© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

„Woow. süße du bist soou hüpsch“
Selbstbilder heranwachsender Mädchen: Vor allem im Internet glorifizieren selbsternannte „Sexy Bitches“ extrem sexualisierte Freundschaftsformen
Martin Voigt

Mädchen zählen zu den aktiven Facebook-Nutzern, die ihr Umfeld durch intensive Interaktion virtuell abbilden. Sie stellen immer neue Fotos auf ihr Profil und bekräftigen ihren sozialen Status über ihr Aussehen. Süß und sexy wollen sie wirken. Anhand der „Likes“ und Kommentare loten sie ihre Beliebtheit in der Clique aus: „Woow. süße du bist soou hüpsch *_* – Danke mein schatz du aber auch.“

Wenige Jahre zuvor dokumentierten beste Freundinnen ihr Beziehungshandeln noch ausführlicher in schülernahen Online-Netzwerken, wie Jappy, Lokalisten, SchülerVZ und knuddels. Dort schrieben sie sich gegenseitig lange Einträge in ihre Online-Gästebücher. Der ganzen Jahrgangsstufe wollten sie zeigen, wer ihre Freundin ist: „ich lieebe dich sooo sehr meinee beste <33“. Soziale Medien ermöglichen Einsichten in die psychosoziale Lebenswelt von Teenagern, die die Grundlage für diesen Artikel bilden.

Die Selbstbilder der Mädchen pendeln zwischen einer romantisierten Sehnsucht nach Liebe und einer stark sexualisierten Alltagsrealität. Die Janusköpfigkeit zwischen „sweet princess“ und „sexy bitch“ zeigt sich bereits in ihren selbstgewählten Online-Pseudonymen: „BebiiBitch“, „klaiines luuder“, „bunnybebi“, „Priinzessii Chiicka“ oder „SexyPrincess“ nennen sie sich, und im Doppelpack sind sie „best friends forever“.

Auf Fotos umarmen und küssen sie sich. Die adäquate Selbstinszenierung spielt mit jungmädchenhafter Erotik. Von schüchtern bis plump reicht die sexuelle Komponente im Niedlichen. Auch in den Einträgen überwiegt ein süßlicher Tonfall und nur manchmal wird klar, welche Folgen WLAN im Kinderzimmer haben kann: „Ich weiß daß ich geil bin umsonst bist ja ned so feucht immer:DD ich liebe dich soo sehr <33“, schreibt eine Dreizehnjährige ins Online-Gästebuch ihrer besten Freundin und in einem ihrer weiteren Einträge ist zu lesen: „die pornos, auf redtube.de oder xxx.de oder youporn.de xDD ijaaaah man ^^ war schon geil mim andi. ‘jeeetz stellt sich gleich da laptop auf’ xDD waaaah* ich kann wieder lachen, ich hoff‘ du auch !? . ich liebe dich so!“

Vergleichbar ist der Eintrag einer Fünfzehnjährigen an ihre Freundin: „ham ma uns auch mal endlich wieder das porno ping pong angeschaut.. aber i-wie kann ich da nur drüber lachen wenn du dabei bist.. sonst kann ich das nich wen ich allein bin oder so oder ichs m samy zeig..^^“.

Was diese Belege offenbaren, ist Alltag in der 00er-Generation. Völlig unbekümmert sprechen Mädchen von ihren Genitalien, und der intime Liebesbeweis ist für sie fi..., vö... oder lässig abgeklärt „Sex haben“. Mit einer neuen Selbstverständlichkeit verwenden sie das alte Vokabular in bezug auf Körperselbstbilder und sexuelle Intimität. Sex passiert einfach. „Ich hatte mit dem mal was“ oder „mit dem lief mal was“ sind Sätze, die so normal geworden sind wie ein Mitternachtssnack bei McDonalds.

Der zur Norm gewordene vulgäre Sprachgebrauch und die Banalisierung von Sexualität sind symptomatisch für die seelischen Verletzungen einer bis ins Detail aufgeklärten und für alles offenen Generation. Die Ursache ist die Verletzung des Schamgefühls vor und während der Adoleszenz, wenn emotionale Notsituationen entstehen, in denen die Bindung zu oder zwischen den Eltern gestört wird (siehe Infokasten).

Kinder, die sich in der Liebe geborgen fühlen, die ihre Eltern füreinander empfinden, haben in der Regel ein gesundes Schamgefühl. Verlieren sie diese Geborgenheit, spiegelt sich die innerlich empfundene Blöße ihres Daseins auch in ihrem Verhalten wider. Wenn Eltern sich immer wieder streiten oder sich scheiden lassen, trifft dies Kinder in ihrem Selbstwertgefühl. Sie stellen sich unterbewußt selbst in Frage: Bin ich das Ergebnis einer großen Liebe oder einer großen Lüge? Bin ich schuld?

