© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/14 / 10. Januar 2014

Vom Bemühen um die verlorene Einheit
Lutz Haarmann über die bundesdeutschen Dissidenten, die vor 1989 an der politischen Einheit festhielten
Karl Feldmeyer

Auf mehr als 300 Seiten hat sich Lutz Haarmann in seiner Dissertationsschrift mit dem Titel „Teilung anerkannt, Einheit passé“ auf die Suche nach denen gemacht, die sich vor 1989 in der alten Bundesrepublik für die Wiedervereinigung engagierten und sich damit gegen die Politik aller Bundestagsparteien stellten.

Dabei ist ein unter mehreren Aspekten erstaunliches Buch entstand – aber auch ein Buch, das Fragen aufwirft. Erstaunlich ist zunächst einmal, daß sich Haarmann für diesen Untersuchungsgegenstand überhaupt entschied. Sein Doktorvater, der Bonner Ordinarius Tilman Mayer ist Vorsitzender der Gesellschaft für Deutschlandforschung und dürfte ihn zu dieser Themenwahl ermutigt haben. Allein schon dieses Thema aufzugreifen ist auch heute, ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer, politisch nicht ohne, weil es die tatsächliche Haltung aller Parteien des Bundestags zur Wiedervereinigung ins Bewußtsein der Leser zurückbringt – und die war negativ.

Das gilt nicht zuletzt für die Politik des Mannes, der sich nach dem Fall der Mauer als „Vater der Einheit“ feiern ließ, nämlich Helmut Kohl. Sein unbestrittenes Verdienst ist der exzellent gelungene Vollzug des Wiedervereinigungsprozesses vom Fall der Mauer bis zum Abschluß des Zwei-plus-Vier-Vertrages. Das ist bei Gott kein geringes Verdienst. Aber es ist etwas anderes, als die Wiedervereinigung Deutschlands im Alleingang gewollt zu haben. Ihm ging es um die Einigung Europas. Sie hatte für ihn unbedingten Vorrang. Die Einheit Deutschlands war für Kohl nur Begleiterscheinung. Dies und die damit übereinstimmende Haltung der übrigen Bundestagsparteien ins Bewußtsein seiner Leser zu rücken, ist das wichtigste Verdienst des Autors.

Die erste Partei, der sich Haarmann näher zuwendet, ist die CDU. Dabei geht er aber weder chronologisch vor noch orientiert er sich in der Befassung am politischen Gewicht der deutschlandpolitisch relevanten Vorgänge und handelnden Personen. Was zwischen Kohls Amtsantritt am 1. Oktober 1982 und dem Fall der Mauer bzw. der Wiedervereinigung in Bonn geschah, ist ihm ebenso wie die beteiligten Personen allenfalls eine kursorische Erwähnung wert. Das gilt für Bernhard Friedmann und seine Aufforderung an den Kanzler, in der Nato durch den Abbau aller nuklearen Mittelstreckenwaffen in der Bundesrepublik endlich aktive Wiedervereinigungspolitik zu betreiben. Andere Ereignisse wie der Widerstand des CDU-Abgeordneten Jürgen Todenhöfer gegen die Ratifizierung eines EU-Dokuments, durch das die Bundesrepublik den Anspruch auf das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen verloren hätte, finden überhaupt keine Erwähnung.

Selbst der dramatischste Vorgang in der Deutschlandpolitik der CDU seit Adenauers Zeiten, nämlich der Versuch, sich der Verpflichtung des Grundgesetzes zu entledigen, die Wiedervereinigung anzustreben, ist Haarmann keine dreißig Zeilen wert. Die CDU-Bundestagsabgeordneten, die sich hier gegen Kohl und seinen Adlatus Heiner Geißler stellten, finden allenfalls in Anmerkungen Erwähnung. Und von der bitteren deutschlandpolitischen Debatte auf dem Wiesbadener Parteitag 1988: keine Zeile. Weshalb, bleibt unerklärt.

