© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Sorge um die Sicherheit
Rußland: In Anbetracht der Terrorschschläge treten die ideologischen Konflikte mit dem Westen kurz vor den Winterspielen in den Hintergrund
Thomas Fasbender

Kurz vor den Olympischen Winterspielen in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi haben die Explosionen in Wolgograd das kaukasisch-islamistische Krisenpotential wieder in den Mittelpunkt gerückt. Drei Selbstmordanschläge mit rund vierzig Toten haben das ehemalige Stalingrad seit Oktober erschüttert. Mindestens einer verübt von den berüchtigten „schwarzen Witwen“, den Hinterbliebenen islamistischer Kämpfer aus dem Nordkaukasus.

Seitdem wird gerätselt, inwieweit die Terrorakte Signale in Richtung Sotschi sind – beide Städte liegen schließlich so weit auseinander wie München und Rom. Ebenso unklar sind die genauen Drahtzieher.

Bis zur „kompletten Zerstörung“, so Präsident Putin, werde sein Land den Terrorismus bekämpfen.

Noch ist die Erinnerung wach an ein als Geheimtreffen eingefädeltes Gespräch zwischen Putin und dem saudischen Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan Ende Juli 2013 bei Moskau. Einzelheiten des Gesprächsprotokolls waren später an die Öffentlichkeit durchgesickert. Demnach hatte Bandar, der ausdrücklich vermerkte, auch im Namen der USA zu sprechen, Putin eine Sicherheitsgarantie für die Winterspiele angeboten.

Um diese zu untermauern, bekräftigte der saudische Prinz, daß die kaukasischen Extremisten seit Jahren von Riad aus gesteuert würden. Bedingung für die Garantie sei, so Bandar, das Ende der russischen Unterstützung für den syrischen Präsidenten Assad. Das mehrstündige Treffen wurde von Eingeweihten als „stürmisch“ charakterisiert. Beobachter, die dieser Denklinie anhängen, interpretieren die Wahl Wolgograds als Ausdruck einer gewissen Vorsicht ausländischer Strategen. Demnach handele es sich gewissermaßen um „Warnschüsse“ mit dem Ziel, dem Kreml Zeit zu geben, seine Politik im Mittleren Osten – nicht nur Syrien, auch dem Iran gegenüber – zu überdenken.

Arabellion entfachte Krisen im Nordkaukasus

Ein Beleg für die engen Auslandskontakte der kaukasischen Terroristen ist, daß nach Angaben des russischen Geheimdienstes FSB mindestens vierhundert Islamisten aus dem Nordkaukasus in Syrien auf seiten der vom Westen und von Saudi-Arabien unterstützten Rebellen kämpfen. Wie lange diese Ressource kampferprobter, fanatischer Salafisten überhaupt noch beherrschbar ist, und sei es durch saudische Agenten, ist offen. Jedenfalls bestätigen die vergangenen Monate, daß der Arabische Frühling das Krisenpotential im Nordkaukasus nur angefacht hat. Kein Wunder, daß eine „machiavellistische“ Hypothese existiert, der zufolge amerikanisch-saudische Geheimdienstler den Kreml mit Hilfe kaukasischer Terroristen in Geiselhaft halten, um ungestört von russischer Einmischung die Verhältnisse im Mittleren Osten zu ordnen.

Jedenfalls ist eine Störung der Winterspiele durch weitere Attentate ungleich wahrscheinlicher als durch ideologische Konflikte mit dem Westen in Sachen Minderheitenschutz und Demokratie. Mit der Amnestie für Michail Chodorkowski und Pussy Riot hat Rußland sich einer ganzen Reihe von Altlasten entledigt. Die innenpolitische Wirkkraft von Ex-Oligarchen, wenn sie erst ohne Hoffnung auf Rückkehr im Ausland leben, geht gegen Null. Die „Künstlerinnen“ der Punk-Gruppe Pussy Riot bleiben zwar in ihrer russischen Heimat, finden ihre Ansprechpartner jedoch vor allem unter ausländischen Medien.

Die spärlichen Boykottaufrufe im Westen gefährden den Verlauf der Winterspiele ebensowenig wie das Fehlen einiger Politiker und gleichgeschlechtlich veranlagter Promis. Je mehr der islamische Terrorismus sich als die eigentliche Gefahr für die Winterspiele herauskristallisiert, desto weiter treten die spezifisch westlichen Anliegen in den Hintergrund. Die große Herausforderung, der Rußland sich in den kommenden Wochen gegenübersieht, ist die Durchführung sicherer Spiele ohne störende Polizeipräsenz.

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