug, Gewalt und Unsicherheit überhaupt stattfinden? Der andauernde Bürgerkrieg hat jedes Vertrauen – in den zerrütteten Staat und in den politischen Prozeß, der die Demokratie in Afghanistan etablieren soll – zerstört. Dennoch hält Karsais nationaler Sicherheitsberater die Wahl für alternativlos. „Wir müssen diese Wahl abhalten, sonst werden wir alles verlieren. Es gibt keine Pause im Prozeß der Demokratisierung. Das ist die Strategie der Taliban und al-Qaidas und deren Unterstützern im Ausland: Die Wahl auf irgendwann zu verschieben und die Legitimation der afghanischen Regierung und des Staates zu untergraben.“

Von Euphorie für die Demokratie ist ohnehin nichts zu spüren. Nach Angaben der Wahlkommission verläuft die Registrierung der Wähler schleppend, vor allem bei den Frauen. Zeitgleich kristallisieren sich zerbrechliche, politische Allianzen heraus, die entlang ethnischer und konfessioneller Linien verlaufen. Sie spiegeln die alten Fronten des ungelösten Bürgerkriegs wider – zum Teil sogar mit dem gleichen, machtsüchtigen Personal.

Keine guten Aussichten. Noch ernster stimmt, daß sich 2014 zum hundertstenmal der Beginn des Ersten Weltkriegs jährt. Der Beginn der Urkatastrophe eines ganzen Jahrhunderts, was schon die Frage aufgeworfen hat, ob sich das europäische Schicksalsjahr ein Jahrhundert später und ein wenig anders in Asien wiederholen kann? China, mit seiner Rolle des globalen Aufsteigers, sucht zumindest nicht nur im asiatisch-pazifischen Großraum nach Dominanz und Einfluß. Der jüngste Streit um Chinas neue Luftraumüberwachung hob die Spannungen in dieser Region auf eine weltpolitische Ebene.

Drohlt parallel dazu sogar ein neuer Ost-West-Konflik? Die XXII. Olympischen Winterspiele, die zwischen dem 7. und 23. Februar 2014 in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi stattfinden werden, könnten zeigen, ob Putins Rußland noch Freunde im Westen hat.

Doch auch unterhalb der ganz großen globalen Kontroversen wird für die Weltpolitik 2014 ein Jahr der Unruhe und der Ungewissheit bleiben, wie ein Blick in die Glaskugel politischer Möglichkeiten zeigt. Sicher ist, daß der Nahe Osten und Nordafrika noch lange an den Folgen der „Arabellionen“ zu leiden haben werden. Gerade zum Jahreswechsel etwa kam aus Bengasi die nichts Gutes verheißende Nachricht, daß die Terrororganisation Ansar as-Scharia in Libyen unbehelligt ein mehrtägiges Geheimtreffen mit algerischen Vertretern von al-Qaida und der radikal-islamischen Al-Nusra-Front aus Syrien abgehalten hat.

Auch im Israel-Palästina-Konflikt und seinem regionalen Umfeld deutet nichts auf eine Lösung hin. Ist das Problem in der internationalen Diplomatie schon als „Mission impossible“ eingestuft? Welche Auswirkungen hätte Syrien als „failed state“ in der Nachbarschaft zum unruhigen Irak und zur Türkei? Und welche Gefahren entwickeln sich in Jordanien, dessen König sich gegen die Umwandlung in eine konstitutionelle Monarchie wehrt?

Foto: Schottlands Ministerpräsident Alex Salmond und seine Stellvertreterin Nicola Sturgeon freuen sich auf das Unabhängigkeitsreferendum am 18. September 2014: Nicht nur die Schotten wollen los von London, auch die Katalanen wagen weitere Autonomieschritte

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