Um so ausführlicher präsentiert Haarmann seine Neuentdeckung: den deutschlandpolitischen Arbeitskreis der CDA, der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft in der CDU. Er entstand unmittelbar nach der Wahl von Ulf Fink, der Senator für Gesundheit in Berlin war, zum CDA-Vorsitzenden im Jahr 1987. Finks Neugründung wollte die gesamtdeutsche Tradition von Kaiser und Katzer neu beleben – zum Mißfallen Kohls. Der Arbeitskreis hatte zwei Mitglieder: Fink und den Berliner CDU-Abgeordneten Uwe Lehmann-Brauns.

Politiker mit Einheitswillen wurden politisch kaltgestellt

Der Rezensent unterstützte beide damals nach Kräften und stellte für sie als Korrespondent der FAZ Öffentlichkeit her. Mangels weitergehender Möglichkeiten beschränkten sich ihre Aktivitäten auf einige Veröffentlichungen, Reden und eine DDR-Reise im Jahr 1988. Das war gut und verdienstvoll. Haarmann nimmt es zum Anlaß ausführlicher Porträts der beiden. Dagegen ist nichts einzuwenden, gibt der Arbeit aber Schlagseite: Die Proportionen zwischen Beachtung und Bedeutung stimmen nicht mehr, insbesondere, wenn man die damals in Bonn deutschlandpolitisch bekennenden CDU-Politiker von Friedmann über Todenhöfer, Abelein, Dregger und Czaja – um nur einige zu nennen – dagegenhält.

Besonders eindrucksvoll sind zwei Porträts, die des SPD-Politikers Hermann Kreutzer und des einstigen FDP-Politikers Detlef Kühn. Kreutzer, der 1945 in Thüringen am Aufbau der SPD beteiligt war, wurde von den Sowjets wegen „konterrevolutionärer Umtriebe“ zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt, 1956 nach West-Berlin entlassen. Dort wurde er wieder in der SPD aktiv, bis er wegen seines unbeirrbaren Eintretens für die Wiedervereinigung von seiner Partei zunehmend ins Abseits gedrängt wurde. Die hatte der Einheit Valet gesagt und machte auf Entspannung. Da störte der halsstarrige Kreutzer und wurde kaltgestellt, bis er 1980 die SPD verließ. Eine Persönlichkeit aus einer anderen Zeit mit altrömischen Tugenden.

Von vergleichbarem Zuschnitt ist Kühn. Er wurde zwar kein Opfer der Sowjets, wohl aber des Zeitgeistes, der die FDP veranlaßte, ihn und den nationalliberalen Flügel, der sie einst stark gemacht hatte, auszugrenzen – was der FDP schadete, nicht aber Kühn, der wie Kreutzer sich selbst treu blieb. Zwei eindrucksvolle Porträts, vor allem auch der Häutungen ihrer beiden Parteien.

Neben den Lücken, die der Autor läßt, stehen faszinierende Schilderungen von politischem Neuland, das auch Kennern der politischen Landschaft teilweise unbekannt war. Das trifft für das zu, was man unter linkem Rand zusammenfassen kann, Gruppen und Grüppchen von der KPD/ML, der Alternativen Liste bis hin zu den Grünen, in denen sich Unterstützer der deutschen Einheit zusammenfanden, die öffentlich nicht wahrnehmbar waren. Sie sahen nicht in der Teilung, sondern in deren Überwindung die Gewähr für Frieden und Sicherheit in Europa. Schade, daß Haarmann uns nicht auch noch wissen ließ, wie man es auf dem rechten Flügel des politischen Spektrums mit dem Schicksalsthema der Deutschen im 21. Jahrhundert gehalten hat.

 

Karl Feldmeyer war langjähriger Parlamentskorrespondent der FAZ in Bonn und Berlin. Nicht zuletzt für sein unbeirrtes Eintreten für die Wiedervereinigung vor 1989 wurde er 2013 mit dem Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis ausgezeichnet.

Lutz Haarmann: Teilung anerkannt, Einheit passé? Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2013, broschiert, 377 Seiten, 39,90 Euro

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