Wenn Kinder mitbekommen, daß der Vater Pornos im Internet guckt oder die alleinerziehende Mutter wechselnde Liebhaber hat, verlieren sie den Respekt vor ihren Eltern, ohne daß sie aufhören können, diese zu lieben. So versuchen sie, die Enttäuschung ihrer Eltern zu kompensieren und sich in ihrer Kränkung neu zu orientieren. Manche Kinder wirken auf einmal distanzlos oder sehr selbständig und entwickeln eine Verantwortlichkeit für ihre Eltern, etwa für die alleinerziehende Mutter. Andere verkriechen sich im symbiotischen Bindungsgeflecht einer Clique, oder sie flüchten sich in eine frühe sexuelle Beziehung, in der sie eine intensive Ersatznähe suchen und alles besser machen wollen als die Eltern.

Solche Kompensationsversuche in einer Mädchenfreundschaft oder Beziehung führen meist dazu, daß die ursächlichen Enttäuschungen unbewußt noch einmal erlebt werden. Die unbefriedigte Sehnsucht nach bedingungsloser Empathie muß die Freundin oder den Freund zwangsläufig überfordern.

Das soziale Umfeld außerhalb der Kernfamilie, in dem ein Teenager aufwächst, ist der zweite Risikofaktor für emotionale Not. Wer den größten Teil des Tages in der Schule ist und anschließend mit seinen Freunden zusammensteckt, wird in seiner Gleichaltrigengruppe sozialisiert. Der klinische Psychologe Gordon Neufeld aus Vancouver untersucht mit Blick auf das kanadische Schulsystem, wie sich ganztags kollektivierte Kinder zunehmend an Gleichaltrigen orientieren und die innere Bindung zu ihren Eltern dabei Schaden nehmen kann.

In der Ganztagsschule wird Anpassung zur sozialen Notwendigkeit, denn nur „Eltern können Kindern das geben, was sie einander nicht geben können: die Freiheit, sie selbst zu sein, im Kontext liebevoller Akzeptanz“, schreibt Neufeld. Wenn entscheidende psychosoziale Entwicklungsschritte in bezug auf Gleichaltrige passieren, ist die vertikale Vermittlung von Kultur unterbrochen und das Triebhafte im Menschen verliert seine Zügel.

Schüler der ganzen Jahrgangsstufe können mitlesen, wenn die beiden Freundinnen im öffentlichen Pinnwandeintrag ihr spielerisches So-tun-als-ob schildern: „& dann bei mir daheim :DD ich fick dich soo & mehlow sieht alles. kommt mei mam rein ‘poppts ihr oda was ??’ hüüüpf voll schnell von dir runta ^^ dann is draußen & gleich wieder auf dir gwen“.

Werte, Normen und Moralvorstellungen vermitteln Gleichaltrige („Peers“) sich gegenseitig. Sex gehört zum Kennenlernen dazu, und mit derselben Selbstverständlichkeit werden sexuell intensive Partnerschaften auch wieder beendet. „Forever & longer“ reicht allerdings selten bis zum Abitur.

Im alltäglichen Erleben der Teenager bestätigt sich immer wieder die Botschaft solcher Serien wie „How I Met Your Mother“ und „Two And A Half Men“. Das jugendliche Publikum amüsiert sich über die Dates und Beziehungsversuche der Hauptfiguren, und gleichzeitig verinnerlicht es die Handlungsmuster: Wer normal lebt, läßt nichts aus, bis die große Liebe kommt. Wie in einem Slogan für gesundheitliche Aufklärung gilt: Alles, was Spaß macht, ist okay, wenn du nur richtig verhütest.

Vor allem der von Organisationen, wie Pro Familia durchgeführte Aufklärungsunterricht holt die Schüler bei diesen sexualisierten Selbst- und Weltbildern ab. Es geht um Verhütung und verschiedenste Sexualpraktiken. Jeder darf alles fragen; keine Tabus. Pädagogen ermutigen die Schüler, ihre Erfahrungen einzubringen, und sie bilden Teenager zu sogenannten Sexperten aus. Jungen und Mädchen im Alter von 14 und 15 Jahren referieren vor Gleichaltrigen über Verhütung, Schwangerschaftsabbruch und Rollenverhalten im Liebesspiel. Gezielt bauen die minderjährigen Sexperten Hemmungen ab, damit ihre Mitschüler das Gelernte möglichst bald ausprobieren.

