© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/14 / 03. Januar 2014

Widder umtänzeln Wotans Gattin
Bajonettkämpfe und Kakerlakentänze: Die „Walküre“ an der Oper Leipzig wirkt unsicher und klamottig
Sebastian Hennig

Das Erlebnis des „Rheingold“ im Juni an der Oper Leipzig (JF 24/13) schürte begreiflicherweise bange Erwartung zur Premiere der „Walküre“. Denn eines war damals bereits klar: Gelänge es der Leipziger Oper, aus dem ungesonderten Metall etwas Ringförmiges zu schmieden, dann wäre das keinesfalls dem Dirigenten und der Regie zu danken. Allein der Loge von Thomas Mohr wurde zu einem nachwirkenden Erlebnis.

Die unsicher-klamottige Inszenierung der englischen Choreografin und Regisseurin Rosamund Gilmore findet auch in der „Walküre“ ihre Fortsetzung. Ihre Gestaltungsweise trägt typisch britische und typisch weibliche Züge. Die Engländer standen Wagners künstlerischer Mitteilung schon sehr früh offen gegenüber. Der sozialistische Fabier George Bernard Shaw hat mit seinem Essay „The Perfect Wagnerite“ die Blickrichtung bis heute gelenkt. Die Götter galten ihm als Repräsentanten einer willensgelenkten kapitalistischen Großbourgeosie.

Über die Inszenierungen von Patrice Chéreau in Bayreuth und Wolfgang Herz in Leipzig setzt sich diese Deutung bis zu Rosamund Gilmore fort. Weiblich ist deren Neigung zur schönen Einrichtung, zur in sich geschmackvollen, aber gleichwohl unzugehörigen Ausschmückung. Daß eine Schattenwelt von Tänzern die Handlung nachbildet, ist fast schon zu einer konventionellen Marotte des Operntheaters geworden.

Egal was gegeben wird, von Händel bis Wagner gilt: Das Ballett, das treue, will auch mit. So schieben sich die Tänzer wie riesige Kakerlaken durch die Wohnküche Hundings. Oder sie umspielen als spastisch verrenkte Widder an der Zugleine Göttin Fricka, die Kathrin Göring mit dem ganzen Furor gekränkter Weiblichkeit ausstattet. Das Gezappel der Tänzer ist von der Regie bestimmt nicht abträglich gemeint, dennoch mindert es empfindlich den Eindruck.

Durch den israelischen Tenor Guy Mannheim und die Berliner Sopranistin Christiane Libor als Siegmund und Sieglinde war der Abend schon mit dem ersten Gesang der ersten Szene an einer der empfindlichsten Stellen gerettet. Was diese beiden sangen und spielten war so beeindruckend, daß die irritierenden Klänge aus dem Orchstergraben dagegen zu verkraften waren. Denn auch im Wandel von Siegmunds Not-Monolog klumpte die Musik immer gleich fett. Sie entfaltete sich nicht luftig, lastete nicht schwer drängend. Anstatt am Hirn vorbei ins Rückenmark zu fahren, drückte die Schallwelle immer nur auf das Bauchfell.

Mit schleimiger Diskretion tänzelt das Roß Grane als ein zentaurischer Schildknappe um Brünnhilde herum. Die dänische Sopranistin Eva Johansson klingt oft unangenehm spitz. Ihre Walküren-Schwestern sind Reiterinnen des Marschall Budjonny. Sie halten ihre Gewehre mit Bajonetten vor sich. Die gefällten Krieger, die sie aus der Schlacht tragen, beschäftigen einmal mehr das Ballett. Weiße Stiefelpaare stehen in regelmäßigen Abständen auf der geneigten Bühnenfläche. Links im Hintergrund ist ein Kubus mit zahllosen regelmäßigen Arkadenfenstern zu sehen, unverkennbar dem 1942 erbauten faschistischen Palazzo della Civiltà Italiana in dem Stadtviertel Esposizione Universale di Roma (EUR) nachgebildet.

Der Regie ist diese Zurückhaltung im Gebrauch von Signaturen und platten Verweisen anzurechnen. Doch dieser Diskretion in der Anspielung entspricht eine albern wirkende Unentschiedenheit und Lauheit in der Führung der Darsteller. In der Kampfszene treten Brünnhilde und Wotan wie Figuren in einem Wetterhäuschen aus den Nischen der Bühnenarchitektur. Hunding erschießt mit der Flinte den Ritter Siegmund aus nächster Nähe, nachdem der Gott dessen Schwert zerhieb. Diese Deutung ist schicklich, vielleicht sogar kühn, aber ihre Visualisierung wirkt wie so vieles an dieser Inszenierung ungeschickt.

James Moellenhoff konnte die düster-bedrohliche Gegenwart des Hunding mehr statuarisch als stimmlich ausfüllen. Gegen die unschuldige Brunst der Heldenkinder fehlte es ihm an der Fülle des Dunkelbösen. Seine Stimme kraspelte wie die ertötete Puppe im Seidenkokon. Da waren keine Reserven und ungewiß zudem, ob der Amerikaner immer wußte, was er da sang.

Markus Marquardt als Wotan dagegen wird es zwar wissen, und doch war er das eigentliche Ärgernis des Abends. Natürlich ist Wagner schuld, der ihm so viel zu singen gibt, daß der schönste Eindruck wieder ausgelöscht wird. Denn mit Sieglindes letzten Worten im dritten Akt scheint auch die ganze Kraft dieses Abends mit ihr in den dichten Wald in den Osten geflohen zu sein. Denn daß Wotan dort nicht hingelangt, wo Sieglinde ist, das war von Anfang an klar. So viel und so Berührendes hatte er zu künden und doch so wenig majestätisch und väterlich füllte er es aus. Dabei sang Marquardt sauber, aber es war nur das Skelett von Wotan, ohne das Rückgrat eines resignierenden Gottes.

Das Premierenpublikum war nachsichtig, umjubelte Libor und Mannheim völlig berechtigt. Regisseurin und Dirigent bekamen ihre Buhrufe zugemessen. Jede Zeit hat ihre gezählten Heldentenöre im Wagnerfach. Mit Guy Mannheims Siegmund hat sich in Leipzig möglicherweise die Erstehung eines neuen Sangeshelden vollzogen. Vielleicht sichert allein das dem Leipziger „Ring“ einen Platz in den Wagner-Annalen. Nun steht entweder zu erhoffen oder zu befürchten der Leipziger „Siegfried“.

Die nächsten „Walküre“-Vorstellungen in der Oper Leipzig, Augustusplatz 12, finden statt am 5. und 12. Januar 2014. Kartentelefon: 0341 / 12 61 261

http://oper-leipzig.de

Foto: Brünnhilde (Eva Johansson) mit einem Gewehr in der Hand, Wotan (Markus Marquardt) und Walküren: Wie Figuren in einem Wetterhäuschen treten sie aus den Nischen der Bühnenarchitektur

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