Die eigentlichen Wünsche der Teenager gehen tiefer als der durch Gratis-kondome angestachelte Sexualtrieb. Im Kino bricht die Vampir-Saga „Twilight“ Rekorde, nicht allein wegen gutaussehender Vampire, sondern auch weil die Geschichte an die alten Bilder von Liebe, Treue, Ehe und Familie appelliert. Edward Cullen, der blutsaugende Romantiker aus dem letzten Jahrhundert möchte seine angebetete Bella vom Heiraten überzeugen; an Sex ist noch gar nicht zu denken. Schwärmend sitzen die 14-, 15jährigen Mädchen in den Kinosesseln, während ihnen das Verhütungsmittel durch die Blutbahn zirkuliert. Ihre Sehnsüchte und die Realität, in der sie sich befinden, klaffen auseinander, denn ihre Lebenswelt spiegelt sich eher in Filmen, wie „Nie wieder Sex mit der Ex“, wider.

Aus mehreren gescheiterten Liebesbeziehungen kann sich ein resignatives Muster sexueller Offenheit entwickeln. Sogenannte Dates, die im Bett ausklingen, verarbeiten die Mädchen mit der besten Freundin wie in der TV-Serie Sex and the City. Wenn sie versuchen mit immer neuen sexuellen Bindungen, ihre Sehnsucht nach intimer Nähe zu kompensieren, sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Mit erwachsenem Gehabe kapseln sie die verletzte Scham ab und mit jedem neuen Ex geht das auch einfacher.

Achtzehnjährige, die nach eigenem Einschätzen gelebt haben oder erwachsen geworden sind, belächeln alles Unschuldige, und kitschig finden sie die ehemals geliebten „Twilight“-Filme. Wer jedoch mit manischen Handbewegungen permanent über das Smartphone wischt, auf der Suche nach neuen WhatsApp-Meldungen und Facebook- „Likes“, verhält sich nicht erwachsen, sondern abhängig. Auch der vermeintlich selbstbestimmte Kennenlernsex ist ein Ausdruck emotionaler Abhängigkeit.

Schließlich kann die Summe der Verletzungen von der frühen Kindheit über die mediale Hypersexualisierung und den schulischen Verführungsunterricht bis zu den enttäuschten Sehnsüchten in Beziehungen zur Abspaltung des kindlichen Ichs führen. Mögliche Folgen sind promiskuitiver Sex und die Unfähigkeit, Gefühle und Intimität zuzulassen, oder auch eine Wut auf das andere Geschlecht, die sich in Homosexualität verkehren kann. Muster dieses Denkens finden sich bereits in den Einträgen der beiden Freundinnen: „aber wir stehen alles durch was >männer< betrifft., wie ich om schon gschriem hab ‘ausgfotzte oaschlecha’. wir sind jetz eh schon lesbisch mit alinaa. alsoo (: und lesben sind di besten., oder auch Bi ., < >> bisschen bi schadet nie.^^“.

Die zotig-lustige Sprache der sich abgeklärt gebenden Dreizehnjährigen strotzt vor Abwehrmechanismen. Zynische Vulgarismen, wie in den zitierten Pinnwandeinträgen, oder eine betont normale und offene Thematisierung von Sexualität, etwa das demonstrative Einnehmen der Pille in der Schule wie Kaugummis, aber auch bloß die Angst, vor seinen Freunden als prüde zu gelten, sind Indikatoren einer enttabuisierten Sexualität, die das zerstört, was Sex eigentlich sein sollte: ein intimer Liebesbeweis zwischen Mann und Frau.

 

Sexualisierung von Kindern

Eltern haben den größten Einfluß auf die kindliche Seele. Die Forschung hierzu reicht von Sigmund Freud bis zu John Bowlbys Bindungstheorie, die unter anderem von dem Münchner Kinder- und Jugendpsychiater Karl Heinz Brisch weitergeführt wird. Vor über 50 Jahren schrieb Erik Erikson: Viel von der Scham und dem Zweifel, der Erniedrigung und Unsicherheit, die im Kinde entstehen, sei eine Folge der Enttäuschung der Eltern in Ehe, Arbeit und Staatsbürgerschaft. Seit der sexuellen Revolution ab1968 zählt auch die Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen zu den psychischen Belastungsfaktoren, vor denen Kinder kaum zu schützen sind. Schon Freud beobachtete, daß jede „frühzeitige Sexualtätigkeit die Erziehbarkeit des Kindes beeinträchtigt”. Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Christa Meves prophezeite bereits vor Jahrzehnten die gesellschaftlichen Folgen enttabuisierter Sexualität. Wie die Sexualisierung von Kindern unter der Gender-Mainstreaming-Strategie staatlich forciert wird, hat die Soziologin Gabriele Kuby in ihrem Buch „Die globale sexuelle Revolution“ beschrieben.

Foto: Selbstinszenierung gepaart mit jungmädchenhafter Erotik: Der zur Norm gewordene vulgäre Sprachgebrauch junger Mädchen irritiert

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